Leere Hand. Kenei Mabuni

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Leere Hand - Kenei Mabuni

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der Folge enger als die zwischen Japan und China. Bewohner der Ryūkyū-Inseln, die zu Studienzwecken oder als Gesandte China bereisten, wurden nicht nur durch die chinesische Kultur beeinflußt, sondern brachten auch Kenntnisse über die Kampfkünste in ihre Heimat. Natürlich kamen auch viele Chinesen vom Festland nach Okinawa und vermittelten den Insulanern ihr Wissen. Dabei spielten wahrscheinlich die Leibgarden der chinesischen Beamten, die als Gesandte – oder, um es mit einem modernen Wort auszudrücken, als Botschafter – nach Okinawa reisten, eine wichtige Rolle. In der Geschichte der Ryūkyū-Inseln gab es 23 solcher chinesischer Missionen, denen neben den Gesandten auch Wach- und anderes Begleitpersonal angehörte. Insgesamt waren es ca. 500 Chinesen, die auf diese Weise die Inseln bereisten. Schon wegen der Bedrohung durch Seeräuber mußten die Leibwächter zu der in den Kampfkünsten besonders geschulten militärischen Elite gehören. Während der Begrüßungsfeierlichkeiten für die Gesandtschaften aus China führten Leibwächter offenbar auch chinesische Kempō-Kata, sogenannte Tao, vor. Die Kata Wanshū und Kōsōkun des Shuri-te beispielsweise sollen nach den Leibwächtern benannt sein, durch die sie überliefert wurden.

      Es gibt auch die Meinung, die Bezeichnung »Hand« (te) für die Ryūkyū-Techniken entspräche dem in Japan üblichen Sammelbegriff von den »18 Kampfkünsten« (Bugei jū happan).28 Denn ebenso wie die Samurai in Japan trainierten auch die Bushi29 auf den Ryūkyū-Inseln verschiedene spezielle Kampftechniken.

      Die Herausbildung des originären okinawanischen Karate erfolgte insbesondere unter dem Einfluß von zwei Perioden des Waffenverbots auf der Insel. Nachdem es Fürst Oho (Shō) Hashi (1372-1439) gelungen war, das Land zu vereinigen, ließ König Oho (Shō) Shin (1465-1526) die lokale Oberschicht entwaffnen und zwang sie zur Ansiedlung in der Burgstadt Shuri. Er verbot das Tragen von Waffen, schuf eine Zentralgewalt und eine allgemeine Rechtsordnung.

      Im Jahre 1609, nahezu anderthalb Jahrhunderte nach dem ersten Waffenverbot, eroberte der japanische Shimazu-Klan die Ryūkyū-Inseln. Diese Samurai hatten ihren Hauptsitz im Süden von Kyūshū, in der Region Satsuma. Erneut wurde allen Okinawanern das Tragen und der Besitz von Waffen verboten. Unter diesen Bedingungen mußte man sich bei der Entwicklung der te genannten Kampftechniken zwangsläufig auf den waffenlosen Kampf orientieren. So entstand unter dem Einfluß des chinesischen Kempō das Ryūkyū-Kempō, die Urform des heutigen Karate.

      Wäre auch in Japan der Waffenbesitz verboten gewesen, hätten sich wahrscheinlich hier ebenfalls dem Karate ähnliche Formen des waffenlosen Kampfes entwickelt. Wären andererseits auf den Ryūkyū-Inseln Waffen erlaubt gewesen, hätten sich vermutlich dem japanischen Jūjutsu ähnliche Begleittechniken zum Schwertkampf herausgebildet. So aber entstand auf Okinawa eine einzigartig reine Form des waffenlosen Kampfes, über die mein Vater im Vorwort zu seinem 1934 erschienenen Buch »Angriffs- und Abwehrtechniken zur Selbstverteidigung im Karate Kempō«30 folgendes schrieb:

      Am Südwestzipfel Japans gibt es eine Inselkette, die sich wie ein Tau (jpn. nawa) durchs offene Meer (jpn. oki) zieht. Deshalb heißt sie auch ›Tau im offenen Meer‹, also Okinawa. Seit alter Zeit sind diese Inseln berühmt als bewaffnetes Land ohne Waffen. Denn seine Waffen sind allein die Karate-Kampftechniken.

      Mein Vater pflegte zu sagen: »Karate ist der legitime Erbe der Bujutsu-Kampfkünste«.31 Ich denke, Karate ist tatsächlich die Grundlage aller Budō-Kampftechniken. Dafür gibt es zwei Gründe. Der erste besteht darin, daß der Kampf mit nichts als den eigenen Händen die primitivste, ursprünglichste Form des Kampfes darstellt. Darüber hinaus ist es gerechtfertigt zu sagen, daß die Waffen vom Stock über Schwert, Pfeil und Bogen und Gewehr, bis hin zur Rakete letztendlich nichts anderes sind als Verlängerungen der Hand.

