Erzähl mir von Ladakh. Adi Traar

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Erzähl mir von Ladakh - Adi Traar

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der Ladepritsche eines vor uns herfahrenden Kleinlasters ein abgestelltes Motorrad, besetzt von einem Mann und einer Frau; als seien sie einsatzbereite Agenten, die jeden Moment in spektakulärer James-Bond-Manier die Ladefläche verlassen und die Fortbewegungsart wechseln. Familienlimousinen allerorten, beladen mit zwei, drei Menschengenerationen, vom Gepäckträger bis zum Tank, dazwischen unzählige Lärm und Gestank verbreitende Mopeds. In den Straßen der Dörfer immer wieder körperlich unvollständige Menschen, in ihrer Behinderung in Zwischenwelten abgeschoben, dem Tod näher als dem Leben. Überhaupt schien sich alles Leben in den Straßen abzuspielen, hier wurde geteilt mit den Autos, es gewann, wer unter mehreren oder stärker war. Ich war zwar nur ein Einzelner, dafür war der Mercedes umso massiver und mein Fahrer umso rücksichtsloser im Anvisieren von Menschen- und Autogruppen. Zusätzlich wurde ich exklusiv bequatscht, konnte teilhaben an so mancher Schelte für seine Frau, die im Moment so fürchterlich nervös sei – wie alle Frauen, sobald sie ein Kind erwarteten. Dabei sei das doch die natürlichste Sache der Welt. Oben auf im Fragenkatalog wieder einmal das Umkreisen meines Berufes (reines Täuschungsmanöver), dann: meines Gehalts. Vermutlich rechnete er sich die restliche Fahrt in Relation dazu sein Trinkgeld aus. Er verrechnete sich. Die abschließenden Diskussionen würden das belegt haben.

      Dann aber der Taj Mahal. Er war ein willkommenes Ausgleichsprogramm zur Körpersäfte entladenden Hitze, so kühl seine marmornen Baustoffe, so streng seine Architektur. Ein Bauwerk, welches nicht einer Liebe im Sinne von Weichheit und Durchlässigkeit entsprang, sondern einer Liebe aus Reglement, Weisung, beinahe – so empfand ich es im harten Mittagslicht – aus Zurückweisung. Für mich demnach: in Liebesdingen ein Wolf im Schafspelz. Und dennoch diese Bekanntheit als ewiges Liebesglück verheißendes Symbol! Aber es gibt ohnehin Theorien, die eher auf den Größenwahn des Erbauers Shah Jahan schließen lassen denn auf seine Liebesfähigkeit. In dieses trübe Bild fügt sich, dass er sämtliche um den Thron konkurrierende Verwandten töten ließ, um seine Position als Großmogul abzusichern. Ein gigantisches Kunstwerk ist der Taj Mahal gewiss, endlos bestaunenswert in seinen ziersteinernen und kalligrafischen Details und als symmetrisches Gesamtes.

      Schon das Schlangestehen zum Ticketkauf ließ eine gewisse Schroffheit erkennen, zumindest für die Inder. Für Amis und Euros wie mich gab’s einen kaum frequentierten Schalter. Der Guide, dem ich vom nun pausierenden Taxifahrer jäh überantwortet worden war, hatte eben noch in pennälerhafter Manier einen Taj-Mahal-Schnellkursus abgehalten, faktenintensiv, geschichtenarm, versteht sich. Nun blieb er außen vor, man duldete keine Fremdenführer in der Anlage. Er gab mir 30 Minuten für die Besichtigung; wenigstens ebenso lange ärgerte ich mich über seine Zeitvorgabe. Und mindestens um ein Dreifaches überschritt ich dann das Limit.

      Nach der Besichtigung ging ich mit dem Führer und dem Taxifahrer in ein Touristenrestaurant essen; mehr oder weniger freiwillig auf meine Kosten. Der Fahrer hatte ordentlich Hunger, er bestellte aus der Speisekarte von oben nach unten, mit gelegentlichen Richtungsänderungen. Dankenswerterweise wurde ich über das kommende Programm informiert. Wir würden eine Teppichweberei besuchen. Nett. Dass wir anschließend aber noch einen Steinmetz, eine Stickerei, ein Ledergeschäft und eine Gewürzstube aufsuchen würden, in denen mir Verkäufer, die auf Kundenfang gecoacht waren (jedoch kontinuierlich an mir verzweifelten), ihre edelsteinernen Tischplatten, Tischdecken, Lederjacken und Gewürze anzudrehen versuchten, wurde verschwiegen beziehungsweise unter den Teppich gekehrt. Wenn ich zu Hause in Österreich etwas benötigte, würde ich ein entsprechendes Geschäft aufsuchen, war mein gerauntes Resümee, als ich verärgert wieder im Auto saß und wir die Heimreise antraten; anstatt Teppichen, edelsteinernen Tischplatten, Tischdecken, Lederjacken und Gewürzen dann doch ein klein wenig schlechtes Gewissen im Gepäck. Irgendetwas zu kaufen, hätte mir nicht weh- und ihnen nur gutgetan.

