Was haben Sie da Angerichtet. Ulrich Borchers
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„Allerdings“, gibt er zu. „Die meisten der hier angebotenen Kaffeevariationen sagen mir ehrlicherweise nichts. Wiener Melange. Kenne ich nicht.“
Das Paar lächelt sich milde an. „Das ist eine österreichische Kaffeespezialität.“
Na toll, denkt Karsten. Das hätte ich eventuell auch noch gewusst.
Doch der Herr ist noch nicht fertig: „Sie besteht aus einem Teil Kaffee, zumeist Espresso und einem Teil Milch mit einer Haube aus geschäumter Milch. Erstmals um 1830 in Wien serviert.“
Jetzt wechselt das Lächeln der beiden in eine selbstgefällige Variante.
„Ach“, erwidert Karsten.
„Wenn ich etwas empfehlen darf, der Espresso ist hervorragend. Sehr gutes Mischungsverhältnis, exzellente Bohne, gut gemahlen, hervorragende Maschine.“ Der Herr tätschelt seiner Frau die Hand. „Oder wenn Sie etwas Besonderes bevorzugen, sie führen hier natürlich auch Jamaica Blue Mountain No. 1.“
Karsten hat zufälligerweise gerade diese Sorte im Blick. Zum Glück überschlägt sich seine Stimme nicht als er sagt: „Vierzehn Euro die Tasse? Ist das flüssiges Gold?“
„Na ja, dazu müssen Sie wissen, dass das Anbaugebiet recht klein ist. Der vulkanische Boden auf Jamaika und ideale Temperaturen verhelfen ihm zu einem hervorragenden Reifeprozess. Eine perfekte Ausgewogenheit von leichter Säure, leicht süßem, fruchtig, nussigem Geschmack, sowie einem harmonisch fülligem Charakter. Der Champagner unter den Kaffeesorten.“
Karsten hatte neulich etwas über fermentiertem Kaffee gelesen. Irgendwie so eine seltene Bohne, die für den wahren Gourmet zuerst durch den Verdauungstrakt der sogenannten Schleichkatze gewandert sein muss. Er überlegt, ob er mit diesem Wissen angeben soll, nachher kennt der Herr hierzu noch mehr eklige Details, und zu allem Überfluss gibt es die Sorte hier vielleicht sogar. „Nun, ich bin an sich nicht so anspruchsvoll“, antwortet er daher nur.
Das führt bei der Frau zu einem kaum merklichen Kopfschütteln. Die Wertung seiner Aussage bleibt unausgesprochen, aber hängt dennoch im Raum. Was macht er dann hier, denken die beiden. Kurzes Schweigen. Schließlich fragt der Mann: „Vielleicht mal das Grundsätzliche. Was mögen Sie denn so? Geschmacklich meine ich. Erdig, nussig, aromatisch, fein, blumig, gehaltvoll, ursprünglich?“
Blumig, denkt Karsten, wie schmeckt das denn? „Äh, mild?“
Seine Antwort führt zu einem kaum hörbaren Aufstöhnen. Die Dame öffnet ihre Tasche. Ablenken. Karsten kennt diese Verhaltensweisen an sich nur von Weinproben. Die sind ihm verhasst.
„Also der portugiesische Milchkaffee ist recht mild“, erbarmt sich schließlich der Herr.
Karsten schaut zur Tür und die Sonne geht auf. Sabine betritt das Café. Sie strahlt ihn an und ihm ist, als ob der Raum plötzlich von Licht geflutet wird. Endlich ist sie da. Sie begrüßt den Herrn und die Dame, nimmt Platz, streicht ihm über das Haar und küsst ihn sanft auf die Wange. Sie sind schon ein paar Jahre zusammen und dennoch schlägt sein Herz immer einen Takt schneller, wenn sie ihn so berührt. Jetzt wird es ein angenehmer Nachmittag.
