Wir können machen, was wir wollen. Nina Pourlak

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Wir können machen, was wir wollen - Nina Pourlak

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Minka, 24

      Wir sind, glaube ich, schon von Geburt an füreinander bestimmt gewesen, Tobi und ich. Wahrscheinlich haben das schon unsere Mütter miteinander ausgemacht, als sie damals mit dicken Bäuchen durchs Dorf gewackelt sind. Wir mussten überhaupt nie jemand anderen suchen, weil ja von Anfang an klar war, dass wir zusammengehören. In der Schule saßen wir auch schon ab der ersten Klasse nebeneinander. Kein Witz – wir sind am selben Tag geboren, wir haben also dasselbe Sternzeichen und können uns dasselbe Horoskop vorlesen, aus der Zeitung, jeden Tag. Bloß der Aszendent ist ein anderer. Wegen der Uhrzeit. Ziemlich romantisch, oder?

      Wir wissen also immer ganz genau, wie wir uns fühlen, wir brauchen uns nur anzusehen, wir kennen uns ja auch schließlich ein ganzes Leben lang. Es gibt nichts, was wir nicht voneinander wissen, und wir brauchen gar nicht erst anzufangen mit langen Erklärungen, wenn wir uns mal eine Geschichte erzählen wollen, weil wir ja alles sowieso zusammen erlebt haben: unseren ersten Tanz, unseren ersten Kuss, unseren ersten Sex, immer waren wir beide dabei.

      Und deswegen haben wir auch so viele gemeinsame Erinnerungen. Viel mehr als diese ganzen anderen Leute, die erst mit dreißig oder noch später zusammenkommen. Die werden sich ja nie richtig kennenlernen, die Armen. Die haben ja faktisch gar keine Chance, alles übereinander zu erfahren. Manche Menschen suchen eben ein Leben lang, manche Menschen werden das nie erleben, aber wir haben uns gleich am Anfang gefunden.

      Als Tobi jetzt meinte, er wolle mit mir nach Berlin ziehen, hab ich sofort ja gesagt. Gar keine Frage. Ich finde, man muss da auch mitmachen, wenn der Partner so etwas vorhat. Man darf den Plänen des anderen nicht im Weg stehen. Endlich mal raus aus dieser ganzen Enge, habe ich gesagt, dahin, wo wirklich was passiert. Obwohl mir eigentlich auch ganz schön mulmig war. Aber das hab ich mir natürlich nicht anmerken lassen!

      Weil ich weiß, dass Tobi nun mal ein Chaot ist und sich niemals rechtzeitig darum kümmern würde, habe ich auch gleich die Wohnung organisiert, über so eine Wohnungsbaugesellschaft, wo man als Student auch noch Rabatt bekommt, praktisch, oder? Und ich habe einen Plan aufgestellt, was wir alles brauchen und die ganzen Möbel aufgetrieben, von seinen und meinen Eltern und anderen Verwandten. Die haben schließlich das ganze Haus damit vollstehen. Da müssen wir nix kaufen und haben gleich jede Menge gespart.

      Unsere neue Wohnung in so einem Plattenbauhochhaus in Mitte steht jetzt voller Bauernmöbel von zu Hause. Eigentlich passt das nicht, aber grade das finde ich irgendwie auch wieder richtig schön. Dass wir so bleiben, wie wir sind, auch wenn drum herum alles ganz anders aussieht, mit einem Mal. Wir bleiben wir. Wir haben sogar eine Kuckucksuhr. Und ich habe lauter Tischdecken und Untersetzer und zueinander passende Handtücher und Bettwäsche von zu Hause mitgebracht, und einen Fußabtreter, auf dem eine Sonne drauf ist, die ist richtig schön, auch wenn ich mir irgendwie nicht die Füße an der dicken Sonne abwischen will. Denn sonst scheint die ja irgendwann nicht mehr, und deswegen benutze ich ihn gar nicht richtig …

      Dann habe ich mir noch einen Job gesucht, der zu mir passt. Ich wusste gleich, dass es das Richtige für mich ist, als ich die Stellenausschreibung gelesen habe. Ich wusste, das muss einfach klappen. Tobi nennt es Kummerkastentante. Oder Dr.-Sommer-Team. In Wirklichkeit arbeite ich ab Anfang nächsten Monats als Beraterin bei so einer Online-Dating-Seite: Wenn die Leute mit ihren Romanzen nicht weiterkommen, wenn sie einen guten Rat brauchen oder Liebeskummer haben, dann fragen sie mich. Ist das nicht toll? Früher im Ort haben mich ja auch immer alle gefragt. Sämtliche Freundinnen sind angekommen mit ihren kleinen Zettelchen und ihren SMSen und Schulhof-Geschichten und haben vorgelesen und erzählt und gehofft, dass ich ihnen irgendwie weiterhelfen kann. Weil ich die Einzige war, die immer einen Freund hatte, nämlich Tobi. Da dachten die natürlich, dass ich der Experte schlechthin bin. Ich hatte von Anfang an die längste Beziehung. Also ist das der ideale Job für mich. Und ich habe auch wirklich das Gefühl, dass ich etwas weitergeben kann. Schließlich hatte ich ja bis jetzt immer Glück in der Liebe. Und wer kann das schon von sich behaupten?

