Kempinski erobert Berlin. Horst Bosetzky

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Kempinski erobert Berlin - Horst Bosetzky

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und trinken, wenn er mit sich und der Welt zufrieden sein wollte. Nur saure Milch in der Schüssel und ein paar Kartoffeln mit Leinöl, wie es bei den Bauern ringsum Usus war, genügten nicht, des Lebens ganze Fülle auszukosten. Mit Vorliebe las Berthold Kempinski Romane, die an den Höfen großer Könige spielten. Gott, was da alles aufgetischt wurde!

      Oben im Haus lärmten seine jüngeren Geschwister. Sie spielten Fangen. So lange, bis Moritz mit donnernder Stimme dazwischenfuhr. Er war der Älteste und gefiel sich in der Rolle des Feldwebels.

      Berthold achtete und fürchtete den Bruder, aber dass er ihn sonderlich liebte, konnte nicht behauptet werden.

      Der Vater trat ein und tat so, als sei er ein Kunde der Weinhandlung und stünde vor dem Inhaber. »Ich hätte gern drei Flaschen Furmint, Herr Kempinski.«

      Berthold erhob sich und verbeugte sich mit einer Eleganz, die man einem untersetzten Jungen wie ihm kaum zugetraut hätte. »Sehr wohl, Herr Baron, aber gestatten Sie mir die Anmerkung, dass Ihnen der Furmint zu säuerlich sein wird. Da rate ich Ihnen lieber zum duftigen Hàrslevelü.«

      Raphael Kempinski klatschte in die Hände. »Brav, mein Junge, brav! Du bist der geborene Weinhändler.«

      »Der geborene Weinhändler ist doch unser Moritz«, sagte Berthold mit ein wenig Neid und Groll in der Stimme. »Ich bin doch zu Höherem berufen.«

      Der Vater schwieg, denn er konnte schlecht seine eigenen Aussagen kritisch kommentieren und als Schwachsinn verwerfen. »Nun, beide seid ihr die geborenen Weinhändler, aber nur du hast die Grütze im Kopf, mehr zu werden als das, dir hat der Ewige ganz besondere Gaben mit auf den Weg gegeben. Du kannst Bankier werden, Arzt, Advokat, Offizier.«

      Berthold lachte. »Wenn wir keine Juden wären.«

      »Und was ist mit Meno Burg?«, fragte der Vater. Der hatte es als erster Jude in der preußischen Armee bis zum Major und hochgeachteten Lehrer an der Artillerie- und Ingenieurschule in Berlin gebracht. Vor zwei Jahren war er verstorben.

      »Ich will nicht auf andere Menschen schießen!«, rief Berthold.

      Der Vater machte eine abwiegelnde Bewegung mit beiden Händen. »Ist ja gut, Junge, ist ja gut. Ich schieße ja auch lieber mit Sektkorken als mit Gewehrkugeln. Apropos Sekt: Wer ist das, der ausruft: ›Gib mir ein Glas Sekt, Schurke! – Ist keine Tugend mehr auf Erden?‹ Auch dieser Jago da?« Er zeigte auf die Verse über seinem Schreibtisch.

      »Keine Ahnung.«

      Keiner von beiden kam auf den Namen Falstaff, und sie trösteten sich damit, dass sie es erfahren würden, wenn Berthold erst auf das Gymnasium in Ostrowo ging.

      Berthold liebte und bewunderte seinen Vater. So wollte auch er einmal werden: vital und fröhlich, immer optimistisch und voller Familiensinn.

      Raphael Kempinski sollte später von einem Verwandten wie folgt beschrieben werden: »Mit greifbarer Lebendigkeit steht er vor mir: gesund, kräftig, lebensmutig, die Freude an des Lebens süßer Gewohnheit aus den Augen blitzend und das gütige Herz erfüllt von sieghaftem Humor; mit scharfem Verstande und weitem Blick einen großen kaufmännischen Wirkungskreis beherrschend, ragte er hoch empor über seine Umgebung.«

      »Um beim Sekt zu bleiben: Du mögest dem Herrn Regierungsreferendarius Sigismund von Schrecken alsbald zwei Flaschen vorbeibringen«, fuhr der Vater fort

      »Von Schecken«, verbesserte Berthold den Vater. »Nicht Schrecken. So spotten nur die Polen über ihn.«

      Während es Moritz Kempinski unter seiner Würde fand, den Laufburschen zu spielen, und auch die jüngeren Geschwister bei solchen Aufträgen stets maulten, lief Berthold gerne durch das Städtchen und brachte den Leuten Wein und Sekt nach Hause. Sie strahlten immer, wenn er kam, und nichts machte ihm mehr Freude, als anderen eine Freude zu machen. So ließ er sich unten im Laden vom Gehilfen die beiden für den jungen Beamten bestimmten Flaschen aushändigen und trabte los.

