Majdanek. Mordechai Strigler

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Majdanek - Mordechai Strigler

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Männer über Frauen, und man spürte nicht einmal, wann man fiel und wann man wieder aufstand. Die ineinander verflochtene Menge wurde von schwarzuniformierten Volksdeutschen tiefer in den Hof hineingedrängt. Dort begann man, mit Hilfe von Gummischläuchen gerade Reihen aufzustellen.

      So wie die Panik noch vor ein paar Minuten die Menge aufgewirbelt hatte, entfaltete sie jetzt eine suggestive Wirkung in entgegengesetzter Richtung. Sie tötete in jedem den unbändigen Drang zu laufen, zu ungezügelter Bewegung. Der Schreck stellte die Menschen auf wie gespannte Saiten und formte aus ihnen gerade Fünfer-Reihen. Der jüdische »Lagerkommandant« kam mit seinen Gehilfen gelaufen. Er war erschrocken, und doch fühlte er sich etwas dreister. Er ging mit untertänigem Lächeln zu seinem Oberscharführer:

      Muss ich mich auch in die Reihe stellen, mit all den anderen?

      Jener aber kannte ihn bereits nicht mehr. Sein Blick schaute über ihn hinweg, irgendwo in die Ferne. Er gähnte nur träge in seiner frühmorgendlichen Schläfrigkeit und brummte mit einem langen Gähnen:

      Natürlich!

      Der Kommandant wollte noch etwas sagen, etwas erklären, aber eine feste Hand griff ihn und stieß ihn in die Reihe. Es war nichts zu machen. Jemand in der Reihe wollte sich selbst einreden:

      Es könnte doch sein, dass es bloß ein allgemeiner Appell ist, und gut möglich, dass man vielleicht nur einen Teil raussuchen will, die Schwächeren?

      »Die Schwächeren«, ein Begriff, der schon immer den Kampfeswillen in den kräftigsten jüdischen Muskeln abtötete. Doch die Zeit ließ kein langes Nachdenken zu. Die SS-Männer auf den Lastautos langweilten sich. Von dort kamen ständig Schreie:

      Schneller da! Schneller mit der Schweinebande!

      Und wieder begann das Treiben. Dieses Mal durch das Tor auf die Rampe hinauf.

      Das Beladen der Lastwagen ging schnell. Zuerst besetzte man die Wagen dicht an dicht, dann warf man die Letzten hinauf über die Köpfe der anderen. Man wurde hineingepresst und einer verflocht sich mit dem nächsten. Es war nicht möglich, sich aufzurichten oder einen Fuß zu bewegen. Man musste mit gekrümmtem Rücken dasitzen und auf dem Buckel diejenigen tragen, die sich nicht in das Gedränge hineinquetschen konnten. Jemand wollte sich aus einer Ecke heraus aufrichten, um sein eingeschlafenes Bein unter einem anderen hervorzuziehen. Doch ein Schlag von der Seite ließ bei ihm das Blut fließen und ihn in einer erstarrten Position sitzen bleiben.

      Als letzte sprangen die SS-Leute auf. Sie traten mit den Stiefeln über die Köpfe und schlugen sich durch bis zum Dach des Busses. Fünf Begleiter auf jedem Auto wachten über die Bewegungen. Als ob es möglich gewesen wäre, sich aus diesem zusammengepressten Gemenge menschlicher Gliedmaßen herauszureißen.

      Schon sind die Frauen auf den letzten Wagen verladen. Ein paar Wachmänner springen zufrieden auf den Wagen hinauf und amüsieren sich reitend und Stiefeltritte austeilend auf den gekrümmten zarten Frauenrücken. Unsere nächtlichen Wächter und die uniformierten Volksdeutschen bleiben am Tor stehen. Auf ihren Gesichtern ist freudige Ungeduld zu erkennen. Sie wissen, dass die Juden allerlei Sachen und Gold versteckt haben. Sie warten nur auf die Gelegenheit, dass man ihnen erlaubt, wieder hineinzugehen und das Lager zu durchsuchen. Dem Chef des Transports ist die ganze Sache schon zuwider. Er beeilt sich, er will nicht einmal hören, was der Oberwachmann ihm auseinandersetzen will. Der will ihn, so sieht es aus, davon überzeugen, dass noch etliche fehlten und man deshalb so lange suchen müsse, bis man sie gefunden habe. Der Transportchef will aber nichts davon hören. Er schreit nervös auf den Oberwachmann ein. Abgerissene Satzfetzen gelangen bis zu uns:

      Erschießen … und fertig!

