Erzähl mir von Ladakh. Adi Traar

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Erzähl mir von Ladakh - Adi Traar

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Kokossoße, mit Dosai, das ist eine Art aufgeblähtes Fladenbrot aus Reismehl, gefüllt mit Kartoffelpaste, das zum Baumstamm gerollt vor mir lag, umgeben von einem Feuerkranz maxi scharfer Currys und Chutneys. Ich zerstörte ein auf Gaumenverzückung hin gearbeitetes, auskomponiertes Gericht und rüttelte gehörig an der Nobelrestaurantphilosophie.

      Bereits von außen war dem Lokal seine elitäre Bestimmung anzusehen. Eine Menschenmenge, die sich ohne viel Aufhebens zu einer ansehnlichen Warteschlange zurechtgeringelt hatte, begehrte Einlass. Als ein in jeder Lebenslage zahlungspotenter Okzidentler war ich anscheinend über leidiges Kastengeplänkel erhaben und wurde vorgelassen, ohne es einzufordern. Oder sie hielten mich einer Geheimkaste zugehörig, von der ich selbst gar nichts wusste; Okzidentlerkaste oder so. Ich musste an meine Zusatzkrankenkasse denken. Ein Platzanweiser mit eigenem Standortbüro – das da war ein Schreibtisch, darauf ein imposantes Zettelwirrnis –, ein Uniformierter polizeilicher Herkunft und ein Uni-formierter fraglicher Herkunft führten eindringlich vor Augen, was Kaste ist: Sie ebneten mir den Weg durch all die reservierten und besetzten Tische bis zu einem Platz, den ich nicht reserviert hatte, dann aber trotzdem besetzen durfte. (Bei meinen exorbitanten Zusatzkrankenkassenbeitragszahlungen nur ausgleichend gerecht.)

      Das Lokal war überschwemmt mit Personal. Ich rechnete hoch: Die vielen Arbeitsschritte von der Zubereitung der Speisen bis zu deren Auftafelung mochten locker ausreichen, um auf jeden Angestellten extra aufgeteilt zu werden; und selbst dann musste das noch herumstehendes Personal ergeben. Ich bangte, ob ich wohl noch für das Verspeisen alleine zuständig sei.

      Während immer neue Kellner aus allen möglichen Öffnungen ins Lokal huschten, machte sich in mir eine leichte Beunruhigung breit, sie übertrumpfte gar meinen Hunger. Die Leute aßen mit der Hand. Ich saß also vor dem Baumstamm, an ein Zersägen oder wenigstens Zerteilen mit Esswerkzeug war nicht zu denken. Einer der vielen Kellner, der mir das Gericht empfohlen hatte, musste das mit Absicht getan haben; als zusätzliche Herausforderung hatte man einen einzigen Löffel aufgedeckt. Am Teller also die scharfen Currys und Soßen, ein Feuerring, der an den Baum wollte. Mit den Händen (also noch reinen Gewissens) brach ich ein Stück vom gerollten Fladenbrot ab, nahm es in die linke Hand, legte den Rest ab – vom esskulturellen Standpunkt aus wähnte ich mich gut im Rennen – nahm den Löffel in die rechte Hand, langte damit in die weiße Soße, die an einen bindungsarmen Holzleim erinnerte, träufelte sie auf das Brotstück in der linken Hand, führte es zum Mund … HALT! Umgekehrt. Ich befand mich in Indien! Hier isst man mit rechts, weil man mit links das tut, was man bei uns ganz anders macht. Damit sind wir aber ziemlich alleine; auch laut Koranauslegung ist die linke Esshand des Shaitans (»des Teufels« laut Bibelauslegung). Ich blickte mich um, niemand schien meinen Fauxpas bemerkt zu haben. Der Mann am Nachbartisch griff zwar zum Telefon, aber … kaum anzunehmen, dass ich ihm eine Denunzierung wert war.

      Zweiter Anlauf. Mit den Händen brach ich ein Stück vom gerollten Fladenbrot ab, nahm es in die rechte Hand, legte den Rest ab, nahm den Löffel in die linke Hand, langte damit in die weiße Soße, die nach wie vor an einen bindungsarmen Holzleim erinnerte, träufelte diese auf das Brotstück, legte den Löffel ab und nahm das Brot in die linke Hand … NEIN, nicht schon wieder. Der Nachbar meldete sich laut brüllend am Telefon und ich erschrak ungemein.

      Es schmeckte ausgezeichnet.

      Als Musikbegleitung wurden einmal mehr Schlager kredenzt, geschluchzt von einer weiblichen Stimme, eng umschlungen mit einer männlichen. Das verhielt sich konträr zur Sangeskultur der westlichen Welt, die sich ja eher geschlechtssingulär zeigt. Hier wurde also Zweisamkeit demonstriert, man hatte sich gefunden. Bei uns sucht man sich noch.

