Koshiki Kata. Roland Habersetzer
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Reichweite seines Willens, und der größte Irrtum unseres Zeitalters besteht darin,
zu glauben, daß die Ausrüstung den Geist ersetzen könne.
Jeff Cooper, American Pistol Institute
Der Schmerz läßt den Mann denken.
Der Gedanke läßt den Mann weise werden.
Die Weisheit läßt das Leben erträglich werden.
Okinawanisches Sprichwort
Jeder ist bemüht, das kennenzulernen, was er noch nicht kennt,
aber niemand versucht, das Wissen, welches er bereits besitzt, zu vertiefen.
Zhuangzi
Je größer die Götter, um so freier der Mensch.
Marcel Gauchet in „Le désenchantement du monde“, 1985
Vorwort zur deutschen Ausgabe der Koshiki Kata
Man bezeichnet die alten traditionellen Kata, die Koshiki Kata, oft als „unendliche Schätze“. Über Generationen hinweg haben Meister sie bis in unsere Tage weitergereicht. Zweifelsohne wurden sie im Laufe der Zeit verändert, aber das Wesentliche dessen, was übermittelt werden sollte, ist erhalten geblieben. Seit ich vor langer Zeit begonnen habe, mich für sie zu interessieren und sie im Dôjô zu studieren, habe ich mir die Frage gestellt, wie es möglich sei, daß eine Technik, die dazu bestimmt ist, den Gegner zum Krüppel zu machen oder ihn gar zu töten, als „unendlicher Schatz“ bezeichnet wird. Was sollte denn so „wertvoll“ sein an jenen Sequenzen von Kampftechniken aus alter Zeit, in denen es letzten Endes um Leben oder Tod geht?
Die Antwort hat sich im Laufe der Zeit ergeben, und dies auf ganz natürliche Weise. Eines Tages hatte ich begriffen, daß diese alten Kata keinerlei Geheimnis enthielten, keine verborgene Technik, die wir nicht schon längst kennen. Ich begriff, daß ihr „Wesen“ nicht in ihren Techniken bestand, daß ihre „Wahrheit“ woanders zu finden war. Daß sie in Wirklichkeit viel mehr waren als simple Anleitungen zum Kämpfen.
Die alten Kata unterscheiden sich augenfällig von den modernen, sportlichen und spektakulären Choreographien, die geschaffen wurden, um zu gefallen und um zu blenden. Man muß sich die Zeit nehmen, den Koshiki Kata zu „lauschen“, ihre Bewegungen zu absorbieren, sich von ihnen formen zu lassen; man muß ihnen vertrauen. Auf diese Weise wird man am Ende zu einer neuen inneren Haltung gelangen (Shisei), zu einem neuen Verhalten (Seiki), und dies sowohl im Dôjô als auch im täglichen Leben. Die Koshiki Kata sind eine Schule, in der Begriffe wie Ehrfurcht, sinnvolles Bemühen, Authentizität, Redlichkeit, Bescheidenheit, Selbstbeherrschung, Toleranz, Gewaltfreiheit, Urteilsvermögen, Mut, Beharrlichkeit, Humanismus, Sinn für Effektivität, der Wille, sich einzubringen und voranzukommen zählen. So viele Anhaltspunkte für ein ganzes Leben voller Herausforderungen, Eigenschaften, die den Menschen zu wirklicher Reife führen. Positive Werte, die aus den Koshiki Kata einen „Weg des Menschen“ werden lassen.
Diese alten Kata stellen ein pädagogisches Konzentrat dar, das einen lehrt, sich selbst zu gestalten und – ein jeder an seinem Platz – nützlich zu sein. Die Koshiki Kata können einen Weg weisen, durch den es möglich wird, aufrechten Ganges durchs Leben zu gehen, niemals resigniert aufzugeben und den Willen zu schmieden, damit er allen falschen Glaubenssätzen widerstehen kann, die in der Gesellschaft verbreitet sind. Sie können uns helfen, einen Beitrag zu leisten für eine Welt jenseits der Beliebigkeit.
