Panik. Reinhold Eichacker
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»Señor Dr. Nagel hat leider das Unglück, einen Namen zu tragen, dem Würde und Klang fehlen. Ich war als sein dienender Mitmensch verpflichtet, ihm diesmal den Klang meines eigenen Namens zu leihen...«
Das starre, nur von seinen Augen belebte Gesicht stand wieder in Falten. Der Fuß schob sich langsam um Handbreite vorwärts, als ginge es zum Tanz.
»Esel!« zischte der kleine Direktor in seiner Enttäuschung.
Mabel nahm ihm den Hund zärtlich ab und trug ihn zum Diwan. »Ich danke Ihnen«, sagte sie freundlich und drückte dem Mann eine Belohnung in die Hand.
Don Ebro hob würdig die magere Hand in die Höhe und legte den Schein auf die Platte des Tisches. »Don Ebro nimmt niemals Geschenke, Señorita. Hilfsbereitschaft ist selbstverständlich für einen Edelmann.«
Verlegen und unschlüssig suchte Miss Mabel die Unterstützung des Doktors. Er winkte ihr heimlich mit lachenden Augen. Don Ebro entfernte sich, würdevoll grüßend.
Earthcliffe lief heftig erregt durch das Zimmer. Seine Finger nestelten ununterbrochen die Haarsträhne nach unten. Plötzlich blieb er vor Nagel stehen und wippte auf den erhobenen Zehen.
»Herr!« krähte er wütend, »dann sind Sie der erste Entdecker gewesen?«
»Ich hatte den Dusel!«
»Herr, bleiben Sie mir mit Ihrem Dusel vom Leib! Potz Wurzel aus dreizehn, das kann nur mit dem Teufel zugehen! Wollen Sie etwa aus Sport einem Earthcliffe ans Leder? Wollen Sie mir meine Sterne abjagen, weil es Ihnen Spaß macht?«
Wie ein fauchender Löwe lief er durch das Zimmer. Mabel legte ihm zärtlich die Hand auf die Schulter.
»Er war doch kaum eine Sekunde voraus!«
»Was? Eine Sekunde? Zwei hundertstel nur! Das ist schon genug! Potz und Wetter, zum zweiten mal ist meine Sternwarte dadurch...« Mit einem Ruck blieb er vor Nagel stehen, den baumelnden Haarschopf in der zitternden Hand.
»Herr, Offenheit will ich! Was haben Sie vor? Warum sind Sie trotz allem zu mir gekommen?«
Der Jüngere wich seinen Blicken nicht aus. »Weil wir einzeln die Lösung des Rätsels nicht finden. Es stimmt etwas nicht!«
»Was?!« schrie Earthcliffe auf. »Was sagten Sie da?«
»Es stimmt etwas nicht. Das steht für mich fest. Ich bin kein Gelehrter vom Bau, so wie Sie. Ich fühle das nur. Dieser Punkt ist und wird kein normaler Planet.«
Mit beiden Händen stützte sich der Direktor auf die Lehne des Stuhls. Seine Lippen bewegten sich angstvoll, verwirrt. »Herr, Herr, wie kommen Sie zu diesem Schluss? Was mich in all diesen Wochen verfolgt hat, was ich durch Zahlen und Rechnungen herausfand... Wie kommen Sie blutiger Laie dazu, das hier auszusprechen, was ich nur geahnt habe? Wer hat Sie auf dieses Geheimnis gebracht?«
»Allein mein Gefühl. Oder, obwohl Sie es nicht wollen, mein Dusel. Darf ich jetzt bei Ihnen bleiben, Herr Earthcliffe?«
»Mann, gehen Sie mit Ihrem Dusel zum Teu...!«
»Also auf zur Stermwarte! Ich bedanke mich herzlich für die Mahlzeit und die bezaubernde Gesellschaft. Die Arbeit ruft!« unterbrach ihn der Junge.
Verdutzt sahen Vater und Tochter sich an. Die Tür fiel ins Schloss. Von unten klang zweimal die schrille Sirene. Mabel sah schnell hinab.
»Pa, er schickt seinen Wagen zurück und geht selbst zum Turmhaus.«
Die kritische Miene des Professors erhellte sich. Ein seltsamer Schimmer der tiefblauen Augen verjüngte sein strenges, zergrübeltes Antlitz. Gelassen strich er sich eine Haarsträhne aus dem schmalen Gesicht.