      Das Busticket nach Manali war unerklärlicherweise verloren gegangen; ich hatte es mir durch duldsames Zuhören quasi ersessen, Samir hatte bei der Ausstellung unaufhörlich geschwatzt. Entweder war es von selbstauflösender Konsistenz oder die Übergabe ging im Schwall der schwärmerischen Landliebesbezeugungen unter, kam nie zustande und keiner hat’s bemerkt. Anwesend war noch der Bruder Samirs. An ihn hatte ich verloren, gerne verloren:

      1 000 Rupien (Bakschisch),

      1 Kugelschreiber,

      1 Schere.

      Ehe ich mein Leben verloren hätte, hätte er seines gegeben, so hilfsbereit und aufopfernd hatte er sich gebart. Ein He-is-my-friend genügte, um dem Busfahrer ein zustimmendes Nicken abzugewinnen, und ich konnte bar jeglicher Fahrkarte vierzehn Stunden lang mit dem Bus himalajawärts fahren. Dort, von wo der Bruder herstamme – selbstredend Kaschmir –, hätten die Menschen riesige Häuser, erzählte er mir noch schnell vor der Abfahrt. Als Rechenexempel: Auf 21 Zimmer kämen sechs Personen, hier in Delhi auf drei neun. Im Kaschmir war eben alles besser, das wusste ich in der Zwischenzeit bereits. Dass Michael Jackson tot sei, hätte ich sicher schon erfahren, oder? Ja, hätte ich.

      Im Deluxe-Bus nach Manali. Alles Inder; schöne, reiche. Unsere Blicke wuselten durch die Buskabine, trafen dann und wann aufeinander, enttarnt versuchten sie ihre Absichten zu verhüllen, stoben auseinander, um sich im nächsten Augenblick wieder zu suchen, wurden zunehmend mutiger, enthemmter, schließlich stierten wir uns unverhohlen an, die Neugierde losgelassen wie ein indisches Dschungelraubtier. Es waren offenbar hochkastige Menschen; privilegiert, dem Feucht-Heiß entfliehen zu können, rückten sie der kühlen, faltigen Himalajahaut zu Leibe. Stirnmittig wie ein drittes Auge hatten sich die Frauen Schönheitspunkte aufgepflanzt, auch diese suchten meine Aufmerksamkeit, fanden sie umgehend, bald war ich ihnen ungebremst verfallen. Dann verfielen alle in ein Dösen. In den Rumpelpausen stiegen wir aus dem Bus, durch das In-Bewegung-Geraten gewann wiederum das Schauen an Regsamkeit, das Aufeinanderprallen der Blicke setzte sich fort, arbeitete der Aufmerksamkeit zu, diese eröffnete neue Perspektiven und Anhaltspunkte am jeweils anderen. Vorurteile wichen Gewöhnung und Vertrauen, wurden entlarvt als aufgeplusterte Seifenblase, zerplatzten vollends.

      Die klebrige Schwüle ließ sich keinesfalls wie Firnis vom Gemälde der Nacht lösen. Man lechzte nach der dunkeln Kühle, aber die Nacht war nur Fassade, ein Außenanstrich, der zwar alles und jeden einnahm, hingegen nichts zu bewirken vermochte; sie gab lediglich vor, den Staub zu verschlucken, weil man ihn nicht mehr wahrnehmen konnte. Heiße Buden, die Verbranntes anboten. Die Parkplätze von darbenden Lkw eingenommen, die qualmenden Dhabas von deren Fahrern. Mit Haut und Haaren der Hitze ausgesetzt: Hunde. Hauptbewegungsart: liegend. Hin und wieder schraken sie hoch, schüttelten sich – vergebens, die drückenden Temperaturen ließen sich genauso wenig abbeuteln wie eine Fellladung Flöhe.

      Besonders heftige Schläge, hervorgerufen durch Straßenlöcher, gingen an die Grenzen des Dämpf-Möglichen, in dichter Abfolge mit Kurven rüttelten sie mich wach und bescherten mir ein umfassendes Proportionsproblem: Unweit der Straße gingen die Linien von Silhouetten wie Scherenschnitte ab, noch dunkler als der Nachthimmel, noch bedrohlicher, rundweg schwarz, zogen sich empor zu massigen Hügelklötzen immensurabler Höhe, es konnten Gebirgsvorboten gewesen sein oder bloß von der Straße bedrängte, ihr im Wege stehende Ausweichhügel von der Höhe eines Autobusses. Dann kamen wieder Lichter ins Verwirrspiel, flunkerten mich an, stellten Größenverhältnisse infrage, machten sodann klar: Sie markierten Dörfer in stockdunkler Nacht … oder waren es Sterne, den Himalajakolossen aufgesessen? Dazu noch die Scheinwerferlichter verschleierter Herkunft, wie in einem Spiegelkabinett wurden sie von den schmutzigen Fensterflächen reflektiert und hin und her geschleudert. In ihrer Lichterbahn entlarvte sich eine grimmige Eiswand als Hausdach, ein Fixstern als einsame Straßenlaterne, ein Schattenriese als gewöhnlicher Passant. Ich ließ immer mehr von diesem Ergründen-Wollen ab, fühlte mich erleichtert. Sich den Geschehnissen aussetzen, sich ihnen hingeben – verführten sie einen noch so unbegreiflich und bezugsfern an einen anderen Ort. Mich hievte das zurück in schummrige Traumwelten, ohnehin war ich ihnen kaum entflohen.

      Als ich erwachte, befanden wir uns in einem Gebirgstal, dem Kullu-Tal. Ich fror! Endlich! Die Nacht war der Schwüle

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