Leere Hand. Kenei Mabuni

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Leere Hand - Kenei Mabuni

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mittlere und untere Schwertposition. Es gibt nur eine einzige, hassō genannte Stellung. Die Arme werden dabei hochgehoben, als wolle man in den Himmel stechen. Dann schnellt man mit einem bis ins Mark gehenden kiai36 einen Schritt nach vorn oder man geht nach unten und läßt das tachi-Schwert heruntersausen.

      Die Philosophie der Jigen-Schwerttechnik besteht darin, immer das kommende Geschehen zu beherrschen und die innere Einstellung anzustreben, stets mit dem ersten Schlag zu siegen. Kondō Isamu von der shinsen gumi37 erinnerte sich, daß man nichts mehr fürchtete als diese Technik und daß die Soldaten immer wieder ermahnt wurden, jenem ersten Hieb der Satsuma-Leute auszuweichen. Im Feldzug zum Sturz der Tokugawa-Regierung im Jahre 1868, aber auch während der Samurai-Rebellion von 1877 verschafften sich die Satsuma-Samurai mit diesem gefürchteten ersten Schwerthieb wirkungsvoll Respekt. Die Leichen ihrer Gegner waren für gewöhnlich mit einem »Schärpenhieb« von der Schulter bis zum Bauchnabel durchtrennt. Bei einigen war sogar das Stichblatt des eigenen Schwertes in die Mitte der Stirn gedrückt. Sie hatten ihr Schwert zur Abwehr gehoben, aber die Wucht und die Schnelligkeit des niedersausenden Satsuma-Schwertes weit unterschätzt, so daß das abwehrende Schwert in den eigenen Schädel geschlagen wurde.

      Die Jigen-Schwerttechnik zielte auf eine besonders hohe Geschwindigkeit des Schwerteinschlags beim Gegner ab. Über die höchste Vollendung dieser Technik, die »Flammenwolke«, hieß es im »Handbuch über die soldatischen Techniken des Jigen ryū« wie folgt: »Ein Achtel einer Minute ist ein byō. Ein Zehntel von einem byō ist ein shi. Ein Zehntel von einem shi ist ein kotsu. Ein Zehntel von einem kotsu ist ein kō. Ein Zehntel von einem kō ist ein rin. Wenn man bis zu einem rin gekommen ist, dann hat man die Flammenwolke (unyō) erreicht.«

      Von den Meistern des Jigen-Stils hieß es, sie hätten einen Regenwasserschwall, der vom Dach strömt, dreimal durchtrennt, bevor er auf der Erde auftraf. Um die Konzentration zu trainieren, die ein solcher Hochgeschwindigkeits-Schlag erforderte, gab es im Jigen-Stil eine spezielle Trainingsmethode, die man »einen stehenden Baum schlagen« (tachi ki uchi) nannte. Partnerübungen wie in anderen Schulen gab es nicht. Man schnitt einfach ein yusu genanntes Holz auf die richtige Länge, ergriff es wie ein Schwert und schlug dann mit einem lauten kiai diagonal von links nach rechts auf einen großen Holzklotz ein. Angeregt durch diese Methode, dachte sich Meister Matsumura die im traditionellen Karate übliche Trainingsmethode des Einschlagens auf mit Stroh umwickeltes Holz (makiwara zuki) aus, wie sie dann beispielsweise durch seinen Schüler Itosu Ankō praktiziert wurde.38

      Von Meister Nakayama Hiromichi (1869-1958), den man auch den »Musashi (Musashi Bō Benkei oder nur Benkei) der Shōwa-Zeit« oder den »letzten Heiligen des Schwertes« nannte, stammen die folgenden Worte: »Karate macht die bloße Hand zum Schwert. Und das ist mehr als nur eine Metapher. Die Karate-Faust ist ein Schwert.«

      In historischen Dramen sieht man die Kämpfer meist munter aufeinander einschlagen. Japaner nennen dies chanbara.39 Aber ein solcher Schlagabtausch ist nur möglich, wenn, wie beim Kendō, zwei mit Kopf- und Körperschutz bekleidete Trainingspartner, immer auf die richtige Distanz achtend, die Schläge aufeinander einprasseln lassen. Im Kampf mit dem wirklichen Schwert entscheidet der Moment des Schwertziehens über Sieg oder Niederlage, und der erste Schlag entscheidet über Leben oder Tod. Einen zweiten gibt es nicht. Auch wenn der erste Schlag nicht mit der Wucht der Jigen-Technik geführt wird, ist er tödlich.

      Die Tatsache, daß Meister Matsumura die Jigen-Schwerttechnik, den »Hausstil« der Samurai aus Satsuma, perfekt beherrschte, sollte einen entscheidenden Einfluß auf die Gestaltung des Shuri-te ausüben. Jene Samurai, die Okinawa seit 1609 besetzt hielten, waren es schließlich, die jedem, der auf Okinawa die Kampfkunst mit bloßer Hand lernte, beim Training als Gegner »vorschwebten«. Ohne Zweifel war es Matsumura Sōkon, der Vollender des Shuri-te, der Karate nach dem Grundsatz gestaltete, den Gegner mit dem ersten Schlag oder Tritt zu töten.

