Das Geheimnis der Väter. Daniel Eichenauer

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Das Geheimnis der Väter - Daniel Eichenauer

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beobachtete Rainer Voß dabei, wie er seinen blauen Ford Mustang mit den roten Ledersitzen einparkte. Er ließ den Sechszylindermotor noch einmal laut aufheulen und zwinkerte ihr lässig zu, bevor er ihn abstellte. Nachdem er ausgestiegen war, umarmte er sie und gab ihr ein Küsschen.

      Wie sie das hasste! Sie fragte sich, wann es eigentlich Usus geworden war, einer jungen Frau so distanzlos zu ­begegnen. Neeles ausgestreckte Hand wurde selten geschüttelt, stattdessen wurde sie umarmt oder abgeschmatzt. Nein, ich will das nicht!, wollte sie dann stets laut schreien. Sie war nicht altmodisch, aber eine gewisse Zurückhaltung wusste sie als Zeichen guter Erziehung durchaus zu schätzen. Im Wesentlichen gab es, so hatte sie festgestellt, zwei Sorten von Männern. Die einen waren etwas schüchterner und gaben einem beim ersten Kennenlernen noch die Hand. Hatte man allerdings mehr als zwei Sätze mit ihnen gewechselt, ging das Angetatsche los. Die anderen waren noch schlimmer. Wurde man ihnen vorgestellt, ließen sie sogleich alle Hemmungen fallen. Als ob die Tatsache, dass man einen Dritten als gemeinsamen Bekannten hatte, Vertraulichkeit rechtfertigen würde. Wann war es so weit, dass auch die Königin von England abgeknutscht würde?

      Rainer schien das alles nicht zu interessieren. Er hielt Neele lachend an beiden Schultern fest und sagte: «Ich freue mich, dich zu sehen. Komm!» Dann zog er sie in eine Bar.

      «Mach’s nicht so spannend!», drängelte Neele neugierig, nachdem Rainer ohne langes Überlegen einen Old Fashioned und sie einen Gin Fizz bestellt hatte. «Was hast du mir zu erzählen?»

      Doch Rainer dachte anscheinend gar nicht daran, sein Geheimnis zu lüften. «Ich verstehe überhaupt nicht, was du an dieser Pfeife von Tino eigentlich findest», begann er. «Der ist doch total unreif.»

      Der Kellner servierte die Drinks, und es dauerte eine Ewigkeit, bis er die kleinen Papierserviettchen, die als Untersetzer dienen sollten, in die richtige Position bugsiert hatte.

      Neele konnte Rainer schwer einschätzen. Es war etwas Hinterhältiges in seiner Art. Vielleicht wollte er auch einfach nur bei ihr landen. «Also, was möchtest du mir erzählen?», fragte sie erneut.

      «Das habe ich dir doch eben gesagt», antwortete er mit einem breiten Grinsen.

      «Zahlen bitte!», rief Neele in Richtung des verdutzten Barkeepers.

      «Schon gut, schon gut!», beruhigte Rainer sie. «Es gibt etwas, das tatsächlich mit dem Fall zu tun hat.»

      «Moment noch!», wies Neele den Barkeeper an, der sich kopfschüttelnd wieder der Minze zuwandte, die er gerade zerkleinerte.

      «Ich habe die Akte gelesen, weil ich weiß, warum du sie haben wolltest.»

      «Und?»

      «Ist dir nichts aufgefallen?»

      «Mir ist nur aufgefallen, dass anscheinend niemand in Erwägung gezogen hat, dass der Autofahrer den Unfall auch selbst verursacht haben kann. So voll, wie der war! Es wurde aber alles so dargestellt, als wäre mein Vater unzweifelhaft der Schuldige.»

      «Mag sein. Viel erstaunlicher ist aber doch, dass der Zeuge deinen Vater überhaupt nicht erkannt hat! Er hat ja nicht einmal gesehen, was er mit sich geführt hat. Von so viel schlechterer Qualität als heute waren die Brillen damals auch nicht, dass man einen Hund nicht von einem Fahrrad unterscheiden konnte. Und wenn dein Vater tatsächlich ein Fahrrad mitgeführt hat, dann hat der Zeuge den Hund überhaupt nicht gesehen.»

      «Es war dunkel und hat geregnet. Kennst du den Unfallort? Ich habe dort gewohnt und weiß, dass die Straße durch den Wald nur sehr schwach beleuchtet ist. Gestern erst war ich dort. Außerdem könnte ich mich auch nicht daran erinnern, wer mir bei einem solchen Wetter auf der anderen Straßenseite entgegengekommen ist.»

