Was haben Sie da Angerichtet. Ulrich Borchers

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Was haben Sie da Angerichtet - Ulrich Borchers

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hatte es ihm geglaubt, dass tatsächlich die große Liebe vor ihr stehen würde. Viele landeten in seinem Bett, wenn es auch nie aus Messing war, wie in dem Song von 69. Vielleicht war das der Grund, wieso es nie wahrhaftig mit ihnen wurde. Immer nur ein kurzes Feuer. Nicht eingelöste Versprechen, wobei er sich in der damaligen Zeit vorgaukelte, es sei ein ideales Leben. Frei, ungebunden wie sein Gitarrenspiel und doch wild, aufregend und befriedigend. Eine Zeitlang, im Nachhinein sogar erstaunlich lange, funktionierte es.

      Im Lied verklingt der letzte Akkord und gleichzeitig klingelt das Telefon. Er trocknet sich die Hände ab und bedauert die Kürze des Bades. Das Greifen des Hörers schmerzt mehr, als er erhofft hat.

      „Hallo Georg, du bist heute Abend pünktlich?“, brüllt es aus dem Hörer. Das kam eher fordernd als fragend rüber.

      „Mensch Robert, habe ich dich je enttäuscht?“, entgegnet er.

      „Ja, vor zwei Wochen. Du hast fürchterlich gespielt. Trinkst du wieder Georg? Deshalb rufe ich an. Damals wurde auch erst Dein Spiel schlechter und wie sehr man sich dann auf dich verlassen konnte, weißt du selbst.“

      „Robert, ich bin seit über zwanzig Jahren trocken und clean. Ich hatte nur einen schlechten Tag. Es wird alles klappen.“

      „Der alten Zeiten wegen, Georg. Versaue es heute nicht, sonst wird es schwer mit Folgeauftritten.“

      Aufgelegt. Sobald seine Leistung nicht mehr ausreicht, wird Robert die Beziehung abrupt beenden. Alte Zeiten hin oder her. Da werden ihm weder seine ruhmreiche Zeit als Begleitmusiker eines der bekanntesten deutschen Rockstars, noch seine frühere Klasse als Studiomusiker helfen.

      Alles hat und braucht seine Zeit. Als der Wachtraum seines damaligen sogenannten Lebens endete, stürzte er sich noch mehr in die Musik. Sein Gitarrenspiel wurde immer besser und nachdem er seine Schulden bezahlt hatte, wunderte er sich, dass so eine Menge Geld übrigbleibt, wenn man es sich nicht durch die Nase zieht. Er kaufte sich Gitarren. Weitere Gibson, Rickenbacker, Martin und natürlich Fender. Sein ganzes Geld für diese taillierten Ersatzfrauen, die ihn retteten, aber lediglich Flucht vor seiner Beziehungsunfähigkeit waren. Heute ist ihm das klar.

      Der alte George Best Spruch fällt ihm ein, der unter seinen Musikerkollegen Quintessenz ihres Handels war. „Ich habe viel von meinem Geld für Alkohol, Weiber und schnelle Autos ausgegeben. Den Rest habe ich einfach verprasst.“ Na ja, er hat zumindest seine Gitarren.

      Er drückt weiter fleißig den Schwamm. Der Schmerz lässt nach, aber die Knoten in seiner Hand machen ihn zornig. Wieso werden seine Hände zum Feind? Immer hatten sie es gut mit ihm gemeint. Durch sie kam er vom Alkohol und den Drogen weg und schließlich brachten sie sein Leben auch noch auf die Liebesspur. Neben klassischen Stücken waren damals auch Popsongs auf Akustikgitarre angesagt und auf einem kleinen lokalen Gig spielte er zum Abschluss auf seiner Martin „Cavatina“. Ein Herzensöffner, wie Vera im später einmal sagte, und zum ersten Mal seit Jahren entdeckte er etwas neben seiner Musik. In machen Augen findet man sich, in anderen nicht. In den Augen der Rothaarigen in der zweiten Reihe verweilte er. Beim Verklingen des letzten Tons hatten sie sich gefunden.

      Nach dem Stück kam sie nach vorn und sagte: „Wer so spielt, den könnte ich versuchen zu lieben“, und er antwortete zu seiner eigenen Überraschung: „Ich hätte nichts dagegen.“

      Sie mussten es nicht versuchen, es war beiden vom ersten Moment klar. Er brauchte nicht mehr von der großen Liebe singen und auf falsche Versprechungen setzen. Späte Liebe, sagt man so? Beide hatten ihre Weichen schon gestellt. Vera ein wenig schlauer als er, das gibt er zu. Jetzt sitzt er hier, hat das Rentenalter erreicht und versucht mit Schwamm und warmen Wasser seine zweite Leidenschaft und ein wenig Zukunft am Leben zu erhalten. Mist, seine Knie und sein Rücken sind völlig in Ordnung. Er würde auf die Bühne kriechen, wenn er nur alle Riffs hinbekommen würde.

