Malefizkrott. Christine Lehmann
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Am Kassentresen stand ein kleiner Mann in grünem Hemd mit gesundem Bäuchlein, Glatze und an die siebzig Jahren im Gesicht, auf dem ein amüsiertes Lächeln lag.
»’n Abend«, murmelte Richard. Der breitbrüstige Staatsanwalt wirkte verblüffend schüchtern. Während sein Blick über die Bücherregale und Stapel glitt, ruhten die blauen Augen des Buchhändlers auf mir. Und er dachte gar nicht daran, daraus ein Hehl zu machen.
So ist es recht!, dachte ich. Schau du nur! So was wie mich gab’s früher nicht. Ich bin queer, original Falschgeld, transgender und polyamant. Falls du weißt, was das ist.
Durs lächelte. Womöglich dachte er, ich hätte mich in der Tür geirrt. Die Homo-Buchhandlung Erlkönig befand sich eine Kopfsteingasse weiter, in der Nesenbachstraße. In den Anfängen meiner Stuttgarter Zeit, als ich im Auftrag der einen oder anderen Kollegin des Lesbenmagazins Amazone Bücher zu klauen pflegte – auch mal einen Bildband mit nackten Kerlen –, hatte sich der Erlkönig noch ganz woanders befunden. In Stuttgart wanderten die Läden. Die kleinen an den Rand, die großen ins Zentrum.
»Ist das dichtende Kind schon da?«, erkundigte ich mich. Ich hatte das unwiderstehliche Bedürfnis, das buddhistische Lächeln des Buchhändlers aufzustechen, indem ich ihn zum Reden zwang. Vermutlich eine Falle, in die alle Kunden tappten. Und schon hatte man sich ihm ausgeliefert.
»Bist du von der Presse?«, fragte er zurück. »Ich kenne dich nicht. Du warst noch nie hier.«
»Schwabenreporterin Lisa Nerz. Freelancer«, sagte ich.
Der Buchhändler lächelte. Er hatte nichts verraten, ich alles. Sein Blick sprang zu Richard.
Ich hob Hände und Augenbrauen: Gehört nicht zu mir, kenne ich nicht!
Für einen Augenblick verlor Durs sein Lächeln und sah gallig aus. Vielleicht erkannte er, was ein Staatsanwalt war. Davon bekam Richard jedoch nichts mit. Er ging in der Nähe der Treppe aufs gut betuchte Knie, stabilisierte mit einer Hand einen Buchturm und zupfte geübt mit Daumen und Zeigefinger aus dem unteren Drittel ein kleinformatiges Buch hervor: harter Pappdeckel in meliertes Papier geschlagen, ordentlich gebunden.
Durs zog die Brauen hoch. »Alter Kunde?«
Richard drehte sich um. Seine Hand mit dem Buch zitterte. »Das … das haben Sie noch?«
Durs Ursprung lächelte. Für solche Momente war er Buchhändler geworden. Damit harte Männer in guten Anzügen wie Richard weiche Stimmen bekamen.
»Wie hieß doch dieser Roman mit dem Friedhof der vergessenen Bücher?«, überlegte Richard. »La sombra del viento.2 Die Idee ist bestrickend. Man fragt sich, warum vorher noch nie jemand darauf gekommen ist.«
»Vielleicht das Geheimnis guter Bücher«, bemerkte Durs.
»Auf diesem Friedhof dürfen sich manche ein Buch aussuchen, das für eine gewisse Zeit Teil ihres Lebens wird, bis sie es wieder zurückstellen und dem ewigen Vergessen anheimgeben. Ich glaube, dass jedem Menschen – sofern er liest – in seiner Jugend ein Buch in die Hände gefallen ist, das ihn mehr berührt hat als jedes andere, auch wenn seine Qualität zweifelhaft war. Erwähnt man dieses Buch später einmal, schütteln alle ratlos die Köpfe. Doch im eigenen Kopf ist es immer präsent, eine Geschichte, eine Figur, eine Idee, die einen für das ganze Leben unauffällig prägt.«
Durs lächelte wissend.
