Unbekanntes Wien. Isabella Ackerl
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92. Einst ein mächtiges Gewässer: Der Wienfluss
93. Die Unterwelt des Harry Lime: Das Wiener Kanalsystem
94. Es werde Licht: Kommunale Beleuchtung
95. Gegenwelt zur imperialen Pracht:
Geheimgänge unter Wiens Prachtboulevard
RÖMISCHE AUSGRABUNGEN
AM HOHEN MARKT UND
AM MICHAELERPLATZ
Sie hatten Kanalanlagen, wie sie in Wien erst wieder im 19. Jahrhundert erbaut wurden, öffentliche Badeanlagen und selbstverständlich Fußbodenheizungen, denn das Klima in der Garnison an der Donau war im Winter doch rau. Ja, römische Offiziere lebten auch in den fernen Provinzen nach einem hohen Lebensstandard.
Bei Bauarbeiten in den Jahren 1948/1949, aber auch in späteren Jahren wurden unter dem Hohen Markt Häuser von Tribunen, ranghohen Offizieren des römischen Lagers Vindobona, gefunden. Die reich ausgestatteten Häuser standen an der Lagerhauptstraße, ihre Besitzer waren die neben dem Kommandanten höchstgestellten Personen der Lagerhierarchie. Unter ihrem Kommando standen etwa 7.000 Mann einer Legion.
Diese hoch stehende Zivilisation, die sich aus den Funden – Keramikscherben, Münzen, Metallgegenstände, Mauerreste, Wandbemalungen, Steindenkmäler – rekonstruieren lässt, wurde durch die Wirren der Völkerwanderung unterbrochen. In der Vita Severini des Eugippius († nach 533), der Lebensbeschreibung des hl. Severin, der im 5. Jahrhundert an der Donau missionierte, wird recht anschaulich beschrieben, wie sich die römischen Besatzer, die wahrscheinlich schon mehrere Generationen in Vindobona ansässig waren, nach dem Süden zurückzogen. Von der keltischen Bevölkerung und allen jenen, die nicht mit den Römern mitzogen, blieben nur wenige in der Stadt zurück. Sie flohen vor den hereinbrechenden Völkermassen in abgelegene Täler.
Die Stadt selbst wurde in den kommenden Jahrhunderten als riesiger Steinbruch genutzt, die Steine der Häuser fanden in neu errichteten Bauten Verwendung. So wurden für die Vorläuferkirche des Stephansdomes einzelne Steinplatten wieder verwendet, etwa die Grabinschrift eines Soldaten der 10. Legion, wie jüngste Ausgrabungen unter dem Dom bewiesen.
Anlässlich von Bauarbeiten auf dem Michaelerplatz wurden 1990/91 neben den Fundamenten des alten Burgtheaters und barocken Kellern Reste der canabae legionis (= Vorstadt des Legionslagers) entdeckt. Man fand Werkstätten, aber auch mit Wandmalereien ausgestattete Wohnhäuser. Um Wienbesuchern einen Begriff von der römischen Vorzeit der Stadt zu geben, wurde am Michaelerplatz ein Schlitz offen gelassen (Gestaltung Hans Hollein). In diesem „Schnitt durch die Zeit“ kann man auch römische Reste sehen. In römischer Zeit war der heutige Michaelerplatz der Schnittpunkt zweier wichtiger Fernstraßen: Die eine führte von Klosterneuburg entlang des Limes (= Grenzbefestigung entlang der Donau, wörtlich Schwelle) über die römische Zivilstadt am Rennweg nach Carnuntum, die zweite aus dem Südtor des Lagers nach Süden Richtung Aquae (= Baden), das schon damals wegen seiner Schwefelquellen ein beliebter Wellnessort war.
1010 Wien,
Hoher Markt 3 und Michaelerplatz (Autobus 1 und 2)
2. Der Drache
im Hausbrunnen:
DAS BASILISKENHAUS
In einer Nische am Haus Schönlaterngasse 7, dessen Grundmauern bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen, ist eine seltsame Plastik zu sehen, darunter befindet sich eine Wandmalerei mit einer Inschrift, die in längst vergangene Zeiten zurückführt:
Im Hausbrunnen des habgierigen Bäckermeisters Martin Garhiebl sei eine Art Drache heimisch gewesen, der jeden, der in seine Nähe kam, mit seinem Gifthauch getötet habe. Wer ihn aber erblickte, der musste das Zeitliche segnen. Nur der in die Tochter des Bäckermeisters verliebte Geselle habe Rat gewusst. Er habe dem Ungeheuer einen Spiegel vorgehalten, sodass dieses vor Schreck über seine eigene Hässlichkeit zersprungen sei. Diese alte Überlieferung wurde schriftlich erstmals von Wolfgang Lazius, Humanist und Professor der medizinischen Fakultät der Wiener Universität, Mitte des 16. Jahrhunderts festgehalten.
Ein – der Legende nach – beim Graben des Hausbrunnens im Jahr 1212 aufgefundener bizarrer Gesteinsbrocken wurde als ein Teil des sagenhaften Basilisken, eine Kreuzung zwischen Hahn und Kröte, gedeutet und erhielt noch zusätzlich eine Bemalung, um das Scheusal deutlicher erkennen zu lassen.
Naturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts wie der Geologe Eduard Suess haben den Gesteinsbrocken als Sandsteinkonglomerat und die giftigen Gase in einem Brunnen als austretendes Erdgas erklärt. Die Bezeichnung Basilisk soll auf einen Herrn Heinrich Pollitzer zurückgehen, der sich ganz bescheiden „Doktor der Weltweisheit“ nannte. Der ursprüngliche „Basilisk“ blieb nicht erhalten. Heute erinnert neben der merkwürdigen Figur, die aus der Mitte des 18. Jahrhunderts stammt, auch noch an der Rückseite des Hauses die Drachengasse, eine Sackgasse, die vom Fleischmarkt her führt, an diese Geschichte.
Die Menschen des Mittelalters ließen sich gerne von Versteinerungen oder eigentümlich geformten Gesteinen zu unheimlichen Geschichten inspirieren. So gab es mit Fossilien oder mit seltsam geformten Fischskeletten besonders in Frankreich und Flandern einen florierenden Handel: Man verkaufte diese Relikte als „Ungeheuer“ aus dunkler Vorzeit – die ewige Faszination des Wunderbaren oder Grausigen …
1010 Wien, Schönlaterngasse 7 (U1 Schwedenplatz)
3. Wiens griechisches
Viertel:
GRIECHENGASSE UND HAFNERSTEIG
Die Gegend um die Griechengasse zählt zu den ältesten Vierteln der Stadt. Vor allem Höhenunterschiede und Straßenverlauf lassen die Enge der mittelalterlichen Stadt deutlich erahnen. Schwibbögen und kaum mehr als eineinhalb Meter breite Gassen ließen seinerzeit höchstens ein Pferd passieren. Der geradezu hügelige Hafnersteig und der merkliche Niveau-Unterschied hinunter zum Donaukanal machen deutlich, dass der Hauptstrom der Donau einst meist träge dahin floss.