Majdanek. Mordechai Strigler

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Majdanek - Mordechai Strigler

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ist der Tod! Ich wachte auf und wunderte mich über mich selbst: Warum habe ich es bis jetzt nicht gesehen? Wie schafft man es zu leben in einer Welt, wo man dermaßen schläft? Die Gefahr bricht in Lachen aus, aus jedem Winkel tönt ihr Gelächter über meine machtlose Erkenntnis. Mein Verstand wird plötzlich gesprächig und ich lausche mit beiden Ohren:

      Nein! Er wird es nicht lange halten, der Deutsche, dieses Lager mit Menschen, aus denen die Müdigkeit herausschreit und aus deren Augen ständig die Furcht blickt. Sprechen ihre Münder nicht instinktiv über den Tod, der sicher kommen muss? Ich fühle mich hier plötzlich wie ein Fremder, ein Verlassener. Der Schweiß bricht mir aus: Was tue ich hier? Was tue ich hier? Von allen Seiten schreit es auf mich ein: Flieh! Flieh! Sogar ohne ein »Wohin?«. Nur mit solchen erschöpft Schlafenden nicht zusammen sein!

      Mein Kamerad hatte sich inzwischen wieder hereingeschoben durch die Tür. Seine Schritte hatten während des Weges den fieberhaften Schwung verloren, seine Augen waren draußen erloschen. Er sah schlapp und halb bewusstlos aus. Als er näher kam, winkte er nur kummervoll mit beiden Händen wie eine geschächtete Gans mit den Flügeln und brachte kaum noch einen schwachen, verzweifelten Ton heraus:

      Zu spät!

      Zugleich aufgeregt und benommen erzählte er:

      Verstärkte Wachen um das Lager herum, alle zwei Schritte ein Posten. Diesmal döst keiner von ihnen an die Wachbude gelehnt. Durch einen kleinen Spalt im Zaun sah er, wie alle Augen auf das Lager gerichtet waren.

      Ich weiß nicht, wen ich damals beruhigen wollte: ihn oder mich? Vielleicht wollte ich auch nicht den Toten auf ihren Lagerstätten das letzte Lächeln rauben, das sie im Traum bei ihrem Kind sahen. Die Gedanken scherten sich schon damals um keinerlei Kontrolle und spazierten im Kopf umher, wie es ihnen gefiel. Nicht auf meine eigene Rede achtend, sprach ich zu ihm und bat ihn: Still! Ruhig! Wecke sie nicht auf!

      Ohne es selbst zu wissen, spürte etwas in mir, dass die letzte Stunde der nächtlichen Stille geschlagen hatte. Jetzt wollte ich sie noch einen Moment aufhalten, nur noch einen Moment, solange, bis alles von selbst geschehen würde.

      Und die Stunden haben sich einschläfern lassen, wie Kinder, die lange geweint hatten.

      III

      Halb drei. Eine Gestalt, halb nackt, klettert von einem Etagenbett herab und geht hinaus, in den Augen kleben noch Reste von warmem Schlaf. Das Klosett ist dicht bei den Drahtzäunen, neben einem Wachhäuschen, und es ist zu schade, für diesen Gang von nur wenigen Minuten aufzuwachen. Die Füße scharren beim Gehen und die Augen fallen immer wieder zu.

      Zurück kommt er schnell und aufgeregt. Alles in ihm bebt; wie benommen geht er mit wildem Geheul auf den erstbesten am Rand Schlafenden zu:

      Und ihr schlaft? He, ihr schlaft?

      Da schüttelt er bereits den in Schlaf Versunkenen mit der ganzen Kraft seiner knöchernen Finger, als ob er die Gefahr höchstpersönlich gepackt hielte. Aber er lässt schnell ab von ihm, greift sich mit den Händen in die zerwühlten Haare und bricht in Gejammer aus:

      Wir sind verloren! Verloren!

      Der Klang seiner Stimme erinnert an den resignierten Ton eines abgelaufenen Weckers. Instinktiv gehe ich zur Tür. Ich will sehen, was draußen vor sich geht. Der neugierige Mündungslauf eines Maschinengewehrs versperrt mir den Weg mit einer Frage auf Deutsch:

      Wohin?

      Ich weiß selbst, dass ich mich mit meiner Antwort lächerlich mache:

      Ich muss nötig, auf den Abort …

      Die Büchse hat aber offensichtlich keine große Lust, mit mir zu debattieren. Sie schleudert mir nur ein Wort entgegen, in dem die Drohung aller Todesstrafen mitschwingt:

      Zurück!

