Majdanek. Mordechai Strigler

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Majdanek - Mordechai Strigler

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zu wecken, es zu lesen. Denn sobald der Leser anfangen wird es zu lesen, wird er nicht mehr aufhören können. So war auch meine Erfahrung.

      Nicht deshalb, weil das Buch lieblich ist.

      Sondern deshalb, weil das Buch bitter ist − gallebitter. Aber von jener scharfen Bitterkeit, die mit aller Intensität von des Menschen Schicksalshölle widergespiegelt wird.

      Und Strigler war in der allerschlimmsten Hölle − in Hitlers Inferno; was er dort sah, hat nicht nur mit Hitler, nicht nur mit Nazideutschland zu tun, sondern mit dem ganzen Menschengeschlecht. Er sah das Grauenhafteste in der grauenhaftesten längsten Nacht, und − er sah auch den Juden in der längsten Nacht, und − auch sich selbst in der nämlichen Nacht.

      Er stand nicht nur einmal in Gefahr, innerlich verletzt zu werden, eine Gefahr, die schwärzer ist als der Tod und das Umkommen selbst, aber sein Charakter, sein eigener Verdienst, diese wundersame Kraft stand ihm bei.

      Er kam heil heraus, innerlich gerettet, aber angefüllt mit Gräuelerlebnissen, mit einer Erfahrungsreife, mit Beobachtungen, welche wert sind, entdeckt zu werden. Die Schwere der Last liegt auf seinen strapazierten jungen Schultern und treibt ihn mit Nachdruck, ein ums andere Mal, das Durchgemachte, das Erlittene neu zu erleben. Er jagt wieder mit größter Anspannung durch das Höllenlabyrinth und wir folgen ihm.

      Seine Sinne sind wach, hochsensibel. Ebenso sein Gedächtnis. Er überwältigt uns und reißt uns mit. Wir können nicht stehenbleiben. Wir müssen ihm folgen. Wir müssen sehen, was er uns enthüllt. Das Unheimlichste. Wir müssen es sehen.

      Ich sage noch einmal: Striglers »Majdanek« braucht keine Empfehlung. Meine Begleitworte sind Ausdruck der Anerkennung für einen jungen Kollegen, der sich aus der Zerstörung erhoben hat und dessen Sendungsdrang nicht ruhen wird, ehe er uns alle mit seinen Erlebnissen bereichert hat.

      Er ist dazu berufen.

      »Verloschene Lichter« nennt Strigler den Zyklus. Aber aus diesem Verloschenen zündet Strigler neue Lichter an, sowohl Lichter des Gedenkens als auch Lichter des Glaubens daran, dass die allerfinsterste noch lange nicht unsere allerletzte Erfahrung ist.

      Mehr noch − die verloschenen Lichter selbst entzünden sich erneut.

      H. Leivick

      New York, Juli 1947

      Schon ein Jahr ist es her, dass der Verfasser dieses Buches aus dem Konzentrationslager befreit wurde. Im Laufe dieser Zeit begann er wieder, seine Gedichte und politischen Artikel zu schreiben. Eine Art verborgener Angst hielt ihn davon ab, die sechs Jahre zu berühren, die er in so vielen Ghettos und KZs verbrachte. Er schreckte davor zurück, diesen ganzen Erlebnissen noch einmal zu begegnen und ihnen noch einmal von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Er wartete mit klopfendem Herzen ab, ob nicht irgend jemand käme und die schwere Aufgabe auf sich nähme; er bräuchte sich dann dieser großen Last nicht anzunehmen, eine Generation so entblößt zu schildern, wie sie es faktisch gewesen ist. Er wies jeden Vorschlag, Erinnerungen zu schreiben zurück, las alles, was geschrieben wurde über das, was geschah, in der Hoffnung, dass dieser Gräuel-Epoche über kurz oder lang Gerechtigkeit widerfahren würde. Leider ist das bis heute nicht geschehen. Es ist noch niemandem eingefallen, dass man auch über unsere Märtyrer wie über Menschen aus Fleisch und Blut schreiben muss, deren menschliche Gestalt abertausende Male am Tag geschändet wurde. Alles, was über unsere Epoche geschrieben wurde, drehte sich nur um die Details. Das Allerwichtigste war deshalb nicht erkennbar. Aber etwas muss doch über den inneren Schmerz erzählt werden, über den tiefen psychologischen Kampf und den so menschlichen Schmerz einer Generation im grauenvollen Untergehen. Aber dann konnte der Verfasser nicht mehr, und schweren Herzens, mit einem inneren Zittern und einem Fluch auf den Lippen auf diejenigen, die uns auf diesen Weg geführt hatten − nicht nur des physischen, sondern auch des geistigen langen Todeskampfes − setzte er sich daran, seiner übermenschlich schweren Verpflichtung nachzukommen. Anstatt wie alle jungen Menschen seines Alters bei anderen Völkern über Sonne, Luft, Licht und Lebensfreude zu schreiben, bestimmte das unbarmherzige Schicksal ihn dazu, der Chronist des Untergangs seines heiligen Volkes zu werden. Des Volkes, für dessen Aufbau er mit Freude seine Jugend und sein Leben gegeben hätte.