      Hat man keine Waffen oder verzichtet man auf ihren Einsatz, bleibt einem nichts, als mit den leeren Händen zu kämpfen. Wurde ein Samurai von einem Unbewaffneten zum Kampf herausgefordert, legte er ohne zu zögern seine Waffen zur Seite und stellte sich dem waffenlosen Kampf. Die Turniere der Heian- und Kamakura- Zeit begannen immer mit dem Bogenschießen. Danach folgten in kürzer werdenden Abständen Speer- und Schwertwettkämpfe. Wurden die Zweikämpfe zu hitzig, kam das Kommando: »Achtung! Auseinander!« Daraufhin wurden die Waffen abgelegt, und es begann der Kampf mit bloßen Händen.

      Um den Kampf mit bloßen Händen zu unterstützen, nutzte man im übrigen grundsätzlich alle gerade verfügbaren geeigneten Dinge. Daraus entwickelten sich die verschiedenen Techniken zum Kampf mit Waffen. Im Unterschied zum Jūjutsu, welches ein technisches System zur Unterstützung von Schwert- und anderen Waffentechniken ist, hat das Karate zu seiner Unterstützung Waffentechniken integriert. So wurden auf den Ryūkyū-Inseln schon in alter Zeit verschiedene Alltagsgegenstände der Bauern und Fischer, unter anderem der Stock (bō), der Dreizack (sai), der Stock mit seitlichem Griff (tonfa) und der mehrgliedrige Stock (nunchaku) als Karate-Hilfsmittel eingesetzt.32

      Der zweite Grund, Karate als Grundlage aller Budō-Kampftechniken zu bezeichnen, besteht darin, daß es im Karate keine verbotenen Schläge gibt. Schließlich besteht das Ziel ja darin, den Gegner tödlich zu verletzen und zwar nicht mit einer Waffe, sondern mit den bloßen Händen. Aus diesem Grund wird der gesamte Körper aufs äußerste für den Kampf vorbereitet, all seine Bestandteile und Funktionen werden dabei einbezogen. Während des Waffenverbots unter der Shimazu-Herrschaft wurde das aus alter Zeit stammende Wissen darüber, wie man ohne Waffen auf Leben und Tod kämpft, genau überliefert. Allerdings wurde das Wissen ausschließlich mündlich weitergegeben. Die Techniken waren in den Kata enthalten. Da man diese für sich allein übte, war es nicht notwendig, irgendwelche Schläge oder Tritte wegen ihrer Gefährlichkeit zu verbieten. Auf diese Weise ist Karate zu einer weltweit einzigartigen Kampfkunst geworden.

      Dazu schrieb mein Vater im Jahre 1938 folgendes:

      Wenn es Leute gibt, die glauben, man müsse, um mit der Zeit zu gehen, die Kata und das kumite des Karate in Sport verwandeln, sie unter dem Vorwand der Körperertüchtigung von ihrem Wesen als Bujutsu, als Kampfkunst ablösen, so muß man diesen Leuten sagen, daß sie offenbar nicht erkennen, daß sie damit den ersten Schritt machen zu einem unglaublich schwerwiegenden Fehler, nämlich zur Auflösung der Werte des Karate als Bujutsu, als Kampfkunst. Sicher muß man auch beim Kata- und kumite-Training die Bewegungen der Arme und Beine bis ins kleinste streng bewerten und korrigieren, aber vom Standpunkt der Kampfkunst aus gesehen. Physiologisch-rationale vorbereitende und unterstützende Übungen, die dazu dienen, die Funktionen des Bewegungsapparates und der inneren Organe zu optimieren, können in das Training einbezogen werden. Man darf aber nicht glauben, man könne den Kampfkunstgehalt des Kata- und des kumite-Trainings vervollkommnen, indem man beides in Sport oder Vergnügung verwandelt.

      Mein Vater sah damit in gewisser Weise die heutige Form des Karate voraus und warnte vor dieser Entwicklung. Die Verwandlung des Karate in einen Wettkampfsport ist auch eines der großen Themen dieses Buches. Bevor ich mich dazu konkreter äußere, möchte ich noch etwas über die Geschichte des Karate sagen.

      Das ursprüngliche Okinawa-te

      Auf Okinawa entwickelten sich drei spezielle Stile des Karate, und zwar in Shuri, Naha und Tomari.33 Der Begriff Karate wurde in den Jahren 1911/1912 eingeführt, als das »Okinawa-Boxen« bzw. die »Okinawa-Hand« (Okinawa-te) zum Pflichtfach an den japanischen Mittelschulen wurde.

      Man schrieb Karate zunächst mit den Zeichen für »Tang-China« (China in der Tang-Zeit) und »Hand«. Wie bereits erwähnt wurde, bezeichnete man die überlieferte heimische Kampfkunst auf Okinawa nur als »Hand« (te), das chinesische Kempō wurde hingegen tō-de genannt, also »tang-chinesische Hand«. Die lokalen Stile hießen entsprechend Shuri-, Naha- und Tomari-Stil bzw. Shuri-te, Naha-te und Tomari-te. Shuri-te ist die älteste dieser Stilrichtungen. Die aus Shuri stammende Kampfkunst ist

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