Ich bin am besten wie ich bin. Группа авторов

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Ich bin am besten wie ich bin - Группа авторов

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      Ich habe eine Maximalanzahl von Veranstaltungen als Referentin, die ich pro Jahr annehme. Normalerweise gehe ich bei der Annahme solcher Termine rein chronologisch vor. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Irgendwann ist die letzte Veranstaltung gebucht und zugesagt, und drei Tage später kommt eine Anfrage, die für mich sehr verlockend ist: nette Ausrichter, viele Besucher, angenehme Koordinatoren und auch noch gutes Honorar. Soll ich noch Ja sagen oder nicht? Es ist eine Veranstaltung, die erst in etwas über einem Jahr im Herbst stattfinden soll. Jetzt ist es Sommer, ich bin gut erholt und ausgeruht und habe das Gefühl, viel Kraft zu haben. Aus Erfahrung weiß ich aber, dass nach einer Reihe von Terminen meine Kraft nachlässt und ich aufpassen muss, mich nicht selbst zu überfordern – was machen? Das ist für mich eine schwierige Entscheidung.

      Ein weiteres Beispiel:

      Tante Irmchen möchte uns besuchen. Tante Irmchen geht es nicht so gut. Sie hat eine längere Krankheit hinter sich und ist ein bisschen depressiv, sie ist sehr auf Ordnung und Sauberkeit bedacht und sagt gerne (auch ungefragt) ihre Meinung über alles und jeden. Tante Irmchen lebt allein und klagt über Einsamkeit. Ich möchte Tante Irmchen nicht zu Besuch haben – gerne mal für ein Wochenende, aber nicht für zwei Wochen. Ich würde mich verpflichtet fühlen, sie zu unterhalten, jeden Tag lecker zu kochen, ständig zu putzen und aufzuräumen und ihr als Seelentrösterin zur Verfügung zu stehen und auch für Besuch in unserem Haus zu sorgen. Dazu habe ich aber weder Zeit noch Kraft noch Lust.

      Aber ist meine Lust wirklich eine ausreichende Begründung, ihr abzusagen? Sollen wir nicht nett sein zu Senioren (schließlich werde ich auch in absehbarer Zeit eine solche sein, und nach Meinung meiner Kinder ist die verbleibende Zeitspanne gleich null)? Ist es da nicht mangelnde Nächstenliebe, wenn ich Tante Irmchen absage? Bin ich nicht eine Egoistin, wenn ich auf meine Kräfte und meine Arbeit verweise? Was ist, wenn Tante Irmchen in der Familie rumerzählt, dass ich sie nicht haben will, wo sie doch alt und krank ist und sich früher immer so rührend um mich gekümmert hat ...

      Ich weiß nicht, was ich Tante Irmchen auf ihre Anfrage antworten soll, und habe das Gefühl, die Wahl zwischen Pest und Cholera zu haben. Entweder Tante Irmchen denkt schlecht über mich (und sagt schlimmstenfalls auch noch weiter, was sie denkt), oder ich stelle mir selbst ein Bein, indem ich mich mit etwas überfordere, was ich zusätzlich zu meinen anderen mannigfaltigen Aufgaben einfach nicht bewältigen kann. Ich habe die Wahl – na toll!

      Es gibt solche Entscheidungen auch in Bezug auf unsere Gesundheit: Soll ich mir ein künstliches Hüftgelenk einsetzen lassen und Schmerzen sowie eine lange Genesungszeit in Kauf nehmen? Ohne Garantie, dass ich hinterher wieder herumspringen kann wie ein junges Reh? Oder geht es auch noch eine Weile so, mit Schmerzen, Bewegungseinschränkung und Angewiesensein auf Schmerzmedikamente? Wieder die Wahl zwischen Pest oder Cholera: entweder Schmerzen, lange Zeit der Genesung, eventuelle Komplikationen oder weiter mit den Schmerzen leben – auch ganz toll.

      Oder noch eine nicht selten vorkommende Situation: Die Eltern werden gebrechlich und können nicht mehr allein leben. Ich weiß, dass es die eigene Familie belasten wird, wenn sie zu uns ziehen – aber kann man so etwas wirklich aussprechen? Soll man nicht Vater und Mutter (und auch Schwiegervater und Schwiegermutter) ehren? Haben sie nicht ein Recht auf unsere Versorgung? Wenn ich Nein sage zu dem Plan, bin ich die böse, hartherzige Tochter/Schwiegertochter, sage ich Ja, setze ich meine Ehe und den Familienfrieden aufs Spiel.

      Ähnlich kann es auch sein, wenn erwachsene Kinder, die schon auf eigenen Füßen gestanden haben, wieder „zu Hause“ einziehen wollen, statt sich ein eigenes Zuhause einzurichten.

      Oder noch ein Beispiel aus dem Beruf: Soll ich es weiter mit einem cholerischen Chef aushalten, der zwar ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen führt, seine Angestellten aber wie inkompetente Leibeigene behandelt? Oder soll ich es lieber wagen, zu kündigen und mich selbstständig zu machen, auch auf die Gefahr hin, auf dem Bauch zu landen?

