Erzähl mir von Ladakh. Adi Traar
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Dorfauswärts über mehrere Kilometer säumten Verkaufsstände die Straße; diese waren von Tibetern okkupiert – bisweilen nahmen sie also das Okkupieren auch selbst in die Hand und überließen es nicht allein den Chinesen. Riesige Schilder mit Zahlen prangten von den Budendächern, ihr Zweck blieb mir schleierhaft. Feilgeboten wurde ein merkwürdiges Konglomerat an Winterutensilien. Pelzmäntel – da konnten welche aus Bärenfell dabei gewesen sein – flatterten von den Bügeln, daneben eine Kollektion abgetragener (abgefahrener?) Schianzüge; und als trauriger Höhepunkt, quasi Dornenkrönung, anderswo vermutlich für tot erklärte, das Antlitz verschrumpelt, die Taillen verunstaltet, in puncto Besohlung, vielmehr Belag wüste Spekulationen hervorrufende … Schier! Sie hatten ihre ruhmreichen Zeiten (womöglich Siegespodeste) längst hinter sich, jetzt wurden sie präsentiert wie auf dem Schafott.
Ab und an hielt ein Auto, gefüllt mit Indern, oder ein Motorrad, besetzt mit Indern, es wurde diskutiert, gestikuliert, gefeilscht und gefeixt – große Sache halt, ritualhaft zelebriert.
Wenig später überholte mich ein Rudel Bären auf Motorrädern.
Aus geöffneten Fenstern vorbeibrausender Autos lungerten menschliche Extremitäten, überhitzte Gesichter, zerzauste Haare und knallfarbige Schier. Hochgepeitschte Enfield-Motoren im Aufstieg imitierten animalisches Gebrüll.
Die Straße schraubte sich unbeirrbar durch lichten Zedernwald empor, diesem erwuchsen vereinzelt Häuser. In den einsamen Waldabschnitten war der Straßenrand von kleinen Äffchen besetzt. Unablässig turnten welche aus dem Wald heraus, bildeten ein chaotisches Spalier – kein soldatisches, mehr ein chaotisches –, eine zappelige Reihe neugieriger, verrückter, kleiner Kerle, auf einen Erlöser wartend, mochte der sie vom Affenalltag befreien. Ich ließ mich keinesfalls auf die triebhaft diebisch veranlagten Tiere ein, den Erlöser wollte ich ihnen schon gar nicht machen. So verzichtete ich auf jegliches Gehabe, das mir als Tierliebe ausgelegt werden konnte, und vermied darüber hinaus Rastpausen auf Affenterritorium. Während ich an ihnen langsam vorbeigondelte, den Blick starr geradeaus gerichtet, die Tiere im Augenwinkel behaltend, bangte ich, sie könnten von der lahmen Reisegeschwindigkeit auf leichte Beute schließen, und trat sicherheitshalber ein paar schnellere Pedalrunden.
Immerhin sind Affen in Indien, neben den hinlänglich bekannten Tieren, heilig. Zu verdanken ist das Hanuman, dem Gott in Affengestalt, laut Ramayana-Epos treuer Diener seines Herrn und … Befehlshaber eines angriffslustigen Affenheers! Eben! Kleinmütig kramte ich in meinem staubigen Wissenspool über abendländische Mythologie, die ja gewissermaßen für mich zuständig war, um Vergleichbares zu finden. Vergeblich. Dieses Wissensgebiet würde mich indessen noch eine Zeit lang beschäftigen.
Unweit der Straße schleppten Frauen, in regenbogenfarbenen Gewändern den Tibetflüchtlingsstatus am Leibe tragend und mit Tüchern das Gesicht verhüllt, Gesteinsbrocken von hier nach da. Bei uns vollbringen Frauen in der Regel körperlich weniger beschwerliche Arbeit. Allerdings wurden die Steine dann von Männern im Volleinsatz ihrer Kräfte zertrümmert, und das mit einem Hammer, der zwar nicht so aussah, jedoch härter sein musste als die Steine, und wieder einmal wurde bei näherem Hinsehen aus Kuriosität pure Normalität, Frau und Mann hatten ihren »gewohnten« Platz. Die Arbeit gemahnte an Drangsalierung, erschien widersinnig, trotzdem sollte es mit dieser Plackerei etwas auf sich haben, zu irgendetwas musste sie ja gut sein – das harte Brot des armen alten Sisyphus würde hier wohl keiner gekannt, geschweige denn freiwillig nachgeahmt haben.
