Wir können machen, was wir wollen. Nina Pourlak

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Wir können machen, was wir wollen - Nina Pourlak

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selten in die Uni. Architekten gibt es in dieser Stadt doch sowieso viel zu viele. Das hat alles eigentlich überhaupt keinen Sinn mehr, echt. APOKALYPSE. Jetzt.

      Ich klemme mir diese Ledertasche unter den Arm, die mich auch schon seit der Kindheit begleitet, und verabschiede mich von meiner Freundin wie eine wandelnde Lüge. Dann fahre ich los. Ich fahre ins Abenteuer. Ich komme mir vor, als ob ich etwas völlig Verbotenes tu, wie ein Doppelagent oder so was.

      Aber es ist eigentlich total normal, jeder könnte das machen, und man kann dafür noch nicht mal ins Gefängnis kommen. Man klingelt irgendwo, jemand macht auf. Man darf ihn anfassen. Der darf einen anfassen. Das ist der Deal. Es ist alles abgesprochen. Man kann auch wieder gehen, man muss ihn nicht wiedersehen. Sich keine Ausreden überlegen. Nicht nett sein. Und man kann alles wieder abwaschen später. Es sieht einem keiner an, was man grad getan hat. Irre. Keiner checkt, was passiert ist. Ich sehe immer noch wie ich aus, obwohl ich grad ein anderer war.

      Nur manchmal fallen mir später plötzlich Sachen ein. Kleine Sachen, die ich mir gemerkt habe. Was mir nicht gefallen hat. Wie etwas gerochen hat. Wenn jemand etwas Dummes gesagt hat. Etwas, das ich gar nicht wissen will, oder etwas, das ihm nicht zusteht. Mich festzuhalten, wenn ich mich abwenden will. Mir etwas Vertrauliches ins Ohr zu flüstern beim Sex. Eine Bemerkung über meinen Körper, als wären wir zusammen. Dann reißt der Film für einen Moment, und ich frage mich: Was mache ich hier? Was hat mich nur hierhergetragen?

      Abends komme ich wieder mit der Ledertasche unterm Arm bei Minka an. In die Wohnung mit den Bauernmöbeln. Als Erstes stelle ich mich unter die Dusche. Dann brauche ich einen Moment, um mir darüber klar zu werden, wer ich eigentlich bin, in Wirklichkeit. Was ist das eine und was das andere? Aber ich habe kein schlechtes Gewissen. Weil ich denke, das hat so gar nichts mit ihr zu tun. Das ist vollkommen außerhalb ihrer Welt, die so klar und anständig ist. So.

      Außerdem hat sie mich ja selbst dazu gebracht. Als ob sie ernsthaft denken würde, dass alle, die sich dort anmelden, heiraten und für immer zusammen sein wollen. Und sie ihnen jetzt dabei hilft. So naiv kann doch nicht mal Minka sein, oder?

      Ihre langen, flachsfarbenden Haare riechen wie immer, wenn ich mich beim Einschlafen von hinten an sie schmiege und den Tag noch mal in Gedanken vor mir ablaufen lasse.

      Sie weiß es nicht, und sie könnte es sich auch niemals vorstellen. Vielleicht ist es das, was mir am besten daran gefällt. Dass ich jetzt etwas nur für mich allein habe. Ein Geheimnis.

       Hannah

      Mein Fahrrad gibt röchelnde Geräusche von sich, es klingt genauso, wie ich mich fühle nach einem Tag Arbeit wie heute. Es quietscht auch extrem beim Bremsen, dann drehen sich alle nach mir um, an der Ampel. Die Klingel funktioniert überhaupt nicht, aber das Gute ist, meistens muss man ja auch bremsen, wenn man klingeln will, und dann quietscht es dafür eben richtig furchterregend, besser als jede Klingel. So laut und dramatisch, dass man schon den Aufprall erwartet wie bei einem Verkehrsunfall, wenn man es vorher quietschen hört.

      Diese dämlichen pseudolässigen Hängehosen-Typen vom Fahrradladen meinten nach mehrtägiger Untersuchung, es sei wohl was kaputt. Klar, habe ich gesagt, ihr werdet es nicht für möglich halten, ihr Schlauberger, aber das hab ich auch schon gemerkt, deswegen habe ich dieses Fahrrad ja auch hergebracht. Ich dachte, es sei euer Part, das Teil zu reparieren.

      Diese Jungs so arschcool: Ach so, stimmt ja, da war ja was, na gut, alles klar, machen wir. Ich meinte dann mindestens genauso lässig, dass ich allmählich eher das Gefühl hätte, die wollen, dass ich da immer wieder vorbeikomme. Vielleicht stimmt das ja auch, sagte einer dieser Typen, der mit den wuscheligen Haaren, und klimperte mit seinen Wimpern. Schön, zischte ich dann, echt toll, du, ich fühle mich auch wirklich maximal geschmeichelt, aber dann kannst du ja einfach meine Telefonnummer auf diesem Kundenzettel anwählen, wenn du mich vermisst, und mein Fahrrad trotzdem bald mal reparieren, o. k., das brauche ich nämlich zufälligerweise. Danke. Er hat sich dann wohl noch mal dran probiert, aber leider nur mit mäßigem Erfolg.