      Solche Entscheidungen will ich gar nicht treffen. Und eine Wahl zwischen Pest und Cholera ist keine echte Wahl. Am Ende stehe ich immer dumm da und bin die Gelackmeierte. Dagegen ist die Pullinummer aus dem Versandhauskatalog doch eine Kleinigkeit und die Auswahl von der zu umfangreichen Speisekarte eine Lachnummer.

      Die vermeintlich einfachste Lösung in solchen Situationen ist es, das Problem einfach auszusitzen. Ich stelle mich tot und warte einfach ab.

      Bei den Hüftgelenken mag das ja vielleicht noch funktionieren – irgendwann werden die Schmerzen so unerträglich, dass ich einwillige. Im Fall von Tante Irmchen merkt sie ja vielleicht selbst, dass ihre Besuchs­idee für uns weniger prickelnd ist als für sie. Vielleicht findet sich auch andere Verwandtschaft, bei der sie bleiben und ein bisschen Abwechslung finden kann ... vielleicht. Aber bis dahin bin ich ständig in einem angespannten Schwebezustand. Was, wenn sie anruft und nachfragt? Was, wenn sie anderen Verwandten erzählt, wie hartherzig und egoistisch ich bin?

      Was ist, wenn den gebrechlichen Eltern bzw. Schwiegereltern allein zu Hause etwas passiert? Und auch hier das schlechte Gewissen. Sie haben uns doch auch großgezogen – dürfen wir da jetzt Nein sagen?

      Und man kann doch eigentlich den eigenen Kindern nicht das Elternhaus verweigern – oder?

      Es ist eine innere Dauerbeschallung mit Argumenten und Gegenargumenten, die einem die gesamte Kraft nehmen kann.

      Okay – also Aussitzen klappt nicht so gut. Sicher, ich kann mich dabei ganz gut als Opfer darstellen (andere oder das „Schicksal“ haben mich in diese Situation gebracht, da kann doch keiner verlangen, dass ich mich entscheide, ich habe ja schließlich nicht Schuld an der Situation), und in dieser Opferrolle kann ich auch ziemlich lange verharren. Viele Frauen, die ich kenne, tun dies, bis entweder ihre Gesundheit oder ihre Familiensituation sie zwingt, sich zu bewegen und zu entscheiden. Aber mit aktivem, selbst gestaltetem Leben und innerer Freiheit hat das wenig zu tun. Und für mein Empfinden hat es auch wenig mit Nächstenliebe zu tun, weil diese Haltung auch fast immer etwas Vorwurfsvolles hat: Die anderen haben Schuld an meiner Misere. Ich kann doch gar nichts machen, bin Opfer der Umstände!

      Also Aussitzen klappt nicht. Was dann? Natürlich: Ich kann mir Ratgeber suchen – das ist doch immer eine gute Option. Dann suche ich mir eine Vertrauensperson, meine beste Freundin zum Beispiel, die weiß, wie ich ticke, und wird mir schon sagen können, was ich tun soll.

      Das ist ein naheliegender Ausweg, aber auch der hat seine Tücken, denn die Freundin ist eben nicht ich. Sie kennt mich zwar, aber ich merke fast immer, wenn ich jemanden um Rat frage, dass er/sie letztlich aus der eigenen und nicht meiner Situation heraus argumentiert. Ratgeber reden in der Regel über sich selbst – und das ist auch völlig normal. Sicher, Ratgeber sind oft eine Hilfe, können uns vielleicht neue Impulse geben, unseren Blick schärfen für bisher nicht Bedachtes – aber eine Garantie für eine „richtige“ Entscheidung können sie nicht sein. Also die Sache mit den Ratgebern ist vielleicht eine Hilfestellung, aber nicht der Weisheit letzter Schluss.

      Was nun?

      Vielleicht ist das Allerwichtigste bei solchen Entscheidungen, sich bewusst zu machen, dass ich immer eine Wahl habe. Ich bin nie nur Opfer. Ich darf entscheiden, und es ist ganz normal und auch völlig in Ordnung, Entscheidungen zu treffen, die sich später als „falsch“ erweisen. Und noch normaler ist es, dass meine Entscheidungen nicht jedem recht sind. In manchen Situationen gibt es keine „richtige“ Entscheidung, sondern einfach nur eine Entscheidung.

      Unsere eineiigen Zwillingsmädchen sind gerade 18 geworden – jetzt können sie eeeendlich Piercings und Tattoos an sich anbringen lassen, weil sie unsere Erlaubnis nicht mehr brauchen (die sie nicht bekommen haben, weil mein Mann und ich nicht so auf Körperschmuck stehen und weil die Folgen irreversibel sind). Für Li, die ältere, war es die richtige Entscheidung, ohne Körperschmuck zu bleiben, für Lo, die jüngere,

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