Malefizkrott. Christine Lehmann

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Malefizkrott - Christine Lehmann

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um sieben am Tor?«

      Mein Kleiderschrank stand im Badezimmer, das größer war als meine Schlafzelle. Nach dem Brand in der Wohnung über mir und dem Wasserschaden hatte ich mit dem Gedanken gespielt, die Neckarstraße aufzugeben. Aber ich war sowieso nie richtig eingezogen. Warum nicht die Chance nutzen, aus der Behausung eine Wohnung zu machen? Überlebt hatte nur der alte Kneipentisch und seine vier Stühle. Der Rest war neu: Küche, Tapeten, Sofa, Fernseher, Regale im Schlafzimmer für die Bücher, die ich bisher in Pappkartons unterm Bett gelagert hatte, der Kleiderschrank und der Teppich im Badezimmer, in das ich außerdem ein rundes Tischchen und zwei Designerplastikschalensessel gestellt hatte, einfach nur, weil sie gut aussahen.

      Auch wenn das Schöne und Unnütze schleichend Macht über mich gewann, für meinen Auftritt bei einer schöngeistigen Veranstaltung und die Begegnung mit einer jungen – sicherlich hübschen – Autorin brauchte ich was Abschreckendes.

      Ich ließ die Lesben-Konzepte Revue passieren. Wenn Männer sich nach Gusto anziehen, geht es nicht darum, gut auszusehen, sondern zum Fürchten. Früher hatte man Messer und Kriegsbemalung, heute gibt es bollerige Jeans, Ringelshirts und bunte Windjacken. Für den Business-Auftritt hat die Lesbe einen dunkelgrauen Dreiteiler mit Hemd, Halstuch und Taschenuhr. Sublim wird’s, wenn sie sich in Rock und Boutiquenjacke schlägt und in Pumps auf die Weltbühne stampft, als sei sie ein geschminkter Mann. Konnte ich alles bieten. Aber im Grunde wollen wir nur das eine: Hardcore. Damals hatte ich gerade im Kino die letzte Folge der Verfilmungen dieses schwedischen Erfolgsautors gesehen – Sie wissen schon, der gestorben ist, bevor er berühmt wurde – und mich in den Comicpunk der Heldin verkuschelt. Das bin ja ich!, hatte ich in der Dunkelheit des Kinos gedacht, nur eben schon viel länger als die. Es war mir eine Erleuchtung gewesen. Seit vierzig Jahren suchte ich mein Ich. Und da sprang es auf der Leinwand umher, dünner, hübscher, mit Asperger-Syndrom – ich habe weniger spektakuläre, bin auch nicht hochbegabt und würde weder einen Kopfschuss überleben, noch aus meinem eigenen Grab krabbeln. Andererseits, wer weiß … Geld habe ich auch.

      Im Grunde brauchte ich nicht zu überlegen. Ich zog die Jeans an, die ich mir kürzlich im Abseits für ein Vermögen gekauft hatte: hell, weit, zerschunden, löchrig und ölverschmiert, dazu Bikerstiefel, die Motorradjacke mit Kupfernieten und immer klirrenden Schnallen an Ärmeln und Hüfte, einen schwarzen Hoody mit Kapuze über dem Jackenkragen und jede Menge Leder um die Handgelenke. Vor dem Spiegel bepinselte ich Wimpern, Brauen und Lider und sprayte die eine lange schwarze Strähne meines ansonsten blondierten Kurzhaars über die Stirn ins Auge. Nicht zu vergessen die Narben, die mir einst eine berstende Windsschutzscheibe ins Gesicht geschlagen hatte. Sie waren in all den Jahren verblasst. Deshalb schattierte ich sie zu besonderen Gelegenheiten mit einem roten Kajal dezent ab.

      Cipión stand mit gesenkter Rute in der Tür. Der Dackel wusste: Je länger ich vor dem Badezimmerspiegel mit Stiften klackerte, desto geringer war seine Chance, mitgenommen zu werden.

      »So, ziehet Sie wieder amol in den Krieg?«, fragte Oma Scheible im Treppenhaus. »Passetse uf, gell!«

      Draußen herrschte Getröpfel. Schirme verhakelten sich auf dem schmalen Fußweg zwischen Parkplätzen und den Schaufenstern von Sparback und Fimse. Am Ausfahrttor der Staatsanwaltschaft, meinem Haus genau gegenüber, stieg ich in Richards Limousine. Er trug einen bräunlichen Dreiteiler, Schlips und Platinmanschettenknöpfe und den Hochmut des Erfolgs. Dabei ging es ihm gar nicht gut derzeit.

      Die Buchhandlung Ursprung lag in der Gerberstraße. Sie war gerade mal eine Tür und ein Fenster breit. Davor stand ein Schemel mit Tisch und Aschenbecher. An der Tür hing ein mit dem Computer gebasteltes Plakat mit der Einladung zur heutigen Lesung. Haare von gewaltiger Schwärze erdrückten das Gesicht der kindlichen Autorin.