      Jetzt, wo alles eingerichtet und angemeldet und aufgehängt ist, bin ich auch wirklich überzeugt davon, dass es gut war, dass wir nach Berlin gegangen sind. Auch wenn meine Mutter daheim sich Sorgen macht, wo ich gelandet bin. Vielleicht ist sie einfach bloß ein bisschen neidisch, dass wir wirklich aufgebrochen sind, dass wir losgefahren sind und nicht darauf gewartet haben, dass irgendetwas von ganz alleine passiert. Mein Vater hat das nie gewollt. Er meinte, jeder Ort ist so gut wie der andere, wenn man selbst gut ist. Dieses ganze Reisen und das Erkunden anderer Länder seien irgendein moderner Quatsch, den sich die Rastlosen ausgedacht hätten und natürlich die Reiseveranstalter.

      Mama ist immer nur daheim gewesen, gerade deswegen. Die beiden waren nämlich noch nie getrennt. Nur einmal musste sie für länger ins Krankenhaus in „der Stadt“. Davon erzählt sie heute noch wie von einem Wellnessurlaub, dabei war es doch ein Krankenhaus. Sie merkt es gar nicht, aber sie kriegt dann immer richtig leuchtende Augen. Seltsam, oder?

      Georg, 39

      Nach einer Reihe von Reinfällen in Sachen Beziehung bin ich die Sache diesmal ganz strategisch angegangen: Ich bin ein Mann, einigermaßen attraktiv, würde ich sagen, und die meiste Zeit auch nicht arbeitslos. Ich suche eine Frau, eine, die so weit ist, eine Familie mit mir zu gründen, denn ich finde, es wird allmählich Zeit dafür. Und sie kann auch gerne schon ein Kind haben, von mir aus. Dann weiß sie wenigstens, was auf sie zukommt.

      Man könnte vermuten, das sei leicht, man könnte sogar meinen, das sei ein großartiger Ausgangspunkt, das wollen sie doch alle, das steht in den Frauenmagazinen und auf den Single-Wunschlisten, aber irgendwie sieht es nicht grade danach aus, als ob die Frauen bei mir Schlange stünden …

      Also habe ich mir überlegt, vielleicht findet sich so eine Frau auch mal ganz einfach nicht in meinen Lieblingsbars. Was soll sie da schließlich auch zwischen den ganzen Besuffskis und den verkrachten Existenzen. Und auch nicht am Theater, wo ich nämlich arbeite, weil, die wollen ja da alle Karriere machen und sind so wahnsinnig kreativ und eigensinnig und begabt. Sondern irgendwo, wo ich sonst nie hingehen würde: da, wo eben diese Art von Frauen unterwegs ist, die normalen Frauen, die mütterlichen Frauen, ich nenne sie insgeheim: die Brigitte-Frauen, zum Beispiel tagsüber in diesem Eiscafé, zwei Straßen weiter.

      Ich meine, dieses Eiscafé ist doch von oben bis unten hin voll mit offensichtlich gebärfreudigen, familienaffinen Frauen. Da muss man sich doch einfach nur dazwischensetzen und ganz tief durchatmen. Als Frau wird man dann wahrscheinlich schon von ganz alleine schwanger. Man muss das Feeling nur inhalieren wie beim Kiffen früher.

      Als Mann versprüht man einfach seine Aura. Und siebzehn Jahre später klingelt vermutlich ein siebzehnjähriger Teenie bei einem an der Tür und meint so: „Du warst doch mal vor siebzehn Jahren in diesem Eiscafé … “

      Das Problem ist – wie ich jetzt im Selbstversuch feststellen konnte – die sehen einen gar nicht. Die sind so sehr mit ihren Lätzchen und Fläschchen und dem ganzen Equipment beschäftigt, da bin ich für die völlig unsichtbar. Die kleiden sich auch gar nicht mehr wie richtige Frauen, mehr so wie Muttertiere in Funktionskleidung. Überall Täschchen, Lätzchen, Kapuzen, und alles ist abwischbar. Ein Tag, an dem sie nicht bekleckert wurden, ist ein verlorener Tag.

      Ich sitze jetzt hier schon zum vierten Mal. Ich habe schon fast jede Eissorte probiert, sogar die mit Joghurt. Und die einzige Person, die je mit mir gesprochen hat, wenn man das so bezeichnen kann, war diese militante Radfahrerin, die hier in einem Höllentempo entlanggefegt ist, den Tisch umgeworfen hat und sich dann noch nicht mal von mir hochhelfen lassen wollte. Stattdessen hat sie einer Horde Mega-Mütter all das an den Kopf geworfen, was ich insgeheim auch gedacht habe, und noch bevor ich ihr beipflichten konnte, hat sie mir auch noch einen dreisten Spruch gewidmet.

      Ehe sie mit Legoteilen gesteinigt werden konnte oder mir irgendeine vernünftige Antwort eingefallen wäre, ist sie schon mit ihrem roten

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