Tatort Kuhstall. Thea Lehmann
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»Unser Dr. Gräber ist in Leipzig, der kommt heute nicht«, erklärte Tannhauser in Saschas Richtung, als er den Koffer mit seinen Utensilien aus dem Wagen hievte. »Wo ist die Leiche? Ich will hier nicht den ganzen Abend verbringen, ich habe heute noch was vor«, grummelte er angesichts der Plauderstimmung am Wegesrand und brachte seine zwei Mitarbeiter auf Trab.
Sascha riss sich los und kam zu seinen Kollegen.
»Da drüben, direkt an der Zyklopenmauer. Ein Wanderer mit Namen Rigobert Bausewein hat ihn gefunden. Alles notiert.« Sascha deutete mit einem Schreibblock nach hinten zur Felswand. Bevor er sich mit den anderen Beamten auf den Weg machte, schaute er der Dame am Wegesrand noch mal kurz und tief in die Augen.
»Bis morgen, Sascha!« Ihre Stimme hatte ein spezielles Timbre, als sie seine Hand losließ.
»Bis morgen, Sascha?«, echote Leo, als er hinter seinem Kollegen zwischen Bäumen hindurch in Richtung Felswand marschierte.
»Die ist echt toll, oder?«, kam zur Antwort. Leo lächelte. Er hatte angenommen, Sascha sei unsterblich in ihre gemeinsame Kollegin Sandra Kruse verliebt. Aber nachdem die ihm unmissverständlich klargemacht hatte, dass das nichts werden würde mit ihm und ihr, war er offenbar erfolgreich dabei, sich zu trösten.
»Ich war, ehrlich gesagt, ganz froh, dass ich den Anruf bekommen hab. Sonst hätte ich noch zwei Stunden durch Möbelhäuser laufen müssen.« Leo atmete hörbar durch. »Hier ist es doch viel schöner.«
»Jetzt werdet endlich sachlich!«, polterte Manni Tannhauser. Er verströmte wie immer einen Geruch nach verschwitzten Polyesterhemden und war nicht zu privaten Gesprächen aufgelegt. Hinter ihm liefen seine zwei Kollegen von der Spurensicherung und vier Polizisten.
Nach einem kurzen Fußmarsch hielt Sascha die Gruppe an und deutet nach vorn zur Felswand: »Da ist es. Es sieht aus, als wäre er einfach runtergefallen. Der Zeuge Bausewein ist Insektenspezialist und hat den Todeszeitpunkt auf Samstag zwischen neun und zwölf Uhr bestimmt. Mal sehen, ob Gräber derselben Meinung ist. Der Zeuge hat mir außerdem gesagt, dass er den Toten kennt. Es handle sich um einen Dr. Stefan Schüppel aus Bad Schandau. Angefasst habe ich nichts, nur aufgepasst, dass keiner die Leiche berührt, und mich mit dem Herrn Bausewein unterhalten, bis der darum bat, heim zum Sonntagabendkrimi zu dürfen. Ich werde aber morgen noch mal mit ihm telefonieren. Er ist Pensionär, wohnt in Königstein und steht uns jederzeit zur Verfügung.«
Während die Spurensicherer begannen, das Gelände um die Leiche herum abzusuchen, schoss Tannhauser Fotos vom Fundort. Leo Reisinger ließ das Bild auf sich wirken. Der Tod als Anlass einer Ermittlung war nie schön, aber hier herrschte immerhin eine friedliche Ruhe. Der Gesichtsausdruck des Toten, die Art, wie er lag – all das sah eher nach einem überraschenden Ende aus, nicht nach Gewalt, Qual und Todesangst wie in anderen Fällen, die sie in seiner Abteilung bearbeiteten. Leo schaute nach oben. Eine mächtige Sandsteinwand, mindestens fünfzig Meter hoch, ragte senkrecht in den Himmel. Wo sie endete, konnte er weder auf der linken noch auf der rechten Seite erahnen. Dieses Sandsteingebirge war schon eine interessante Gegend, stellte er fest.
»Was ist da oben?«, fragte er Sascha und erntete von allen Anwesenden irritierte Blicke.
»Na, der Kuhstall!«
Das hatte er schon mal gehört. Aber er hatte keine Ahnung, womit er es zu tun hatte.