Relativ rasch erreichte ich eine Höhe von 2 800 Metern. Hier befand man sich auf Augenhöhe mit patrouillierenden Adlern und eine Etage höher mit sich eindunkelnden Wolken, in ihrer Funktion als feinstofflicher Sonnenschirm verfangen. Vor einem »Café« machte ich Mittagspause und ärgerte mich über den realen, nichtmetaphorischen Sonnenschirm; in periodischen Abständen knickte er ein, womöglich aus Demut vor dem metaphorischen. Neben mir hatte sich eine indische Familie niedergelassen, sie quoll immer mehr auf, teils durch Zuwachs aus dem Inneren des Cafés, teils aus dem Auto, dessen schier unerschöpfliche Raumressourcen mir rätselhaft erschienen. Und mit jedem personellen Zuwachs der unaufhörlich zum Dorf anwachsenden Familie ergab das einen Neugierigen mehr – die Inder sind von Geburt an neugierig, mit ganzem Leib und ganzer Seele. Ich steckte fest im Dorfzentrum und musste eine zyklisch wiederkehrende Fragenfolge über mich ergehen lassen. Besonders hervor tat sich der Vater, mit krummer Nase und kümmerlichem Haupthaar nicht gerade ein Adonis. Was mein mother-country sei, ob ich eine Familie habe und wo diese sei, welchen Beruf ich habe, und zwischendurch einmal, wie viel ich damit verdiene. Bis auf das mother-country log ich, dass die Affen erröteten. Das mit Michael Jackson wisse ich? Wisse ich. Erleichterung stellte sich ein, als die Leute in ihr Auto stiegen, dessen Innenraum mittlerweile zum Bus angewachsen sein musste, und sich in Rauch auflösten. Ihr Abgang markierte gleichzeitig das planmäßige Ende meiner Pause.
Dicht aneinandergedrängte, ebenmäßige Serpentinen ließen mich nur geringfügig Raum gewinnen, wohl aber Höhe. Daraus resultierte: Aggressiver Indian-Hip-Hop-oder-so ertönte von unten und erlosch wieder in periodischen Abständen. Das mutete komisch an, der Schall saß mir als Schalk im Nacken. Es näherte sich ein Auto, vollbesetzt mit einer bunten Schar Jugendlicher. Als sie mich überholten, machten sie eine Vollbremsung – die konnte nur mir gelten – und stellten das Auto mitten auf der Straße ab. Es wäre überzogen zu behaupten, sie hätten mich angehalten. Ein Teil der Jungs, darunter auch der Discjockey mit geschultertem, vorwiegend aus Lautsprechern bestehendem Portable Radio, verstreute sich schütter auf der Straße – das erinnerte an die Affen – und ich musste absteigen, wollte ich nicht geradewegs in die Bass-Woofer köpfeln. Eine Flasche Whisky blitzte auf, dazu ein Lächeln, blankgeputzte Zähne – also doch keine Affen –, zum Glück waren sie sehr lieb, dafür lästig wie ein Sack entlaufener Hundsflöhe. Warum ich denn keinen Whisky tränke und ob das in meinem mother-country – ja, was sei eigentlich mein mothercountry? – nicht üblich sei, und ich müsse doch froh sein, tauschten sie das Wasser – ja, sei das in der Fahrradflasche eigentlich Wasser? – gegen Whisky, Wasser könne ich hier doch überall bekommen, Whisky hingegen nur exklusiv bei ihnen, und ob ich eine Familie habe und wo die eigentlich sei. Es fehlte nicht mehr viel, und sie wären mir ins Gemüt gekrochen. In einer hypnotisierenden Schlangenlinie umfuhr ich den dionysischen Whiskyträger und den Bass-Woofer, eröffnete die Verabschiedung, vollendete sie zugleich, radelte von dannen, der Waldgrenze entgegen. Endlich konnte ich mich wieder an mir und meiner Ausschließlichkeit erfreuen. Allerletzten Endes bleibt einem selbst ohnedies nur man selbst – eben das praktizierte und übte ich hiermit bereits. Spare in der Zeit, dann hast du im Tod.
Ab einer Seehöhe von 3000 Metern wurde es zäh, die Bäume war man endgültig los, dafür hatte man scheußliche Straßenbedingungen. Frisch Aufgeteertes wechselte ab mit unbehauenen, grobschotterigen Straßenabschnitten; in Verbindung mit den häufig auftretenden Engstellen und den selten vorhandenen Ausweichstellen geriet das Ganze zu einer Irrfahrt, einer Odyssee der Königsklasse.
Unweit vor mir klappte ein schäbiger Lastwagen den Kinnladen hoch, die geöffnete Ladeluke bereitete sich vor zur Einverleibung. Ein paar auffällig kräftig geratene Kerle schaufelten weit in der Gegend verstreuten Kies darauf, erreichten dabei eine erstaunliche Entfernung von fünf bis sechs Metern zum Laster, ohne die Wurfladungen zu verringern. Das dürfte genau der Punkt gewesen sein, an dem sich ihr ersprießlich geratener Körperbau zu rechnen begann. Am Rande der Kiesanhäufung hockten schmächtigere Körper und