Wer durch die Schule der Koshiki Kata gegangen ist, wird danach streben, daß die Gesellschaft, in der er lebt, ein wenig vernünftiger, ein wenig ausgeglichener wird, damit es in ihr eine Zukunft gibt, in welcher die Schätze der menschlichen Existenz, die uns aus der Vergangenheit überliefert wurden, wieder einen Wert besitzen und fortbestehen können.
Jede Kata, die sich von ihren Ursprüngen nicht zu weit entfernt hat, hat das Vermögen, den Praktizierenden „richtiges“ Verhalten zu lehren. Damit stellt sie nicht weniger dar als eine Kraft, die jenen weltweiten Tendenzen entgegenwirkt, die den Menschen in verschiedenartigste Abhängigkeiten drängen und ihn schwächlich und stumpfsinnig werden lassen.
Denkt man über den wirklichen Sinn des Weges der Kampfkünste (Dô) nach, so offenbart sich, daß er tatsächlich einen Weg zu einer äußerst wertvollen inneren Freiheit bedeutet. Und das ist es, was ich nach langen Jahren der Praxis endlich begriffen hatte, und die frischen Farben, die diese Entdeckung in meinen Alltag getragen hat, begleiten mich nun in den Herbst meines Lebens.
Ich wünsche meinen geschätzten Lesern dieser deutschen Ausgabe der „Koshiki Kata“, zu derselben Entdeckung zu gelangen, die ihr Leben bereichern wird. Und ich danke dem Palisander Verlag, daß er ihnen dies ermöglicht hat.
Roland Habersetzer
Saint-Nabor, September 2005
Vorbemerkung
In diesem Buch werden die Koshiki Kata des Karatedô, das heißt, die alten, „klassischen“ Formen dieser Kampfkunst behandelt. Um aus der Lektüre dieses Buches praktischen Nutzen ziehen zu können, ist eine solide Kenntnis der modernen Kata, wie sie heute in den Hauptrichtungen des Karate (Shôtôkan ryû, Wadô ryû, Shitô ryû, Gôjû ryû) praktiziert werden, unbedingt vonnöten. Ich halte es deshalb für wichtig, den Leser darauf hinzuweisen, daß es nur eine Möglichkeit gibt, mit Hilfe dieses Buches auf seinem Weg vorwärtszukommen: Er muß langsam voranstreben und darf nie vergessen, daß eine Kata, sei sie nun modern oder klassisch, immer einem bestimmten historischen, geographischen und gesellschaftlichen Kontext entspringt. Für die Koshiki Kata gilt dies natürlich in besonderem Maße, und das ist der Grund für die ausführlichen historischen und genealogischen Abhandlungen in diesem Buch.
Nichts entspräche weniger dem Geist dieser Schrift, als lediglich eine oberflächliche Kenntnis einiger neuer Techniken vermitteln zu wollen.
Die Inkunabeln des Karatedô
Mehrere Jahrzehnte leidenschaftlicher Praxis im Karatedô liegen heute hinter mir. Ich habe unzählige Dinge erlebt, gesehen und vernommen in der „Welt des Budô“, und ich bin auf meinem Weg nicht wenigen Menschen begegnet, deren Verhalten mir unbegreiflich ist. Von Zeit zu Zeit blicke ich zurück, um zu versuchen zu verstehen, um aus Fehlern zu lernen, und um mich erneut von der Leidenschaft ergreifen zu lassen.
Ich erinnere mich gut an das Ende der 50er Jahre, jene Zeit, in der in Frankreich als erstem europäischen Land Karate als neue Kampfkunst entdeckt wurde. In den wenigen Dôjô jener Zeit begann man, unermüdlich fünf oder sechs grundlegende Kata zu üben, in denen alle Lehren und Botschaften unserer Meister verborgen waren. Schicht um Schicht wurde dieses Wissen freigelegt. Niemand von uns wußte, daß noch weitere Kata existierten. Eine Leidenschaft für das Einfache war entfacht worden.
Zehn Jahre später und noch lange Zeit danach wurden die europäischen und amerikanischen Karatevereinigungen durch japanische Experten aller Stile geleitet. Angetrieben durch die beginnende Konkurrenz, begann eine Epoche, die durch einen wahren Heißhunger auf neue Kata gekennzeichnet war. Um im Rennen zu bleiben, mußte man so schnell und so viel wie nur möglich