      Es kommt das Zeichen für die Fahrer. Die Autos lösen sich erschrocken von der Stelle, wie aus tiefem Schlaf aufgeschreckt. Die Wachmänner am Tor verabschieden uns spöttisch:

      He, Jiddelech! Führt euch dort ordentlich auf, in Majdanek!

      Ein feuriger Blitz zuckt durch unsere Adern:

      Majdanek! … Majdanek!

      III

      Die Autos bewegten sich schnell über den glatten Asphalt der Lubliner Landstraße. Es war ein wunderschöner Vorabend des Schawuotfestes.2 Die Sonne hatte sich herausgeputzt wie eine junge Braut mit golden strahlender Brosche und neckte spielerisch die jungen, aufgeregten Gräser an den Wegen. Ein milder Wind schmiegte sich verliebt an ihre Füße und schüttelte eifersüchtig die Köpfchen der Grashalme, die die Liebkosungen der Sonne genossen. Da und dort hob sich ein Kopf, wollten Augen, nur für eine Minute, ein Bad in der grünen Weiträumigkeit nehmen und vom lächelnden Spiel der Natur naschen. Ein Hagel aus Schlägen erstickte aber dieses letzte Aufwallen und trieb die Köpfe wieder hinunter. Der Motor rauschte und schleuderte zornig Wolken von Rauch hervor, so dass der erschrockene Staub über die Wege zerstob. Alle, die noch atmeten, schwiegen und sogen den Autolärm in sich auf. Die Schwächeren fingen an zu keuchen vor Atemnot. Ein Arm riss sich in hilfloser Unbedachtheit aus der Umklammerung in die Höhe, um eine bessere Lage zu finden. Der Ärmel rutschte hoch und etwas Rundes blitzte in der Sonne auf.

      Der rothaarige Wachmann gegenüber bemerkte etwas. In seinen versteinerten gelblichen Augen funkelte ein tanzendes Flämmchen auf. Er sprang vom Dach der Fahrerkabine und streckte sich über die gebeugten Köpfe. Er war ganz erhitzt vor Zorn und Begehren:

      Wer hat da eine Uhr, wer?

      Alle schwiegen. Die anderen Begleiter kamen ihm zu Hilfe. Sie schlugen die Köpfe und fluchten zeternd. Sie konnten aber nichts feststellen. Alle Körper waren so zusammengepresst, dass eine Kontrolle nicht möglich war.

      Der Rotschopf brannte vor Zorn. Seine flammenden Haare röteten sich zusammen mit seinem zornigen Gesicht. Er bewegte sich über die Köpfe, von einem zum anderen, seine Hände tasteten über Rücken, auf der Suche nach etwas. Seine Finger tauchten in die Tiefe von jemandes Tasche hinein und zogen von dort ein verknotetes, schmutziges Tuch heraus. Er wickelte es auseinander und holte zwei 500er Scheine heraus. Einer seiner Kameraden warf einen neidischen Blick auf das Glück des Rothaarigen und stimmte ein Geheul an:

      Was? Ihr habt Geld bei euch? Ihr Teufelsbrut! Wofür braucht ihr das alles, was ihr dabei habt? Man bringt euch doch nach Majdanek.

      Die Leute aber, als ob sie sich durch eine geheime Körpersprache lautlos abgesprochen hätten, schwiegen. Und selbst wenn jemandem die Schläge so verleidet gewesen wären, dass er in Gedanken bereit wäre, alles herzugeben, um den wüsten Schlägen ein Ende zu bereiten, wäre es ihm gar nicht möglich gewesen, einen Arm aus dem Gedränge herauszuziehen. Es verspürte auch niemand Lust, auch nur das kleinste Wort durch die eingetrocknete Kehle herauszulassen. Insbesondere die Gliedmaßen der Nachbarn drum herum schrien sich durch die verschwitzte Wärme des Blutes zu: Schweig! Sei still!

      Alle ertrugen mit eigenartiger Geduld die Schläge und das Geschrei.

      Aus der Ferne tanzte uns inzwischen ein Netzwerk aus Drähten entgegen. Die Autos gaben ein schweres Krächzen von sich und blieben stehen. Schwarze Schilder mit knöchernen Totenköpfen kündeten am Tor, dass sich hier das Reich des Todes öffnete.

      I

      Vom Konzentrationslager Majdanek hörte ich schon vor Monaten. Schon zu der Zeit, als dort das provisorische Ghetto der Lubliner Juden war. Später gingen in allen Lagern entsetzliche Gerüchte um, was in Majdanek geschah. Es sei kein »normales« Tötungslager − vor so etwas erschrak man schon gar nicht mehr − sondern etwas, das noch mehr war als Tod, noch mehr als Folter.

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