Wir können machen, was wir wollen. Nina Pourlak
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Ist das peinlich. Die ganzen Fotos von den übrigen Anwärtern in meinem Alter geben mir noch den Rest. Und erst recht diese albernen Namen. Teddy79. NurmitDir. Rosenkavalier … Herzlich willkommen im Gruselkabinett. Bin ich jetzt einer von denen?
Immerhin: In einer Stadt voller Blinde, ist der Einäugige König, oder? Ich geh aufs Ganze, ich werde mein bestes Schauspielerfoto hochladen, wenn schon, denn schon, und mir einen richtig coolen Namen geben … Den coolsten, den es gibt auf der Welt: Cowboy.
Ich wollte schon immer am liebsten ein Cowboy sein. Auch jedes Jahr beim Fasching. Cowboys sind lässig. Cowboys sind gerne allein. Sie lassen sich nichts anmerken, verziehen keine Miene, und wenn es ihnen irgendwo nicht gefällt, reiten sie einfach weiter, ohne sich groß zu scheren. Cowboys melden sich ganz sicher nicht online auf einer Dating-Seite an, wie mir grade klar wird. Aber vielleicht gibt es genau deswegen auch keine Cowboys mehr. Die sind nämlich ausgestorben, die Armen.
Hannah
Ich hab’ das Fahrrad dann doch abgeholt und zu mir nach Hause geschoben, ich konnte es doch nicht im Stich lassen, nach all den Jahren. Aber ich habe es nicht mehr repariert. Es steht im Hinterhof und kriegt sein Gnadenbrot. Hatte auch keine Lust, es noch mal bei diesen unfähigen Typen aus dem Fahrradshop abzugeben. Jetzt beim Umzug hat sich die Frage gestellt, ob ich es mitnehmen soll. Aber ich mag lieber richtige Neuanfänge. Ohne kaputte Sachen von früher. Kaputte Dinge oder kaputte Beziehungen. Kaputte Gedanken, kaputte Hoffnungen. Alles soll neu sein und nicht besetzt mit unguten Erinnerungen:
Wenn ich zum Beispiel etwas anhatte, ein rotes Kleid oder so, bei einer Verabredung, die dann ganz furchtbar danebenging, dann kann es sein, dass ich das Kleid nie wieder tragen will. Egal, wie schön es aussieht. Es ist dann aber nun mal einfach das Kleid von diesem Tag, von dieser Verabredung, und das vergesse ich nicht.
Ich hab also das Fahrrad-Schloss abgemacht, bevor ich in den Robben & Wintjes-Wagen zu meinen Arbeitskolleginnen gestiegen bin, und hab das gute Rad freigelassen. Hab ihm einen Klapps auf den Hintern gegeben und gemeint: Mach was draus! Du bist jetzt frei. Es ist aber nicht gleich losgaloppiert wie ein glücklicher Mustang, sondern ratlos dort am Baum stehen geblieben. Irgendeiner wird sich für dich finden, einer, der Sachen reparieren kann und Geduld hat, einer, der dich so liebt, wie du bist, mit allen deinen Fehlern und Macken, meinte ich dann noch so.
Wahrscheinlich habe ich einfach schon zu viele von diesen Ratgebern gelesen, oder? Meine Kolleginnen haben mich jedenfalls ganz komisch angeguckt und dann gerufen: Los jetzt, steig ein, Hannah, und auf die Hupe gedrückt.
Dann sind wir abgefahren, vorbei an dem alten Rad und dem Restaurant an der Ecke, wo mich dieser eine Kellner immer so massiv angemacht hat, dass ich gar nicht mehr wusste, wie ich da vorbeikomme, vorbei an dem Eiscafé und dem Spielplatz, eigentlich nur zweimal um die Ecke und einmal über den Kanal – trotzdem eine andere Welt.
Mein neues Zuhause: Dieser riesige Wohnblock am Kottbusser Tor sieht aus wie ein Ufo, das zufällig dort gelandet ist. Eine verrückte Techno-Arche-Noah, mit Menschen aus allen Ländern, Künstlern und Arbeitslosen oder Schwulen und Lesben, Junkies und Hausmeistern und bestimmt auch ein paar Außerirdischen oder noch nicht weiter analysierten Lebewesen.
Lauter Balkone mit riesigen Satellitenschüsseln, als ob die Leute noch Kontakt zu anderen Planeten halten wollten. Fast ist es ja auch so: Dort, wo diese Satellitenschüsseln am Fenster hängen, wohnen nämlich Menschen mit Migrationshintergrund, wie man so schön sagt, nur die kriegen die Genehmigung, diese Teile an den Balkon zu montieren. Jetzt wollen sie dort viel verändern, meinte die russische Dame von der Hausverwaltung, weniger Hartz-IV-Empfänger, mehr Künstler – als ob das in Berlin nicht meistens das Gleiche wäre. Und Blumen werden auch angepflanzt, bald soll es sogar einen eigenen Kotti-Honig geben, geliefert von einem Bienenstock, der direkt auf dem Dach haust.