      »Wir sind zu früh«, bemerkte ich. »Es beginnt zwanzig Uhr, nicht neunzehn Uhr dreißig!« Ein Irrtum, der Richard eigentlich nicht zu unterlaufen pflegte. In seinem Gedächtnis blieben Zahlen und Namen haften wie an einem Fliegenfänger.

      »Hm«, machte er, zündete sich eine Zigarette an und ließ den Blick zum Cowboystiefelladen an der Ecke wandern. »Eigentlich schade ums Gerberviertel«, bemerkte er. »In ein paar Monaten ist es umzingelt von Baustellen. Dann können die Läden alle dichtmachen.«

      »Du kaufst eh keine Cowboystiefel.«

      »Ich denke nicht immer nur an mich, Lisa! Das sind Existenzen. Die meisten Ladeninhaber haben Schulden gemacht, die noch lange nicht abbezahlt sind. Und abgesehen davon, meine Lesebrille habe ich da drüben um die Ecke in der Sichtbar gekauft. Und in der Nesenbachstraße gibt es den einzigen Krimibuchladen von Stuttgart, das Under-Cover.«

      »Du liest doch gar keine Krimis, Richard. Zu viele Leichen, zu viele Morde!«

      Schon die beiden Schlüsselworte machten ihn schaudern. Er war noch empfindlicher geworden seit der Sache mit der toten Familienrichterin und dem Findelbaby, das er nach fünf Tagen Vaterglück seiner biologischen Mutter hatte zurückgeben wollen und müssen.1 Seitdem arbeitete er bis zum Wachkoma und verbrachte seine Freizeit entweder auf dem Tennisplatz, im Fitnessstudio, in Balingen bei seiner Mutter oder an seinem Bechsteinstutzflügel. Und er hatte seinen Urlaub verfallen lassen.

      »Ob Durs Ursprung das überlebt, weiß ich nicht«, sinnierte Richard und blies den Rauch in den gerade mal trockenen Regenhimmel über den Häusern der schmalen Gasse. »Stuttgart würde was verlieren. Zu seinen Lesungen sind alle gekommen, die Philosophen der Frankfurter Schule: Marcuse, Habermas … Die Großen aus der Gruppe 47. Sogar Böll war hier, in Ursprungs Keller. Peter Handke, der hat hier die Gruppe 47 beschimpft: dumme und läppische Prosa. Und Martin Walser hat von einem imperialistischen Monopol zur Einschüchterung von Kritikern, Lesern und Öffentlichkeit gesprochen.«

      Das war vor meiner vernunftbegabten Zeit gewesen. »Wieso Einschüchterung?«

      »Das ist wie heute. Wenn unser Fernsehkritiker Heinrich Weinrich alle Vierteljahr einen Autor einlädt und drei weitere Bücher in die Kamera hält, dann haben eben nur zwölf im Jahr das große Los gezogen.«

      »Aber Einschüchterung?«

      »Wen er abkanzelt, der ist für den Rest seines Lebens gezeichnet und schreibt nur noch, um sich an Weinrich zu rächen.« Richard wandte sich zum Schaufenster um. »Durs Ursprungs Laden war immer anders. Hier stehen Bücher, die niemand lobt oder kritisiert. Hier steht alles!«

      Deshalb mag ich keine Buchhandlungen. Es sind mir zu viele Bücher. Sie schreien nach Respekt, jedes einzelne für sich. Und nicht nur die alten, über die man reden können sollte. Sie alle wollen Erfolg von mir und beschimpfen mich, weil ich sie nicht kaufe. Manche werden frech, springen mich an. Nimm mich, verschenk mich! Tod in Degerloch, Tod im Trollinger, Tod am Hölderlinplatz … Brrr! In Krimis sind Frauen immer entweder blondes Gift oder vergiften andere oder beides.

      »Und in dieser Fensterecke«, fuhr Richard fort, »hingen früher die Schriftsätze vom Gericht, wenn Durs Ursprung mal wieder einen Spendenaufruf für eine Zahnbehandlung von RAF-Terroristen unterschieben hatte oder dergleichen.«

      »Jaha, das waren noch Zeiten!«, seufzte ich mit falscher Inbrunst.

      Richard löschte die Kippe im Aschenbecher auf dem Tisch neben der Tür, als ich mir gerade selbst eine anzünden wollte. »Buchhändler wie Durs sind eine aussterbende Art.«

      Ich steckte meine Schachtel wieder weg. Die Tür streifte ein Glöckchen. Der Laden war eng. Und das lag an den Büchern. Es waren zu viele. Sie füllten nicht nur die Regale, sie stapelten sich auch auf dem Boden. In wankenden Türmen. Im vorderen Bereich lagen auf einem Tisch ein paar Zugeständnisse an den Mainstream, die neuesten Mankells, Suters, Browns und Schätzings und ein paar Gartenbücher.

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