Weiberröcke und Leichen. Hans-Hermann Diestel
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Die EXPLORER in Warnemünde
Vergleich der Höhe der Brücke zwischen der EXPLORER und der QUEEN VICTORIA
Sie schlugen die Fenster der Brücke ein und fluteten die Schiffsführungszentrale, als das Schiff mit 7 Knoten gegen die See anging. Durch das eingedrungene Wasser kam es zu einem Kurzschluss und einem zeitweiligen Ausfall der Maschinen. Der Kapitän ließ den Notruf „Mayday“ senden und löste den Generalalarm aus. Alle Personen an Bord versammelten sich mit ihren Rettungswesten an den Bootsstationen. Mit Hilfe von Reserveanlagen konnte das Schiff seine Reise wieder aufnehmen, den Kurs ändern und mit 14 kn in Richtung Hawaii laufen. Die Untersuchung des Seeunfalls erinnerte daran, dass das Schiff für das Mittelmeer und nicht für Winterreisen auf dem Nordatlantik oder Nordpazifik gebaut worden war. Der Kapitän des Schiffes, das eher an eine Jacht als an ein für schweres Wetter gebautes Passagierschiff erinnert, hatte einen für die Jahreszeit zu nördlichen Kurs gewählt. Seine miserable Reisevorbereitung führte das Schiff in das Gebiet mit den durchschnittlich höchsten Wellen auf den Nordpazifik. Das hätte er, wenn er die amerikanische Pilot-Chart für den Nordpazifik studiert hätte, erkennen können und erkennen müssen. Der chinesische Philosoph Laotse hat nicht umsonst gesagt: Verantwortlich ist man nicht nur für das, was man tut, sondern auch für das, was man nicht tut. Das gilt ganz besonders für die Reisevorbereitung. Heute wird diese Aufgabe meistens dem Zweiten Offizier übertragen. Der Kapitän soll dann den in die Seekarte (Papier oder elektronisch) eingetragenen Kurs kontrollieren und sanktionieren. Solange mir die Rotation des Schiffes genug Zeit für diese Aufgabe gewährte, habe ich sie immer selbst erledigt. Das deshalb, weil dies einerseits eine wichtige Aufgabe ist und sie mir andererseits Spaß gemacht hat.
Dies hat der Kapitän der RENA, die der griechischen Reederei Costamare gehörte und 1990 als ZIM AMERICA in Kiel gebaut worden war, offensichtlich anders gesehen. Das Containerschiff, das 236 m lang war und 3351 TEU befördern konnte, befand sich am 5. Oktober 2011 auf der Reise von Napier nach Tauranga in Neuseeland, als es um 2.20 Uhr in der Bay of Plenty auf das Astrolabe Riff lief. Die Untersuchung der zuständigen neuseeländischen Behörde ergab, dass der ursprüngliche Reiseplan durchaus den üblichen Anforderungen entsprach. Aber schon bei der Verseglung um die Mahia-Halbinsel wurde deutlich, dass Kapitän und Wachoffizier den Sinn einer seemännisch fundierten Reiseplanung nicht verstanden hatten. Der Plan wurde zur Wegeinsparung („Eckenschneiden“) verändert und zu keinem Zeitpunkt wurde der festgelegte Kurs eingehalten.
Die 1991 in Kiel gebaute ZIM KOREA ist eins von sechs Schwesterschiffen der ZIM AMERICA
Darüber hinaus übertrug der Kapitän dem Zweiten Aufgaben, für die er selbst zuständig war. Der Kurs des Schiffes wurde vom Zweiten nach einem Telefongespräch mit dem Kapitän in Richtung Astrolabe Riff zur Einsparung der zu laufenden Distanz geändert. Diese Veränderungen widersprechen den Regeln guter Seemannschaft. Einen solchen Gedanken hätte der Kapitän mit allem Für und Wider selbst anhand der Karte kontrollieren müssen. Das Ergebnis dieser nicht seemännischen Arbeitsweise war der Totalverlust des Schiffes, eine beachtliche Umweltverschmutzung und eine sehr teure Beseitigung von Teilen des Wracks.