      Groß ist aber die Verantwortung. Man muss es für alle Zeiten festhalten. Die Welt, selbst die jüdische, weiß noch gar nichts davon, was tatsächlich passiert ist! Und sie muss es wissen! In allen Einzelheiten. Denn auch das Gezanke um einen Bissen Brot, das Hereinschmuggeln eines Stückchen Goldes, die tagtägliche, immerwährende Qual des Verhängnisses, in welchem man oft den Menschen in sich vergaß, auch dieses war ein Menschenopfer, der Ausdruck des menschlichen Martyriums, des jüdischen Märtyrers. Gerade in dem typisch Menschlichen, in dem Alltäglichen, liegt das Heroische im Opfertod eines Volkes, das als Menschen zur Schlachtung ging.

      Der Verfasser möchte nicht einfach heldenhafte Geschichten erzählen, keine hervorstechenden Einzelfakten, denn damit würde man über sie, die echten Märtyrer, gar nichts erzählen, sondern nur über abstrakte Gestalten, die sie nicht verkörpert haben. Soll also dieses Buch, wie auch die weiteren Teile, alles über sie erzählen, jede Regung verzeichnen, jedes Auf und Ab in den letzten Minuten, soll es der wahre Grabstein auf ihren verlorenen Knochen sein.

      Der Verfasser weiß, dass möglicherweise viele nur Engelsbeschreibungen erwarten − auch das hat ihn bisher davon abgehalten, seine Schilderungen zu veröffentlichen − er will aber denen treu bleiben, die bloß wegen der Bösartigkeit anderer umkamen. Er will nur über sie schreiben und nur sie, so wie sie gewesen sind, verewigen und nicht die, die jemand in seiner Fantasie sehen will. Genau deshalb werden seine Bücher so geschrieben, wie sie sind. Möge ihr heiligmenschliches Andenken damit gesegnet werden. Und mögen ihre im Leben geschändeten Seelen ihre Anklage hinausschreien gegen die Verbrecher an Leib und Seele bis in die Tiefe aller Zeiten.

      Mordechai Strigler

      Paris, im Mai 1946

      Majdanek

      I

      In jener Nacht wurden alle irgendwie von Unruhe befallen. Schon seit Wochen gingen allerlei Gerüchte um, dass unser Arbeitslager in Zamość liquidiert werden würde. Von verschiedenen kleineren Lagern in der Umgebung trafen Nachrichten ein, eine schrecklicher als die andere. Die große »Aktion«, die Lubliner Gegend von den restlichen Juden zu säubern, hatte begonnen. Bei Nacht wurden die Städtchen umstellt und geleert bis auf den letzten Juden. Der Hurrikan begann, auch die Lager eins ums andere zu erfassen. Im ganzen Umkreis wurde es immer leerer und leerer. Immer wieder kamen neue Nachrichten:

      Alle Juden von Łabunek erschossen!

      Izbica1 wurde liquidiert!

      Krasnyk!

      Und jedes Mal aufs Neue gefror einem das Blut in den Adern.

      Nur unser Lager wurde nicht angerührt. Jeden Tag rechneten wir damit. Alle waren vorbereitet, das Schicksal anzunehmen, das mit seinem Feuerschwert von Ort zu Ort zog; alle Rechnungen waren abgeschlossen, die Seele wie versteinert. Es sah aber so aus, als habe man uns vergessen. Und wieder läuft die Arbeit normal. Die SS-Leute gehen weiterhin mit finsteren Gesichtern umher und schweigen. So vergehen Tage und Wochen in höchster Anspannung.

      Aus und vorbei. Alles um uns her ist schon »judenrein« und nur wir sind geblieben wie eine Insel inmitten eines offenen, aufgepeitschten Meeres. Werden auch wir an die Reihe

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