      Das Trinkgeld könne ich mir gleich an den Hut stecken, meinte der Fahrer bei der Ankunft in Delhi. Als braver, durch heimatliche Gastronomie- und Gewerbebetriebe konditionierter 10-Prozent-Gabengeber hatte ich mich offensichtlich vertan, als ich, vom 100-Euro-Tourpreis ausgehend, 10 Euro in seine hohle Hand vergrub, die er unversehens wieder ausgrub, sie sofort auf meinen Oberschenkel klatschte, worauf ich den Schein wiederum auf seinen jetzt zurückweichenden Handrücken balancierte, bis er von dort auf die Gummibodenmatte flatterte, wo er besudelt und entehrt vielleicht heute noch liegt. Andererseits schließen sich Geld- und Ehrensachen ohnehin aus; kein Geld fungiert im Dienste wirklicher Ehre, folglich kann es auch nicht entehrt werden – es sei denn, man kommt mit einem von beiden nicht zurecht. Wie eben der Taxifahrer. Ich kam mit allen dreien nicht zurecht, und wir querelten den Innenraum des Taxis voll. Ich hasste den Taxifahrer mitsamt seiner europaanbiedernden Automarke, hatte genug von Delhi, verabscheute Indien. Aus Vergeltung ging ich Pizza essen.

      Zu spät bemerkte ich, dass sich der Subkontinent auch damit an mir verging. Die Vergeltung schnellte zurück, als wäre Indien eine einzige, zu dicht gebuchte Squashkabine: Die Pizza schmeckte grauenhaft. Ich erhob mein Bierglas auf die zivilisierte westliche Welt, Ideale wie Gleichheit und Umverteilung gerieten zu Schaumbläschen; in einem einzigen Schluck spülte ich diese mit einem Schwall Heineken-Export hinunter.

      Wiederum aus der Kategorie des neuen Wahrnehmens: Was ich niemals zuvor gesehen hatte …

      Da war ein Uniformierter mit kaninchenjagdtauglichem Doppellauf-Schrotgewehr vor einem Juweliergeschäft. Englische Feudalherren konnten es weiland auf einer Kaninchenjagd verloren haben. – Ein Haus, voller unmissverständlicher Spuren des Bewohntseins, dem letzten Stock fehlte das Dach, was sich auf den Wohnkomfort niederschlagen musste. – Die unmittelbare Betrachtung der behäbig sinkenden Sonne in der Totalen, ohne Filter oder rußgetöntes Okular, dabei unterblieb das Augenflimmern – dem Smog sei’s gedankt! Alles, was unter der Leuchtkraft einer Sonne rangierte, verschwand im Morast des Großstadtdunstes, wurde von ihm verschluckt. Die Menschen hier hatten sich wohl mit dieser dauerhaften Unvollständigkeit abgefunden, fragten nicht mehr nach den fehlenden Dingen.

      Ich kam aus dem Schauen und Staunen nicht mehr heraus, fühlte mich meinem Kindsein nahe. Nichts würde ich gegeben haben für diese ewige ewige Jugendhaftigkeit, dieses panische Anhaften an ihr, alles aber für das Schauen von einst und die Sammelsurium-Gefühle dahinter, absichtslos und zugleich voller Erwartungen. Dieses Kindsein holte mich beinahe ein, längst Vergessenes drängte sich vor, vermengte sich mit dem zu Sehenden, tönte, bereicherte es. Die zum Bersten gefüllte Sanduhr stob ihre Runden – am ersten Tag wähnte ich mich bereits seit Wochen hier. Indien erschien mir derartig prall gefüllt, ich übersättigte mich an ihm, bis zum Erbrechen, gleichzeitig konnte ich nicht genug davon bekommen. Eine fresslüsterne Krankheit, die niemals Erlösung fand, sie nährte und verstieß sich selbst zur gleichen Zeit.

      Allein die Armut. Es machte betroffen, auf welch kümmerliche und erfinderische Weise hier manche Menschen ihr Geld verdienen mussten, wie sie es zuwege brachten, ihren Magen betriebswarm zu halten. Welten entfernt von ausufernden Essstörungen. Und dennoch – gerade deswegen – war es nirgendwo leichter, ein Lächeln zu fangen, man wurde förmlich zum Jäger des verlorenen Lachens. Dieses Lachen schien bei den Leuten irgendwo innen befestigt, vermittels Seelenverschraubungen und anderem Befestigungszeugs; den dazugehörigen Werkzeugschlüssel mussten sie, unsichtbar für uns, stets bei sich tragen. War es dieses Lächeln, wonach ich gierte? Feinkörnige Nahrung für die Seele, anstatt popcornig aufblähender Mageninhalte? War mir nach so einem Tauschhandel? – jagte ich durch die verkloakten Straßen Delhis, um einen Kuh-Coup zu landen? Um dabei den Leuten das Nichts oder das Beinahe-Nichts, ihre Armut also, die vielleicht doch etwas Essenzielles in sich barg, etwas, das mir fehlen mochte, auch noch abzuluchsen? Ich erbrach mich gedanklich an solch einem Unterfangen.

      Ein kleines Kind saß in der Straßengülle, die sich teilweise bewegte, und bot sich an als Wirtstier. Das muntere, mikrobenkosmische Treiben hielt es nicht davon ab, an seinen Brotkrümeln zu nuckeln. Aus einem Gewürzladen daneben preschte eine junge Frau, wahrscheinlich die Mutter, packte ihr Wirtstier und verschwand wieder im Geschäft. Vor mir hatte sie Furcht, vor den Mikroben nicht.

      Reis!

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