Tatort Kuhstall. Thea Lehmann
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Thea Lehmann
TATORT
KUHSTALL
Thea Lehmann
TATORT
KUHSTALL
Die Autorin
Thea Lehmann ist geboren und aufgewachsen am Ammersee in Oberbayern. Das Schreiben hat sie schon früh fasziniert, deshalb wurde sie nach dem Germanistikstudium Journalistin. 1998 verliebte sie sich in einen Sachsen und tauchte damit in eine völlig neue Welt ein: die sächsische Seele, die besondere Landschaft, die liebenswerte Sprache und eine Familiengeschichte, die eng mit dem Kirnitzschtal verbunden ist. Heute lebt sie mit Mann und Kind in der Nähe von München, verbringt aber so viel Zeit wie möglich in der Sächsischen Schweiz.
Impressum
© DDV EDITIONSächsische Zeitung GmbHOstra-Allee 20, 01067 Dresdenwww.ddv-edition.de© Reihengestaltung und Umschlagillustrationwww.oe-grafik.de |
Autorin: Thea Lehmann
Grafische Gestaltung: Thomas Walther, BBK
Satz: Ö GRAFIK agentur für marketing und design
Druck: CPI Moravia Books GmbH
Alle Rechte vorbehalten | Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
ISBN 978-3-943444-76-6 (Print)
ISBN 978-3-948916-10-7 (Epub)
ISBN 978-3-948916-11-4 (Mobi)
Prolog
»Aber ich habe dich doch …!« Den Rest des Satzes konnte er nicht mehr artikulieren. Stattdessen fuhr ein Schrei aus seiner Kehle, als ihm klar wurde, dass er keinen Boden mehr unter den Füßen hatte. Er hatte noch so viel zu erklären, so vieles vor, nachdem er endlich den roten Faden seines Daseins wiedergefunden hatte. Mit rudernden Armbewegungen fiel er ins Nichts, vor seinem geistigen Auge spulten sich die Bilder seines ganzen Lebens ab. Die Waldspaziergänge mit dem Vater, seine Mutter abends an seinem Bett, die Schule, seine Freunde, die Uni, der Mondscheinengel, das Unglück, die Schmerzen – und die Todesangst. Nach zwei Sekunden prallte er mit einem dumpfen Schlag auf den Waldboden. Ein faustgroßer Stein bohrte sich bis zum Stammhirn durch seinen Hinterkopf. Er war sofort tot.
Sanft wiegten sich die Zweige, die er gestreift hatte, dann war es wieder still und friedlich. Die Vögel, die kurz verstummt waren, zwitscherten wieder ihr Morgenlied und die Insekten summten durchs Unterholz. Im Gesicht des Mannes war keine einzige der heftigen Emotionen mehr zu lesen, die ihn zuvor überwältigt hatten: Liebe, Glück, Panik und schließlich die Gewissheit seines sicheren Todes.
Sonntag
»Ahhh, eine Calliphora!« Liebevoll betrachtete Rigobert Bausewein die blau schillernde Schmeißfliege, die sich vor ihm auf dem voll erblühten, giftigen Fingerhut am Nektar labte. Zwischendurch putzte sie sich emsig, dann wandte sie sich wieder den Staubgefäßen zu. Bei jeder Bewegung schimmerte ihr Panzer im Sonnenlicht. Vier Stunden lang hatte Bausewein das warme Juniwetter abseits der Pfade im Wildensteingebiet im Nationalpark Sächsische Schweiz für eine ausgiebige Erkundungstour nach seltenen Insekten genutzt. Nun war er auf dem Weg zurück zur Haltestelle der Kirnitzschtalbahn am Gasthaus Lichtenhainer Wasserfall. Bisher hatte er wenig Interessantes entdeckt. Wie es schien, winkte ihm nun aber doch noch das Glück. Die Calliphora war zwar nicht gerade rar, aber doch mit Abstand seine Lieblingsfliege. Sie saß immer noch auf dem Fingerhut und putzte sich die Vorderbeine. Dann kam noch eine Fliege und dann noch eine.