      Mein Fahrrad hat mittlerweile jedenfalls komplett kapituliert. Es ist letztens in der Gneisenaustraße zusammengebrochen wie ein lahmes Pferd unter seinem Cowboy in der Wüste. Immer langsamer ist es geworden, immer müder. Und es hat heftig geschnaubt. Ich bin abgestiegen, damit es leichter wurde, und hab es angefeuert wie ein Motivationstrainer, komm, Pferdchen, noch ein bisschen. Du schaffst es. Da vorne ist eine Quelle. Aber es hustete und prustete und ging in die Knie. Und jetzt steht es da einsam und allein in Kreuzberg vor ’ner Turnhalle angebunden und wird wahrscheinlich bald schon von schwedischen Touristen und Flaschensammlern ausgeweidet. Adieu, Fahrradkorb. Adieu, kaputte Klingel.

      Und angerufen hat natürlich auch niemand – nicht dass ich jetzt unbedingt darauf gewartet hätte – aber trotzdem. Eine ganz tolle Aktion. Glück auf der ganzen Linie, mal wieder. Man könnte sagen: Ich hab ein Händchen für so was. Ich hab ein Talent zur Verschreckung. Ich krieg auch schon so Bücher ausgeliehen, von besorgten Freundinnen, anderen Erzieherinnen und alleinerziehenden Müttern aus meiner Gruppe: „Simply Love Strategy“, und wie das alles heißt. „So finden Sie den Mann fürs Leben.“ „Die 88 Regeln zum Glücklichsein. Programmieren Sie einfach Ihre innere Festplatte um, damit Sie die Unglücksserie beenden können. Das System verändern heißt sich selbst verändern.“

      Chaka!

      Sie drücken mir diese peinlichen Frauen-Sachbücher in der Mittagspause in die Hand und dazu noch ganz fest die Daumen. Teilweise haben sie echt Stellen mit Textmarker angestrichen, die sie selbst am wichtigsten fanden.

      Da bekommt man die interessantesten Tipps: „Niemals zuerst anrufen. Überhaupt niemals anrufen. Höchstens zurückrufen.“ – „Nach jedem Essen ein Kaugummi.“ – „Auf keinen Fall vor dem fünften Date von Heirat sprechen. Nicht einmal einen Satz sagen, in dem das Wort Heirat drin vorkommt. Am besten nicht einmal ein Wort, das überhaupt mit H anfängt.“

      Zu mir sagen sie dann: „Bei mir hat es ja auch geklappt“, oder: „Du bist als Nächste dran. Ich spüre das.“ Klingt irgendwie nicht so positiv, eher wie eine Drohung: „Du bist als Nächste dran.“ Nimm dich in Acht. Pass bloss auf. Die Falle schnappt bald zu. Das ist nämlich genau deren Irrtum: Ich will gar nicht dran sein!

      Ich guck mir ihre luschigen Freunde von der Seite an und erinnere mich an all die haarsträubenden und teilweise intimen Katastrophen, die sie mir schon über ihr Zusammenleben mit diesen Typen erzählt haben, all die bescheuerten Kompromisse, die sie eingehen müssen, all die Kränkungen und Betrügereien in ihrer ach so beneidenswerten Beziehung, und dann denke ich bloß: Das hat mir grade noch gefehlt. Es muss noch eine andere Möglichkeit geben, glücklich zu werden auf dieser Welt. Am liebsten würde ich einfach sagen: Das, was du hast, das will ich doch gar nicht. Ich meine, es ist ja schön, wenn du damit zufrieden bist. Wirklich. Freut mich. Aber für mich wäre es nun mal nichts!

      Das versteht echt niemand. Und das will man ja so auch nicht konkret aussprechen. Dass man lieber alleine ist als mit irgend so einem Heini – wie ihrem Freund – auf Trostpflasterbasis vereint.

      Dieses Lied von „Ich & Ich“ hasse ich ja übrigens auch: Du bist mein Pflaster. Oh man. Wer will schon ein Pflaster sein, oder? Ich meine, Pflaster, ja, die sind dazu da, die Wunde abzukleben, dann saugen die den Eiter auf und den ganzen anderen Schmodder, und danach, wenn alles geheilt und wieder gut ist, landen sie grabbelig und eklig im Mülleimer, und keiner will sie noch haben. Schönen Dank für das Kompliment.

      Das muss man sich also mal klarmachen. Dass man die genauso bemitleidet, wie die einen bemitleiden, wenn man alleine nach Hause geht, weil sie miteinander nach Hause gehen müssen, immer und immer wieder, weil sie gar keine andere Wahl haben, das können die sich gar nicht vorstellen. Die tun die ganze Zeit so, als ob jeder dringend ’ne Begleitung braucht, um durchs Leben

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