      Das Shuri-te hat diese Idee des »tödlichen ersten Schlags« uneingeschränkt übernommen. Im chinesischen Kempō dagegen gibt es diese Idee nicht. Hier gilt die Regel »Hände und Beine suchen« (tanshu tantai). Der Kampf beginnt damit, daß die Gegner sich gegenseitig auf ihre technischen Fähigkeiten hin »abtasten«, einander studieren. Man beginnt mit hohen kamae (Haltungen), verringert schrittweise die Distanz und geht über zu niedrigen kamae, und nach einem Schlagabtausch zieht man sich wieder zurück. Dann nähert man sich einander wieder, und es kommt zu einem erneuten Schlagabtausch. So entwickelt sich ein relativ spektakulärer oder theatralischer Kampf. Das ist aber nur deshalb möglich, weil hier die bloße Hand nicht zum Schwert geworden ist.

      Karate hingegen ist eine Kampfkunst, die entwickelt wurde, um sich gegen einen Gegner zu verteidigen, von dem man annehmen mußte, daß er, im Jigen-Stil geschult, den ersten Schlag wie eine »Flammenwolke« ausführen konnte. Also wurde es zur lebensentscheidenden Frage, den ersten Schwerthieb des Gegners richtig zu beurteilen und mit der eigenen Faust tödlich treffen zu können. Aus diesen Gründen ist es gerechtfertigt zu sagen, daß die Meister Matsumura und Itosu das Shuri-te unter dem Einfluß der japanischen Schwertkunst, vor allem der Jigen-Schwerttechnik, zur Vollendung gebracht haben.

      Im chinesischen Kempō ist die Grundlage der Bewegung der Kreis. Auch im Boxen und Kickboxen werden die Schläge und Tritte mit kreisförmigen Bewegungen ausgeführt. Im Karate der Nachkriegszeit sind unter dem starkem Einfluß dieser Techniken die Bewegungen ebenfalls kreisförmig geworden.

      Vor einiger Zeit zeigte mir ein Schüler ein Buch von Aragaki Kiyoshi mit dem Titel »Die Essenz des okinawanischen Budō-Karate«. Der Autor hatte zuvor in der Monatszeitschrift Karatedō im Rahmen der Artikelserie Karate sankoku shi Schriften aus dem Nachlaß meines Vaters herausgegeben. Sein Buch war für mich sehr lehrreich. Er schreibt: »Die Essenz des japanischen Budō liegt darin, mit einer geraden Linie einen Kreis zu beschreiben.« Dieser Satz hat mich sehr bewegt. Was ich mit dem ganzen Körper wahrnehme, hat er sehr treffend in Worte gefaßt. Im Iaidō40 kann man sehr gut erkennen, daß die Arme sich geradlinig nach vorn bewegen, während das Schwert aus der oberen Position mit einer kreisförmigen Bewegung nach unten schneidet. Eine gerade Linie beschreibt also einen Kreis. Auch die Geschwindigkeit, mit der das Schwert im Jigen ryū als »Flammenwolke« aufschlägt, kann mit einer kreisförmigen Bewegung allein nicht erreicht werden. Nach Meister Aragaki wird die aus der kreisförmigen Bewegung gewonnene maximale Energie mit der geraden Linie über die kürzestmögliche Distanz übertragen. Diese Technik des japanischen Budō repräsentiert das höchste Niveau der Körperbeherrschung.

Foto5

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      Fotos 5-7:Das Ausführen des Fauststoßes. Die Faust ist neben die Hüfte eingezogen (5). Sie dreht sich aus dieser eingezogenen Position heraus (6), und es erfolgt ein Stoß in gerader Linie (7).

      Nicht das Abhärten der Fäuste, ihre Verwandlung in Waffen, macht den Unterschied zum chinesischen Kempō aus, sondern die Körperbeherrschung im Moment des Stoßens oder Tretens. Alle Techniken schließen den ganzen Körper ein. Betrachten wir die Stoßbewegung der Faust im Karate, so wird anders als beim geraden Schlag im Boxen der Schlag in einer vollständig geraden Linie geführt, indem sich die Faust aus der zurückgezogenen Position (hikite) herausdreht (Fotos 5-7). Auch die Tritte des Karate beschreiben im Gegensatz zum chinesischen Kempō oder zum Kickboxen keine großen Kreise. Der Tritt geht gerade ins Ziel. Dazu wird das Bein nach innen eingewinkelt nach oben geschwungen und auf diese Weise Energie aus der Kreisbewegung gewonnen. Dann

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