Tod im Thiergarten. Horst Bosetzky
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Читать онлайн книгу Tod im Thiergarten - Horst Bosetzky страница 6
Gontard bewohnte eine Etage in einem Haus in der Dorotheenstraße und hatte bis zum Laden Victor Vogels in der Mittelstraße nur ein paar Schritte durch die Neustädtische Kirchstraße zu gehen. Er hoffte nur, keinen Bekannten zu treffen, denn so unterhaltsam kleine Plaudereien waren, sie hielten immer auf. Doch als er um die erste Ecke bog, lief er Madame Cossé in die Arme. Ihr auszuweichen war bei ihrer Körperfülle schier unmöglich. Andere Damen hätten darunter gelitten, doch als Opernsängerin war sie ausreichend exkulpiert.
»Man ist ja in dieser Stadt seines Lebens nicht mehr sicher!«, begann sie. »Wissen Sie eigentlich, Herr von Gontard, was gestern bei uns in der Mittelstraße passiert ist?«
»Nein, es tut mir leid, ich war bei meiner Familie auf unserem Gut bei Wutike.«
»Na, das hätten Sie erleben müssen!«, rief Madame Cossé. »Stehen plötzlich der Commissarius Werpel und ein Constabler beim Schneidermeister Hoppe vor der Tür und wollen Ludwig sprechen, seinen Gesellen, aber der hatte sich in der Nacht im Thiergarten aufgehängt.«
»Das ist ja weniger schön«, sagte Gontard, der auch zu Hoppes Kunden zählte und Ludwig deutlich vor Augen hatte. »Aber warum fühlen Sie sich nicht mehr sicher, Madame Cossé, wenn ein Schneidergeselle seinem Leben ein Ende macht?«
»Es ist die Angst, dass mir auch einmal in den Sinn kommen könnte, mich aufzuhängen - nach hämischen Kritiken beispielsweise.«
Gontard konnte ein Schmunzeln kaum unterdrücken. Ein Ast, der das Gewicht der Madame Cossé ausgehalten hätte, war kaum zu finden. Zum Glück aber fiel ihm eine Entgegnung ein, die wesentlich charmanter war. »Ich bitte Sie, Gnädigste, bei Ihnen ist doch die Wahrscheinlichkeit einer schlechten Kritik noch geringer als die, jetzt im Mai einen brennenden Weihnachtsbaum zu entdecken.«
»Danke für die Blumen, Herr von Gontard!« Für Madame Cossé war der Tag gerettet, und sie zog frohen Herzens weiter zur Probe.
Gontard machte, dass er zum Victualienhändler Vogel kam. Dessen Frau war in alles eingeweiht und ließ ihn in die Wohnung, ohne dass groß Worte gewechselt werden mussten.
»Am besten, Sie verstecken sich im Schlafzimmer hinter dem Vorhang«, schlug sie Gontard vor. »Denn mein Mann hat gehört, dass sich die Einbrecher immer dorthin begeben, weil sie dort, unter der Wäsche versteckt, Schmuck und Goldstücke vermuten.«
»Eine gute Idee.« Gontard nickte und setzte sich, als sie und das Dienstmädchen die Wohnung verlassen hatten, auf die Bettkante und begann, einen Criminalroman zu lesen, der ihm wärmstens empfohlen worden war. Der Titel lautete Adele oder das grausame Verhängnis, und geschrieben hatte ihn der Jurist Jodocus Donatus Hubertus Temme, den Gontard vor Jahren als Criminaldirector in Stendal kennengelernt hatte. Temme wäre gern nach Berlin gegangen, doch wegen seiner liberalen Gesinnung sah ihn der König gerne weit weg von seiner Residenz, und so hatte man ihn zum Hofgericht Greifswald geschickt.
Nun hieß es warten …
Franz Karbusch stammte aus der Familie eines Lumpensammlers und hatte es anfangs durchaus als sozialen Aufstieg empfunden, mit einem kleinen Bauchladen durch Berlin und die Orte ringsum zu ziehen und auf billigem Papier gedruckte Schriften zu vertreiben, fromme Texte, Lieder, Abenteuergeschichten, Märchen, Sagen, sensationelle Nachrichten, Rezepte, Scherze und dergleichen. Je mehr Menschen aus den unteren Schichten das Lesen und das Schreiben erlernten, desto größer wurde auch die Nachfrage nach Lesefutter, und der Kolportagebuchhandel, der seine Wurzeln in Frankreich hatte, blühte auch in Preußen langsam auf - von den Herrschenden argwöhnisch beobachtet, fürchtete man doch die Verbreitung revolutionärer Gedanken.