Doch der Herr gibt noch nicht auf: „Welcher Kaffee hat Ihnen denn bisher am besten geschmeckt?“ Karsten hat gerade den portugiesischen Milchkaffee in der Karte entdeckt und schaut bei seiner Antwort gar nicht auf: „Jeder, den ich Gegenwart meiner Frau getrunken habe.“
STRAGULA1 – ODER, DAS MONSTER AUS DER TIEFE
„Hinten etwas länger!“
„Wie soll ich das denn machen? Extensions?“
„Quatsch, hinten ein wenig länger lassen, da habe ich einen Wirbel.“
Im Spiegel sehe ich, wie die junge Frisörin ein Gesicht zieht. Na und? Ich werde sowieso nicht wiederkommen. Momentan bin ich auf der Suche nach einem neuen Frisör. Zwangsläufig. Günter hat mir dreißig Jahre lang die Haare geschnitten. Nun ist er seit einem Monat in Rente. Nicht die einzige Neuausrichtung auf die ich mich einstellen muss. Vor einem halben Jahr hat zum Beispiel mein Arzt, den ich seit meiner Kindheit kannte, aufgehört zu praktizieren. Fürchterlich. Sein Nachfolger ist halb so alt wie ich und fing gleich an mit Tipps, wie ich meine Zukunft gesünder gestalten könnte. „Hab du erst mal Vergangenheit, bevor du hier schlaue Sprüche klopfst“, dachte ich mir. Ich finde das fürchterlich, dass sich plötzlich halbe Kinder um mein Wohlergehen kümmern. Mitte fünfzig bin ich plötzlich überall der alte Sack, auf den mitleidig geschaut wird.
„Also Jenny, asynchron ist wahrscheinlich zurzeit ziemlich angesagt, aber ich hätte die Haare auf beiden Seiten doch gern gleich lang.“
Jenny schmatzt beleidigt auf ihrem Kaugummi herum und hält mir die Finger an den Kopf, als ob sie mir ein Kaliber 36 reinjagen will. „Wieso? Ist doch gerade.“
Ich kapituliere. Mein Fehler, ich hätte schon gleich nach der Begrüßung aufstehen sollen. Als erstes hatte sie mich nach meinem Vornamen gefragt und was für einen Schnitt ich denn gerne hätte. Dann schmierte sie mit einem Filzer den Spiegel voll und las mir das Geschriebene wie einem Kleinkind vor. „Also Rainer, ich bin die Jenny. Du möchtest Kurzhaarschnitt ohne waschen, das macht 28 Euro.“
Na prima, doppelt so teuer wie bisher. Dafür windschief.
„Bekomme ich Rabatt, weil hinten nicht so viel abgekommen ist?“, frage ich. Das findet Jenny gar nicht witzig und begleitet mich schweigend zur Kasse. Ich gebe ihr trotzdem zwei Euro Trinkgeld, eben weil sie nicht mit mir geredet hat. Reine Dankbarkeit.
Ein letzter Blick in einen der Spiegel. Geht so, einigermaßen manierlich sehe ich aus. Immerhin. Ich treffe mich heute mit einer Frau. Da muss ich mir nämlich auch was Neues suchen. Vor einem Jahr hatte mir Frauke erklärt, dass sie sich weiterentwickelt hätte und ich mich nicht. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass sie sich hauptsächlich mittwochnachmittags weiterentwickelt hat. Und zwar immer mit meinem ehemaligen Kegelfreund Dieter. Dessen Frau Jutta war zeitgleich beim Yoga. Im Ergebnis gibt es nun vier Singles. Der Verlust Fraukes schmerzt mich schon lang nicht mehr, aber das Alleinsein belastet mich. Nicht so sehr, dass ich Fraukes Vorschlag auf Familienrückführung eingehe. Die soll bleiben, wo der Pfeffer wächst.
Das mit dem Internetportal habe ich nur kurz ausprobiert. Es war mir zu anstrengend, mich alle vierzehn Minuten neu zu verlieben. Nur tolle Frauen mit mega Fotos und herausragenden inneren Werten. Gerade die hatten nie Zeit oder Interesse. Alles gefakt.
Einmal war ich mit einer Chorkollegin unterwegs. Die fast zwanzig Jahre jüngere Sabine hatte an mir Interesse gezeigt und irgendwie schmeichelte mir das. Ich habe sie dann auch glänzend unterhalten, sie kam aus dem charmanten Lächeln gar nicht mehr heraus. Erste Zweifel kamen bei mir auf, als ich von meinen Kindheitserinnerungen erzählte und das mir Stragula immer noch so präsent sei. „Hach“, sagte sie, „das kenne ich: Stragula, das Monster aus der Tiefe. Ich finde diese B-Movies aus den Sechzigern ja auch mega. Super Trash.“ Das nahm ich gerade noch so hin. Als sie im weiteren Verlauf auch noch anmerkte: „Toll, das liebe ich an alten Männern. Die haben immer etwas zu erzählen“, war bei mir Schluss. Sie hatte wirklich „alte Männer“ gesagt. Erst wollte ich ihr anbieten, sie im Kadett nach Hause zu fahren, aber ich brachte den Abend noch recht freundlich über die Runden. Völlig inkompatible Erfahrungszonen. Ich treffe mich nicht mehr mit Sabine.
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