Bausewein träumte davon, eine bisher unbekannte Art der Schmeißfliege zu entdecken. Eine Calliphora Bauseweina wäre die Krönung seines Fliegenforscher-Lebens. Leider war es unmöglich, die einzelnen Arten mit bloßem Auge zu unterscheiden. Der einzige Weg zum Ruhm war, jedes einzelne Exemplar unter dem Mikroskop zu bestimmen.
»Wunderbar!«, murmelte der pensionierte Finanzbeamte angesichts des Andrangs auf der Pflanze und legte langsam und vorsichtig seinen Rucksack ab, um die Insekten nicht zu verscheuchen. Ohne die Augen von den Fliegen zu wenden, kramte er mit routinierten Handgriffen eine Plastikdose heraus. Um diese Wunderwerke der Natur einzufangen, gab es verschiedene Methoden. Rigobert Bausewein hatte die Erfahrung gemacht, dass man sie am besten mit dem lockte, was die Schmeißfliegen zur Eiablage suchen: Aas.
In der Plastikdose hatte er die Innereien vom Freitags-Brathuhn dabei. Heute, zwei Tage später, waren die in einem Stadium der Verwesung, das jede Aas liebende Fliege erfreuen würde. Bausewein holte tief Luft und öffnete beherzt den Behälter. Er versuchte, so lange nicht einzuatmen, bis der widerliche Geruch etwas verflogen war. Als er die Dose mit dem Köder in Richtung der rosa und weißen Fingerhüte hielt, erlebte er eine Überraschung. Ein ganzer Schwarm von Schmeißfliegen stürzte sich augenblicklich auf das Aas und in der Dose wimmelte es plötzlich von dreißig oder mehr Insekten!
Bausewein wusste, was das bedeutete: Irgendwo in der Nähe lag ein totes Tier. Er schloss den Deckel seiner Köderdose und packte sie in den Rucksack. Dann machte er sich auf die Suche. Über seine Liebe zu den Zweiflüglern, insbesondere zu den Fliegen, und seine Begeisterung für Kriminalromane hatte er ein zusätzliches Hobby gefunden: Er übte sich darin, anhand der auf ihrem Aas auftretenden Larven den Todeszeitpunkt verendeter Tiere zu bestimmen.
Die Schmeißfliegen zeigten ihm die Richtung. Er entfernte sich vom Wanderweg unterhalb des Kuhstalls, hin zum hoch vor ihm aufragenden Felsmassiv der Zyklopenmauer. Bald stieg ihm ein unguter, fauligsüßlicher Geruch in die Nase. Als er sich umsah, entdeckte er jedoch nur ein paar überreife Stinkmorcheln. Erst, als er fast unmittelbar vor der Felswand stand, begriff er, was die Schmeißfliegen so zahlreich angelockt hatte. Allerdings war es nicht das, was Rigobert Bausewein erwartet hatte. Erschrocken prallte er zurück, um gleich darauf voller Panik zurück zum Wanderweg zu hasten. Dort legte er die Hände auf die Oberschenkel und atmete mehrfach tief ein und aus, um sich zu beruhigen. Mit seinen achtundsechzig Jahren hatte er ja schon einiges erlebt. Jetzt aber war er ernsthaft erschüttert.
Doch offenbar war er heute noch nicht genug strapaziert worden. Die nächste böse Überraschung kam ihm auf dem Wanderweg vom Großen Winterberg entgegen: eine Gruppe von Wanderern, denen es an allem fehlte. Normalerweise hätte er sich sofort ins Unterholz verdrückt. Angesichts seines Fundes durfte er allerdings nicht übertrieben zimperlich sein. Er überwand sich und sprach die Leute an.
Hatte er das wirklich gewollt? Während sich Leo Reisinger zum Schausonntag durch die Wohnwelten eines Dresdner Möbelhauses schlängelte, suchte er hinter Schranktüren und Kommodenschubladen vergeblich einen Ausweg. Was er im April so leichtherzig angeregt hatte, war Wirklichkeit geworden: Veronika lebte seit drei Wochen bei ihm in Dresden. Sie hatte für ein Vierteljahr um Versetzung vom bayerischen Fürstenfeldbruck gebeten und war in einer Filiale ihrer Bank im Stadtteil Tolkewitz untergekommen. Veronika hatte diesen vorübergehenden Umzug