      «Ich will dir ja nichts einreden, aber wenn man schon gesehen haben will, dass jemand etwas mit sich führt, dann muss man doch wenigstens erkannt haben, ob es von alleine lief oder geschoben wurde. Die Kollegin damals ist mit Sicherheit auch nicht auf den Kopf gefallen. Wie gesagt, ich will dir nichts einreden. Aber wenn du immer noch ein ungutes Gefühl bei der Sache hast, dann sollte man sich etwas näher mit diesem Zeugen beschäftigen. Schließlich hat er nie eine Aussage gemacht, die in einem Prozess hinterfragt werden konnte, denn leider …»

      «Ich weiß, was du sagen willst», unterbrach ihn Neele. «Eine unschöne Erinnerung!»

      «Entschuldige! Trotzdem können Untersuchungen nicht einfach abgebrochen werden, wenn der Hauptverdächtige verstirbt. Nicht bei einem solchen Ermittlungsergebnis! Es könnte ja sein, dass der wirkliche Täter noch frei herumläuft.»

      «Was willst du damit sagen?»

      «Bei solch einem Ermittlungsergebnis hätte kein Staatsanwalt jemals Anklage gegen deinen Vater erhoben! Wir hätten die Sache postwendend wieder auf unseren Tisch bekommen, mit der Aufforderung, unsere Arbeit vernünftig zu machen.»

      «Weiß man eigentlich irgendetwas über das Opfer?»

      «Das Opfer? Warum sollte das wichtig sein?»

      «Nur so. Aber vielleicht können wir dem Zeugen mal einen Besuch abstatten.» Früher hatte Neele nie verstanden, was Menschen daran reizte, Detektiv zu spielen.

      Rainer schien ihre Gedanken erraten zu haben. «Hör zu, das hier ist keine Fernsehserie!»

      «Nicht?», fragte sie ironisch.

      «Das mit dem Zeugen ist zum Beispiel so eine Sache. Ich habe versucht, etwas über ihn in Erfahrung zu bringen, aber irgendwie ist er von der Bildfläche verschwunden. Vielleicht ist er bereits tot.»

      «Und warum, lieber Rainer, säst du dann Zweifel in mir, wenn der Zeuge vielleicht gar nicht mehr befragt werden kann?»

      «Was sagt eigentlich Tino zu der ganzen Sache?» Rainer schien ablenken zu wollen.

      «Jetzt lass mich doch endlich mit Tino in Frieden!» Sie wusste wirklich nicht, was diese Fragerei nach ihrem Freund sollte. «Ich habe ihm nichts von meinen Nachforschungen erzählt, und ich weiß auch nicht, warum du immerzu nach ihm fragst.»

      «Redet man nicht eigentlich über solche Dinge, wenn man in einer Beziehung ist?»

      Wie sie solche Fragen hasste! Ja, das tat man. Aber sie tat es nicht – gezwungenermaßen. Seit Wochen schon hatte sie nichts mehr von Tino gehört. Eigentlich wusste sie gar nicht mehr so genau, ob sie überhaupt noch mit ihm zusammen war. Am meisten erstaunte sie jedoch, dass sie sich zum ersten Mal nicht mehr sicher war, ob sie noch eine Beziehung mit ihm führen wollte.

      Tags darauf war Neele überzeugt, sie müsse endlich flügge werden. Sie wollte nicht länger nur von Rainers Flügeln getragen werden. Sie wollte nicht alles mit ihm planen und unternehmen, sie wollte die Richtung ihrer Nachforschungen selbst bestimmen. Es sollte ihre Suche sein, es sollte ihr Ergebnis sein!

      Sie hatte das Gefühl, dass sich Rainer in Angelegenheiten einmischte, die ihn nichts angingen. Vorsichtig tapste sie zum Nestrand. Den ersten Schritt des Flüggewerdens hatte sie bereits hinter sich gebracht: Sie hatte den Willen zum Fliegen entwickelt. Neele war eigentlich kein aufmüpfiger Mensch, aber wenn sie die damaligen Ermittlungsberichte überdachte, ging ihr die Hutschnur hoch. Der Unfall konnte sich eindeutig auch anders zugetragen haben, als amtlich festgestellt worden war. Der zweite Schritt des Flüggewerdens stand kurz bevor: losfliegen. Entschlossen machte sie sich auf den Weg, um ihre eigenen Erkenntnisse zu gewinnen.

      Zweimal

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