Ich weiß nicht so ganz, wie ich in das Konzept passe, wahrscheinlich haben sie gedacht: Erzieherinnen, die basteln doch immer so viel, die sind ja fast so was wie Künstler, jedenfalls sind es aber keine Hartz-IV-Empfänger, und das ist schon mal gut, und deswegen habe ich auch die Wohnung so schnell bekommen, kaum dass ich mir in den Kopf gesetzt hatte, mich zu verändern. Ich hab mich vorher extra noch mal bei der Hausverwaltung versichert, dass niemand aus meiner Kindergartengruppe dort wohnt, damit ich nicht gleich wieder in die Falle gehe und als Notfall-Babysitter für den ganzen Block herhalten muss.
Keine Ahnung, wie oft ich in diesem Leben noch neu anfange. Wie viele Male diese Waschmaschine irgendwo hingetragen wird, ein Nachsendeantrag gestellt und der Name auf dem Klingelschild erst mal mit Sticker überklebt wird.
Wie oft ich mir meine neue Telefonnummer einprägen werde und wie oft ich mich daran gewöhnen muss, in einem neuen Zimmer aufzuwachen, was ab dann mein Zuhause ist.
Im Treppenhaus stinkt es nach Pisse, und so ein völlig verpeilter Typ kifft auf der Terrasse und schwafelt dabei seltsames Zeug. Was sagt er da? Ahh. Herzlich willkommen.
Anscheinend mein neuer Nachbar. Na spitze. Meine Freundinnen gucken mich vor der Abfahrt skeptisch an, mit diesem Können-wir-dich-überhaupt-hier-alleine-lassen-Blick. Ich sag: Ja doch, Leute, zischt ab, ich wohne ja jetzt schließlich hier, das ist mein neues Zuhause. Das beruhigt die aber kaum, eher im Gegenteil, würde ich sagen. Sie fangen dann auch noch mal davon an, ob ich vielleicht in einer Krise stecke und ob es mir unbedingt guttäte, ausgerechnet hierhin zu ziehen, zu all den ganzen Verrückten und Durchgedrehten, und ob sie mir noch ein paar Bücher ausleihen sollen.
Manchmal glaube ich wirklich, ich bin ihr Lieblingsthema. Wenn man jemanden hat, über dessen Leben man reden kann, muss man sich immerhin nicht so intensiv den Kopf über sein eigenes zerbrechen, oder? Ich hab gesagt, mir geht es wunderbar, vor allem jetzt, wo ich endlich umgezogen bin und meine Ruhe habe. Sie sollen sich mal keine Sorgen machen. Jeder, der ein Herz hat, ist im Winter in Berlin ein bisschen melancholisch, oder? Die Selbstmordrate ist auch ziemlich hoch, aber das sag ich nicht, das würde die nicht beruhigen. Vor allem, weil ich jetzt in einem Hochhaus wohne.
Als sie endlich alle gegangen sind, mit ihrem selbstgebackenen Kuchen und ihren Hausratsversicherungen und Lebensweisheiten und allem, hab ich also angefangen, meine Kartons auszupacken, und alles irgendwie provisorisch in windschiefe Regale gestellt. Bestimmt bleibt es jetzt erst mal ewig genauso stehen. Mein ganzes Leben ist irgendwie immer noch provisorisch wie diese schiefen Regale. Buhuhu.
Jetzt werde ich aber wirklich ziemlich melancholisch. Die Wohnung ist mir noch fremd, aber wenn ich aus dem Fenster gucke, sehe ich auf einmal nicht nur den Hinterhof, sondern das ganze heftige Leben da draußen. Alles leuchtet und rennt herum auf dem Weg, wieder woandershin, wo vielleicht irgendjemand wartet. Es beruhigt einen irgendwie, dass da draußen was passiert und man nicht allein auf der Welt ist. Dass alle nach irgendwas suchen und immer weiterlaufen, nicht nur man selbst. Man käme sich sonst so verloren vor, oder? Als wäre man der Einzige, der noch nicht herausgefunden hat, worum es geht und was genau das Ziel der ganzen Sache hier ist.
So ein Umzug stellt einen aber auch vor lauter nahezu unlösbare Aufgaben, wie zum Beispiel das Anschließen von Waschmaschine und Geschirrspüler, diese höchst anspruchsvolle Fernsehsenderprogrammierung und das Andübeln von irgendwelchen Brettern im Bad als nahezu unpackbare Herausforderung.
Ich will aber auf keinen Fall noch mal meine Freundinnen und Kolleginnen fragen, das hat heute schon gereicht. Ich kann mir richtig vorstellen, wie die zu Hause dann zu ihrem Freund sagen: „Hilf doch bitte mal der armen Hannah, diese Sachen anzubringen, sie hat doch sonst niemanden. Sie ist doch so allein. Sie braucht wirklich dringend unsere Unterstützung.“ Und der Typ dann so, halb genervt, halb gönnerhaft, entgegnet: „Na, gut, dann werden wir der Kleinen mal helfen. Wir sind ja nicht so … “
Und