      Zu allen Barackenfenstern sieht man Augen hereinfunkeln. Wehe mir! Wie viele finstere Zornesblicke! Die hat der Todesengel persönlich auf nächtlichen Wegen hinuntergeschickt ins Lager.

      Jeder rappelt sich hoch mit einer eigenen Wehklage:

      Wehe uns! Das Lager ist umstellt! Umstellt!

      Alle schreien gleichzeitig, ringen die Hände. Zitternde Finger beginnen unsinnigerweise, alle Lampen anzuzünden. Ein Hämmern an die Scheiben warnt:

      Licht aus!

      Geräusche von Schüssen wandern umher über das Barackendach mit boshaften, eilenden Schritten und lassen den anbrechenden Tag vor Schreck erblassen. Dem neuen Tag ist nicht besonders froh ums Herz. Er schaut trüb und grau herein durch die Scheiben und es scheint, damit wolle er sich wegen seiner Machtlosigkeit rechtfertigen:

      Ich kann euch gar nicht helfen, Kinder. Ich habe nicht die Kraft dazu.

      Und mit einem Mal spüren alle über sich die Flügel des Todes. Mein Kamerad Itzel zerreißt voller Zorn seine paar Hunderter-Geldscheine. Sie wehen in kleinen Fetzen über die ganze Baracke. Ich finde ein Päckchen Streichhölzer und reibe mit mutwilliger Absicht eines davon an. Ich will damit einen Strohsack anzünden, es soll alles drumherum in Flammen aufgehen! Meine Gedanken rufen mir mit großer Klarheit in Erinnerung, dass es um uns herum ein großes Lager mit vollen Benzinfässern gibt, und wir könnten gemeinsam mit unseren Bewachern in die Luft fliegen. Ein gehetzter Blick zur Seite lässt mein Streichholz verlöschen. Hände reißen mir die Schachtel aus den Fäusten. Jemand zügelt mich mit der Frage: Du weißt schon alles ganz sicher? Ich schweige verschämt. Verloren suchen meine Hände etwas. Sie fingern fiebrig in allen Taschen herum und können doch nichts finden. Sechs Monate lang trug ich ein Päckchen Gift mit mir herum. Ich hütete es und versteckte es bei jeder Durchsuchung, die im Lager stattfand. Es erleichterte mir beständig die Gedanken an meine letzten Minuten. Wenn die Zeit kommt, besänftigte mich die Hoffnung, werde ich tun, was nötig ist und damit dem schmutzigen Tod durch ihre Hände entkommen. Jetzt suche ich in den Hosentaschen, im Bettrand, auf der Erde. Verzweiflung umklammert mich, weil ich den Tod in der eigenen Tasche nicht finde. Wie im Nebel erinnere ich mich, dass ich ihn in meinem alten Kittel vergessen habe, auf der Arbeitsstelle.

      Mein Alter Ego hänselt mich wegen meiner Gefühle: Was ist, gnädiger Herr? Sogar den Tod willst du anders haben, abgesondert von den anderen? Zehn Minuten, bevor alle umkommen, willst du auf besondere Art sterben, damit man dich und dein Verlöschen bemerkt und über dich redet?

      Machtlosigkeit zerreißt mir das Herz und zerstreut meine Gefühle in alle Richtungen. Ich verliere den selbstständigen Gedankengang und gehe unter im allgemeinen stürmischen Gewirbel. Bald aber spüre ich, wie eine tollkühne Klarheit mich erfasst und mich in einen abgelegenen Winkel treibt.

      IV

      Inzwischen sind alle Leute hier verrückt geworden. Der kleine Josef-Ozer schraubt die Seiten der Betten auf. Sie streben auseinander wie entfernte Verwandte und die Bretter in der Mitte fallen mit einem resignierten Ton heraus. Und mitten im allgemeinen Geschrei und Gejammer steht der kleine Lausebengel und kugelt sich vor kindlichem Gelächter darüber, dass ganze Betten, die solange menschliche Körper auf ihren Rücken getragen haben, jetzt durch nur eine Bewegung seiner halbkindlichen Hände auseinanderfallen. Es fliegen Strohsäcke herum, vergessene Knöpfe, Lagerlöffel, ein aufbewahrtes Stück trocken Brot; wie es scheint hat der Kleine schon lang mit solchen boshaft-zerstörerischen Gedanken gespielt. Nur die allgemeine, strenge Ordnung hielt ihn davon ab. In dem jetzt herrschenden Tumult lässt der 15-Jährige seinen Begierden freien Lauf, sein Gesicht strahlt mit allem Glück der Welt.

      Es sind schon etliche

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