»Ich glaube, es ist vergeblich, dem Jungen etwas verbieten zu wollen. Er muss seinen Weg gehen. Er ist wie das Glück, wie die Jugend, das Leben...« Mit einem nachdenklichen Lächeln ging der Alte zur Arbeit.
Mabel stand stumm an das Fenster gelehnt und presste sich tief in den schweren Vorhang.
Ein leichtes Knirschen schreckte sie hoch. Die Tür zum Flur flog wie vom Wind bewegt auf. Eine schwarze Gestalt stand erstarrt auf der Schwelle. Den Fuß eine Handbreit nach vorne geschoben, als wolle er tanzen. Mit eckigem Schritt ging Don Ebro zum Tisch, nahm würdevoll das erst verschmähte Geschenk und strich mit der Hand jede einzelne Note glatt. Dann glitt er hinaus wie ein drolliger Spuk...
Da überkam es Mabel wie ein Sturm. Weit reckte sie ihre schlanken Arme in den sonnenbeschienenen Vorhang empor, die leuchtenden Augen voll Sehnsucht und Licht...
»Er ist wie das Leben, wie Jugend, wie - Glück!«
5
Die riesige Kuppel der Michigansternwarte lag im blauweißen Mondlicht. Gespenstisch, mit langen Armen ragten die schlanken Fernrohre hinauf in den nächtlichen Himmel, um die Geheimnisse der glitzernden Sterne zu ergründen. Tiefe Stille saß in den Ecken und schlafenden Fenstern. Ab und zu klang ein leichtes metallisches Ticken sich drehender Schalter und blitzender Hebel, wie Stimmen von Saiten. Vor dem Zehnzöller dehnten sich schwebende Schatten von menschlichen Köpfen. Hoben und senkten sich, drehten sich leicht auseinander und flossen zu neuen Gebilden zusammen. Zwei schimmernde Augen träumten im Dunkel.
»Wie wunderbar ist das doch alles! Wie namenlos herrlich!« Leise, wie gehaucht kam es von Mabels Lippen. Der andere Schatten stand langsam vom Rohr auf. Ein Schaltergriff tickte. Das scharfe Profil Dr. Nagels wuchs auf aus dem Schatten.
»Sie träumen, Miss Mabel? Von den Sternen geht ein seltsamer Strom aus und dringt in die Herzen. Und doch ist das alles - der nächtliche Himmel, die Augen des Dunkels - für uns nur der Eingang zum ewigen Kosmos. Ein strahlendes Tor nur, umlagert von Rätseln. Für uns sind diese winzigen Sterne so dicht beieinander, als könnten wir sie spielend umfassen. Und doch sind sie so weit voneinander entfernt, dass dagegen der Abstand zur Sonne verschwindend gering ist. Für uns leuchtet dieser Stern hell und klar, und doch könnte er bereits lange erloschen sein. Platzte der Stern heute krachend entzwei, löschte sein Glanz wie ein Kerzenlicht aus. In zweihundert Jahren erst würden die künftigen Menschen es sehen. Und Sterne, die uns jetzt noch hell leuchtend scheinen, sind lange erloschen. Lichtkörper, die unser Auge nicht schaut, senden uns schon viele Jahre ihr Leuchten herüber. Plötzlich ein neuer, ringbildender Glanz, ein Stern leuchtet auf: der reisende Lichtstrahl, der erste geflügelte Bote der erdfernen Welt, hat die Erde erreicht. Das Band ist geknüpft, ein Lichtband zu uns...«
Mabels gemeißelter Kopf sank nach vorne. Das bläuliche Flimmern umspielte ihr Haar.
»Ich glaube, so ist es auch oft mit uns Menschen. Wir wissen nicht, ist unser Dasein nur Schein, wie Buddha uns lehrt, oder wirkliches Leben. Sind wir Gedanken des ewigen Alls, oder sind wir schon Taten. Wo liegt das Endziel, wo der Sinn?«
Im schwarzen Nachthimmel fröstelte sie leicht.
Nagel stellte das Rohr wieder ein und ließ es dem strahlenden Jupiter folgen.
Mabel legte das Auge ans Glas. Eine Lichtfülle fremdkalter Welten umflutete sie. Deutlich sah sie die Schatten der kleinen Trabanten als winzige Scheibchen im Glase vorbeiziehen.
Dr.