Eine der schönsten Definitionen in der Seefahrt ist die folgende aus dem Fachbuch „The American Practical Navigator“ (Ausgabe 1995): Die Navigation eines Schiffes verbindet Wissenschaft und Kunst. Ein guter Navigator sammelt Informationen von jeder zur Verfügung stehenden Quelle, wertet diese Information aus, ermittelt einen Schiffsort und vergleicht diesen Schiffsort mit der vorher durch Koppeln bestimmten Position. Ein Navigator bewertet ständig die Position des Schiffes, erkennt mögliche gefährliche Situationen, bevor sie entstehen und ist mit seinen Überlegungen immer der jeweiligen Situation voraus. Der moderne Navigator muss die Grundkonzepte der vielen heutigen Navigationssysteme verstehen, ermittelt ihre Genauigkeit und kommt so zu den bestmöglichen Entscheidungen für die Führung des Schiffes.
Diese Definition gab es zur Zeit eines alten Kapitäns, der mit seinem Segler aus Geordie (Umgebung von Newcastle upon Tyne) Kohle in der Küstenfahrt transportierte, noch nicht. Wenn es sie gegeben hätte, würde er sie wahrscheinlich nicht beachtet haben. Bei dickem Wetter wurde der Kohlefrachter auf die Nordsee hinausgetrieben. Der Schipper wandte sich an seinen Steuermann, wo denn die Seekarte wäre, denn ihm sei so, als hätten sie eine an Bord. Nach einigem Suchen fanden sie die Karte fein säuberlich aufgerollt unter dem Staub der Jahrzehnte. Der Kapitän rollte sie auf, sah aufmerksam hinein und rammte seinen rechten Daumen auf die Karte. „Wi sünd ungefähr hier“, sagte er. „Möönsch“, sagte der Steuermann, „lot mal sehn.“ Der Alte lüftete seinen Daumen und beide starrten voller Schrecken auf die Karte. Genau dort, wo der Daumen gewesen war, befand sich ein schwarzer Fleck. Schließlich sagte der Schiffsführer: „Is dat Fleegendreck, denn sünd wi richtig. Aber wenn nich …! Klar zum Halsen!“ Zumindest hat der Küstenschiffer anscheinend gewusst, wo er hinwollte.
1973 hatte mein Flottenbereich entweder keinen Kapitän oder niemand wollte dieses riskante Unternehmen übernehmen. Die JOHN SCHEHR sollte von Rostock nach Wismar in die Werft versegeln. Das sind unattraktive Aufgaben mit einem hohen Risikofaktor, weil auf den in die Werft bestimmten Schiffen in der Regel zahlreiche Anlagen nicht oder nur eingeschränkt funktionieren. So war es auch auf diesem Typ-X-Schiff. Der Kompass funktionierte noch, aber mit dem Radar konnte man kein Ziel peilen. Nur der bewegliche Entfernungsring ermöglichte mir im dichten Nebel, die Abstände zur Küste festzustellen. Mit ihrer Hilfe navigierte ich das Schiff und brachte es, ohne Schiffbruch zu erleiden, nach Wismar. Die Amerikaner sprechen von jeder zur Verfügung stehenden Quelle. Ich hatte nur eine, aber sie ermöglichte mir, die Position meines Schiffes festzustellen und den notwendigen Kurs anzuweisen.
Die JOHN SCHEHR vom Typ X auf der Elbe
Auf diese Weise konnte ich den Spruch von Laotse Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg befolgen. Mit dem richtigen Weg haben doch eine ganze Reihe von Kapitänen Probleme gehabt, weil sie nicht die richtigen Seekarten an Bord hatten. In der letzten Verhandlung eines Seeamtes, an der ich als Beisitzer teilgenommen habe, ging es um die Grundberührung des 999 RT großen Küstenmotorschiffes RUTHENSAND. Das Schiff kam mit einer Ladung Splitt von Abenrade nach Sassnitz-Mukran. Dem Kapitän war es nicht gelungen, sich eine Seekarte zu besorgen. Vom Schiffsmakler in Stralsund erhielt er einen Fax-Abzug von der Seekarte, mit dem er dann versuchte, seinen Liegeplatz in Mukran anzusteuern. Das klappte nicht. Die Reparatur des Bodenschadens, den er sich am 13. Juni 1992 auf den Steinen vor Mukran zuzog und der in der Volkswerft Stralsund repariert wurde, kostete über 100 000 DM.
Bei dem Kühlschiff CAP TRIUNFO war das Suchen des Weges noch ein bisschen komplizierter. Im August 2001 lud das Schiff in Südamerika Bananen für Italien. Auf der Reise erhielt der Kapitän die Order, die Bananen nach St. Petersburg zu bringen. Das akzeptierte er, wenn er auch die dafür nötigen Seekarten nicht an Bord hatte. Er bestellte sie