Bevor er Beschäftigung als Kolporteur gefunden hatte, war Karbusch Mitglied einer Bande von Kollidieben gewesen und von ihr als »Kletterer« eingesetzt worden, das heißt, er hatte sich an Speditions- und Geschäftswagen herangeschlichen und dieselben erklommen, um das Kollo in einem günstigen Augenblick abzuwerfen. Die älteren Genossen hatten dann die Bergung übernommen. Von ihnen war er auch in die Zunft eingeweiht worden und hatte gelernt, mit Dietrich und Stemmeisen umzugehen. Wegen seiner vergleichsweise hohen Intelligenz war er nie erwischt worden, und Frieda, eine Näherin vom Hausvogteiplatz, hatte es geschafft, sein Leben in eine ehrbare Richtung zu lenken.
Doch als Frieda dann an der Cholera verstorben war, hatte er der Versuchung nicht widerstehen können, einfacher als durch seiner Hände Arbeit zu Geld und Gut zu kommen. Hatte er genug beisammen, wollte er nach Amerika auswandern und dort eine Kleiderfabrik eröffnen. Das war sein Lumpensammlertraum … Seine ersten Einbrüche hatte er als »Klingelfahrer« verübt, das heißt, er hatte vorher nichts ausgekundschaftet und auf gut Glück bei reichen Leuten geklingelt. War ihm geöffnet worden, hatte er gebettelt oder um Auskunft über irgendeinen Mieter gebeten, war aber niemand zu Hause, hatte er sich mit Hilfe seines Dietrichs Zutritt verschafft und alles mitgenommen, was sich abtransportieren ließ, ohne dadurch Aufsehen zu erregen. Bald aber war er zu einem anderen System übergegangen: der gründlichen Observation vielversprechender Objekte, dem Ausbaldowern, wie es in seinen Kreisen genannt wurde. Am einfachsten war dies im Sommer, wo die fortgesetzt verhängten Fenster verrieten, dass die Herrschaften in die Sommerfrische gefahren waren. Das zurückgelassene Dienstmädchen ließ sich schnell
»ablavieren«. Einmal hatte er es sogar mit zwei Kumpanen zusammen geschafft, eine ganze Wohnung mit Hilfe eines Möbelwagens auszuräumen.
In diesem Jahr führte er seine beiden Professionen –
Kolporteur und Einbrecher - in höchst geschickter Weise zusammen, und da er sein inzwischen angehäuftes kleines Vermögen niemanden sehen ließ und nach außen hin einen höchst ehrbaren Lebenswandel führte, war ihm auch noch niemand auf die Schliche gekommen. Er hatte immer Glück gehabt - selbst als er in der Neuen Friedrichstraße einen Rentier, von dem er bei einem Einbruch überrascht worden war, mit mehreren Messerstichen traktiert und fast getötet hätte, war kein Verdacht auf ihn gefallen. Er wusste aber genau, dass man sein Glück nicht überstrapazieren durfte, und hatte deshalb vor, im August dieses Jahres Berlin zu verlassen und in Holland an Bord eines Seglers zu gehen, der ihn nach New York bringen sollte.
Nun, beim Victualienhändler Vogel wollte er noch einmal fette Beute machen. Die örtlichen Verhältnisse bis hin zu den Schlössern kannte Karbusch gut, da er das Dienstmädchen regelmäßig mit Liebesromanen belieferte. Er hatte eruiert, dass Wilhelmine Vogel und ihr Mädchen das Haus immer Punkt zehn Uhr verließen, und seine heutige Tour danach ausgerichtet. Und in der Tat traten die beiden Frauen zur erwarteten Zeit auf das Trottoir hinaus und entfernten sich Richtung Schadowstraße. Karbusch wartete hinter dem Karren eines Mannes, der frischen Sand anlieferte. Ein schneller Blick die Straße hinunter zeigte ihm, dass niemand in der Nähe war, der ihm gefährlich werden konnte. Auch hinter den Fenstern des gegenüberliegenden Hauses blieb alles ruhig. Schnell zog er seinen Dietrich heraus und machte sich am Schloss zu schaffen. Seine große Umhängetasche und sein breiter Rücken boten Sichtschutz genug. Er brauchte nur Sekunden, dann war er im Haus. Da er das Dienstmädchen ausgehorcht hatte, wusste er, dass beim Victualienhändler Victor Vogel Geld und Schmuck im Schlafzimmer versteckt waren, und so stieg er, ohne zu zögern, ins erste Stockwerk hinauf.
Wilhelmine Vogel hatte für ihre Einkäufe nie weniger als eine Stunde gebraucht, also musste er sich nicht übermäßig beeilen. In aller Ruhe legte er seine Umhängetasche auf das breite Doppelbett und setzte sich auf dessen Kante, um sich umzusehen und die Tapete zu mustern: Oft gab es da eine geheime Tür. Doch kaum hatte er sich niedergelassen, da sprang er auch schon wieder auf, denn nach all den Jahren als Einbrecher