      Pensionsansprüche hat sie. Da kann er nicht mithalten. Früher hätte er sich darüber lustig gemacht. Jetzt schämt er sich gegenüber Vera ein wenig. Seine Altersversorgung ist ein Witz, viel zu lange hat er danach gelebt, dass Morgen so wird wie Gestern und sich im Heute keine weiteren Gedanken gemacht. Bis auf seine Instrumente ist er finanziell gesehen kaum existent. Vera hat gesagt, das wäre egal. Es würde schon für beide reichen. Obwohl er es ihr umgekehrt wohl auch zugesagt hätte, fühlt er sich deswegen nicht ein Stück besser.

      Neulich hatte er sich mit einem Kollegen unterhalten, der sich bitter darüber beschwerte wie die Allgemeinheit mit ihren Künstlern umgeht. „Keiner fängt uns auf, wir bilden im Alter das kreative Proletariat“, meinte er. Georg trank seinen Tee und entgegnete nichts. Die Spielregeln waren allen von Anfang an bekannt. Sie hatten früher bloß keine Lust gehabt, sich daran zu halten und fühlten sich dabei toll. Und jetzt weinen, weil sie nicht eingewechselt werden und wieder mitspielen dürfen. Ne, so ein Selbstmitleid liegt ihm nicht und er hat auch noch nie die Schuld bei den Anderen gesucht.

      Er nimmt die Hände aus dem Wasser und trocknet sie ab. In einer Stunde muss er los. Heute wird es wohl gehen. Die Fans werden nichts merken, Robert ein wenig. Er selbst weiß, dass es nicht mehr reicht. Seinen eigenen Ansprüchen wird er nicht mehr gerecht werden. Und seine Hände werden glühen und die Entzündung und die Schmerzen werden ihm die Tränen in die Augen treiben.

      „Es ist vorbei“, denkt er sich. Der letzte Auftritt. „Ich muss loslassen, mit meinen Händen müsste es mir doch leicht fallen.“ Er lächelt wegen dieses Gedankens. Morgen wird er sich um den Verkauf seiner Gitarren kümmern. Es müsste eine Stange Geld zusammenkommen und für eine Weile würden sie gut davon haben.

      Er nimmt die Jacke vom Haken, schultert seine Fender und denkt: „Too old to Rock’n’ Roll, to young to die.“

      Den ersten Teil des Spruchs erfährt er gerade leidvoll. Georg wird mit Vera zusammen einen Weg zu finden, den zweiten Teil bejahen zu können. Als er sich von ihr verabschiedet sagt er: „Ich möchte dich im Morgenlicht sehen.“ Vera verbindet diese Zeile nicht mit dem alten Dylan Titel und sagt nur lächelnd: „Wie schön!“

      Ihm bedeutet es alles.

      SEESTERN

      Die Morgensonne wärmt schon, aber noch sind die Temperaturen angenehm. Für mich die schönste Zeit des Tages. Eine leichte, frische Brise vom Meer und ich denke: „Ach, das Leben könnte so schön sein.“ Nicht, dass sie mich falsch verstehen, im Moment ist es das auch, aber ich weiß, es wird sich spätestens in einer Viertelstunde ändern. Ich atme tief durch und genieße den Augenblick. Diesen Strandkorb hier am Timmendorfer Strand habe ich für die Saison gemietet, nachdem ich mich nach aufreibenden beruflichen Herausforderungen verdientermaßen zur Ruhe gesetzt habe. Er ist nur einen Katzensprung von der Eigentumswohnung entfernt, die ich mir gekauft habe. Alles könnte so schön sein, wäre da nicht …

      Der Teufel, von dem ich in Gedanken sprach, naht. Etwas früher als gewöhnlich, wahrscheinlich bereitet es ihm Freude, mich zu quälen.

      „Komm Püppchen, mach mal hinne. Vaddern hat nicht ewig Zeit.“

      Frank Kasischke, ehemaliger Bauunternehmer, ebenfalls im Ruhestand robbt an den Strand. Sonne, Sand, Meer und der Ort haben es ihm leider genau so angetan wie mir. Er hat den Strandkorb neben mir gemietet. Sein Püppchen hinkt vollbeladen mit den notwendigen Utensilien des Tages hinter ihm her. Sie schleppt hauptsächlich Nahrung für ihn mit. Ich nenne Kasischke im Gedanken „den Gorilla“. Einerseits weil er sich in ähnlicher Weise auf seinen Strandkorb zubewegt und andererseits, weil Gorillas ihren Stellenwert in der Gesellschaft gern durch Körperfülle demonstrieren. Das gilt ebenso für Kasischke. Aufgrund seiner Ausmaße schwitzt er jetzt schon aus allen Poren und in der Hitze des Tages wird

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