»Und wie ist der Mann da hochgekommen?«
Die nackte Felswand flößte Leo Respekt ein. Bestimmt gab es einen Weg hinauf, den die Sachsen zur Not mit Badeschlappen gingen, das kannte er von der Häntzschelstiege, die ihn der Nationalpark-Ranger im letzten Jahr hochgejagt hatte.
»Sei bloß froh, dass Sandra nicht hier ist«, feixte Sascha. »Die würde dich jetzt wieder zusammenfalten. Der Kuhstall ist eine der großen Attraktionen in der Sächsischen Schweiz, eine riesige Felsenhöhle.«
»Ne, das ist keine Höhle, das ist ein Tor«, korrigierte ihn Tannhauser. Er hob den Kopf des Toten an und gab den Blick frei auf einen blutigen Stein, auf den der Mann mit dem Hinterkopf aufgeschlagen war.
»Wie lange bist du jetzt schon in Dresden?«, fragte der Chef der Spurensicherung.
»Eineinhalb Jahre«, antwortete Leo.
»Und noch nie da oben gewesen? Mannomann, was für ein Banause!« Tannhauser schüttelte den Kopf. Dann ließ er vorsichtig den eingedrückten Schädel sinken und leerte die Taschen des Toten. »Das ist, als ob ich in Garmisch Urlaub machen und nicht auf die Zugspitze fahren würde.« Er holte eine Brieftasche mit dem Ausweis und diversen Karten aus der Brusttasche der Jacke.
»Ich war auch noch nie auf der Zugspitze«, gab Leo zu. Bergwandern war nicht seine Leidenschaft. Lieber joggte er eine Stunde durchs Gelände und setzte sich dann mit einem interessanten Buch aufs Sofa, als den ganzen Tag im Stau Richtung Alpen zu stehen und mit Hunderten im Tross einen Berg hinauf und wieder hinunter zu laufen. Er wusste nicht, ob es ihm unangenehmer sein sollte, dass er den Kuhstall nicht kannte oder dass er noch nicht auf der Zugspitze gewesen war. Verlegen kratze er sich im Nacken. Tannhauser wandte sich wieder dem Opfer zu.
»Der Ausweis lautet auf den Namen Dr. Stefan Schüppel, geboren am 12. September 1965 in Bad Schandau. Er wohnt in Rathmannsdorf, das ist ein Ortsteil von Bad Schandau, in der Hohnsteiner Straße.«
»Genau wie der Herr Bausewein gesagt hat.« Sascha klopfte auf seinen Schreibblock.
Tannhauser klappte die Brieftasche wieder zu und sah Sascha an: »Wie ist es, bist du jetzt im Dienst und fährst mit dem Bayern da hin?« Er deutete auf Leo. »Der hat nämlich kein Auto.«
»Ja, mach ich.« Sascha drückte Tannhauser den Block in die Hand.
»He, das ist nicht deine Schrift«, protestierte der, nachdem er einen Blick darauf geworfen hatte.
»Die Personalien hat Melanie Opitz aufgenommen. Zwei Mitglieder meiner Wandergruppe haben mich begleitet.«
»Laien haben an so einem Fundort nichts zu suchen, das weißt du genau!« Tannhauser steckte den Schreibblock nur unwillig ein.
Leo wunderte sich ebenfalls über Sascha. Aber er nahm es nicht so genau, wenn es um seinen Kollegen ging. Mit Sascha zusammenzuarbeiten war immer angenehm, weil er ein freundlicher, verträglicher Mensch war. Er würde schon seine Gründe gehabt haben und er ahnte auch, welche das waren.
Sascha überhörte Tannhausers Vorwurf geflissentlich. Er nickte Leo zu.
»Los, mein Wagen steht vorn am Beuthenfall.« Er deutete nach links den Wanderweg hinunter.
»Moment, wir sollten erst dort oben nach Zeugen oder Spuren suchen«, sagte Leo und legte den Kopf in den Nacken. An der Felswand war nur der abgerundete Sandstein zu sehen, der gelblich in der inzwischen tiefstehenden Sonne schimmerte. Wie der Mann von dort hatte herunterfallen können, leuchtete ihm nicht ein. Das sah aus wie eine wirklich schwierige Kletterpartie, aber dieser Herr war definitiv nicht geklettert, sondern allenfalls spazieren gegangen.
Außerdem wollte Leo gern da hoch und endlich wissen, was dieser Kuhstall war.
»Das kann doch Manni mit seinen Leuten …« Sascha war offenbar nicht wild darauf,