»Auf der anderen Seite verzweifelt ein Autor an seiner Erfolglosigkeit. Er setzt alles daran, die wenigen Exemplare einer winzigen Auflage, die noch übrig sind, zu vernichten, zu verbrennen. Denn den Geist eines Buchs vernichtet man nur durch Feuer …«
»Geht am schnellsten«, bemerkte ich. »Papier verrottet schlecht, brennt aber gut.«
Es war ein sonderbares Blickgefecht, das die beiden Schwaben ausfochten. Richards Hand zitterte nicht mehr. Allerlei Bildung auffahren und reden war das Mittel seiner Wahl, um mit seiner eigenen Erregung fertigzuwerden. So hart, wie er das gefundene Buch mit der Hand umspannte, war er noch immer nicht so ruhig, wie er zu sein wünschte.
»Doch es wird ihm nicht gelingen«, fuhr er fort. »Auf dem Friedhof der vergessenen Bücher wird ein Exemplar überleben. Und so muss der Autor wahnsinnig werden angesichts seiner Ohnmacht, darüber zu bestimmen, ob er Anerkennung bekommt. Bekommt er sie nicht, kann er doch das Zeugnis seines Versuchs niemals mehr zurücknehmen. Hat er seine Welt – und jedes Buch enthält eine Welt, die es vorher nicht gab – einmal aus der Hand in die Öffentlichkeit gegeben, ist sie nicht mehr zu vernichten. In mindestens einem Kopf bleibt sie lebendig.«
Durs hob das Kinn. »Und dieses Buch da«, Richard siezte er, »ist nun jenes, welches Ihnen in die Hände gefallen ist?«
»Es hat mir einer in Ihrem Laden geschenkt«, erwiderte Richard. »Ich hatte es gerade aus einem Stapel gezogen. Ein anderer, ein Schriftsteller, den Sie gut kannten, sah mich – 1967 war das.«
In mir stöhnten die Jahrzehnte. Da war ich gerade eben so auf der Welt gewesen.
»Er erzählte Ihnen, Herr Ursprung, er habe als junger Mann nie Geld gehabt, um sich Bücher zu kaufen. Oftmals habe er sich gewünscht, es möge ihm einer ein Buch schenken. Deshalb wolle er mir nun dieses schenken.«
Richards Finger lösten sich langsam, als falle es ihm schwer, das Büchlein aus dem Schutz seiner warmen Hand zu entlassen. Während er es hochhielt, damit wir den Titel sehen konnten, bemerkte ich auf der Rückseite einen eigenartig schwarzen Fleck mitten im melierten Deckel.
»Dieses Buch war Schloss und Fabrik von Louise Otto«, erläuterte Richard. »Ich hätte es mir nicht ausgesucht, wenn ich mir ein Buch hätte aussuchen dürfen, das ein anderer bezahlt.«
Durs schmunzelte.
»Ein Werk einer großen Frauenrechtlerin des Vormärz, heute bekannt unter dem Namen Otto-Peters«, erklärte Richard. »Sie schrieb nicht nur für die Rechte der Arbeiter, sondern auch für die der Arbeiterinnen.«
Ich grinste Unwissenheit in den Laden. Mein Feminismus hatte erst in den achtziger Jahren begonnen. Dafür aber sehr lila.
»Der erste Band von Schloss und Fabrik ist 1846 erschienen und sofort von der Zensur verboten worden. Eine zensierte Ausgabe kam ein paar Jahre später, drei Bände. Erst 1996, nach dem Fund der Zensurakten, ist es dann wieder aufgelegt worden.«
»Also ist es gar kein vergessenes Buch«, bemerkte ich.
»Wie man es nimmt. Louise Otto-Peters ist als erste Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins bestimmt noch einigen ein Begriff. Aber Schloss und Fabrik gehört sicherlich zu den Büchern, an denen nur hartgesottene Literaturwissenschaftler…äh…innen ihre Freude haben. Im Bücherschrank meines Vaters befand es sich jedenfalls nicht.« Er lachte kurz und bitter. Sein Vater hatte auf der anderen Seite gestanden. Er war Fabrikant gewesen, wenn auch ohne Schloss.
Vorsichtig schlug Richard das Buch auf. Die Bindung knackte leise. Er holte die Lesebrille aus dem Jackett, überflog eine Seite, lächelte peinlich berührt und las vor: »›Thalheim mogte …‹«
»Mogte? Himmel!«
»›… mogte einige dreißig Jahre zählen. Die Züge seines Antlitzes waren von männlicher Schönheit und antiker Regelmäßigkeit; aber aus den leichten