      Raphael Kempinski gehörte das Eckhaus an der Einmündung der Kaliska-Straße in den Marktplatz, auch Rynek genannt.

      Die Mutter winkte ihm hinterher und mahnte: »Pass gut auf dich auf!« Rosalie Kempinski war immer in Sorge um ihre Kinder und von unerschöpflicher Güte. Berthold liebte sie.

      Die Sonne war eben untergegangen, und die Bürgersteige wurden hochgeklappt, wie sein Vater immer sagte. In der Frauen-Straße begegnete er keinem Menschen, doch als er in den Weg nach Kalisch einbog, prallte er mit Moses Apt zusammen, dem Rabbi der jüdischen Gemeinde. Artig entschuldigte er sich, grüßte kurz und lief dann weiter.

      Der Regierungsreferendarius wurde von seinen Eltern üppig alimentiert und hatte sich für seinen Aufenthalt nicht etwa in einem Gasthaus einquartiert, sondern das kleine Fachwerkhaus am Friedhof gemietet, für das die Erben der Witwe Grabowke keinen Käufer finden konnten.

      Berthold Kempinski stoppte vor der Haustür und riss kurz am Klingelzug.

      Drinnen regte sich nichts. Eine Lampe schien noch nicht angezündet worden zu sein. Vielleicht war Herr von Schecken beim Lesen eingenickt. Oder er war noch gar nicht nach Hause gekommen. Manchmal saßen sie ja im Rathaus ewig beisammen. Berthold zögerte einen Augenblick, dann betätigte er den Klingelzug zum zweiten Mal, nun aber mit aller Kraft.

      Aber auch diesmal war sein Bemühen umsonst. Was nun? Sollte er den Leinenbeutel mit den beiden Flaschen vor die Tür stellen oder sie wieder mit nach Hause nehmen? Ließ er sie auf der Straße stehen, wurden sie womöglich gestohlen, nahm er sie wieder mit, beschimpfte ihn Moritz als Trottel: »Da lässt man sich was einfallen!«

      Und Berthold ließ sich etwas einfallen: Er drückte die Klinke nach unten und prüfte, ob die Haustür abgeschlossen war. Nein, war sie nicht. Langsam schob er sie einen Spaltbreit auf. Dann rief er, erst leise und vorsichtig, dann lauter und energischer: »Hallo, Herr von Schecken, ich bringe Ihnen nur den Sekt! Hallo, ist da wer?«

      Es regte sich noch immer nichts. Berthold Kempinski fasste Mut, die Tür vollends zu öffnen und in die Diele zu spähen.

      Einen Herzschlag später hallte sein Schreckensschrei durch das abendliche Raschkow, und die Bewohner der angrenzenden Häuser stürzten auf die Straße.

      Am Ende der Diele lag der Regierungsreferendarius Sigismund von Schecken mit gespaltetem Schädel.

      Viele Männer, die Berlin in den knapp dreißig Jahren zwischen der Gründung des Kaiserreiches und 1900 groß gemacht und die ihm sein ganz spezifisches Profil verliehen hatten, kamen aus kleinen Städten oder Dörfern, so der Gastronom August Aschinger aus Oberderdingen im Süddeutschen, der Reichskanzler Otto von Bismarck aus Schönhausen bei Stendal, der Milchhändler Carl Bolle aus Milow bei Rathenow, der Schriftsteller Theodor Fontane aus Neuruppin, der Dramatiker Gerhart Hauptmann aus Obersalzbrunn in Niederschlesien, der Apotheker und Pharma-Unternehmer Ernst Schering aus Prenzlau, der Erfinder, Industrielle und Erbauer der Berliner Hoch- und U-Bahn Werner von Siemens aus Lenthe bei Hannover, der Generalpostdirektor Heinrich von Stephan aus Stolp in Pommern, der Schriftsteller und Bühnenautor Hermann Sudermann aus Matzicken im Memelland, der Verleger Leopold Ullstein aus Fürth in Bayern und der Mediziner und Politiker Rudolf Virchow aus Schivelbein in Pommern.

      Berthold Kempinski war am 10. Oktober 1843 in Raschkow in der preußischen Provinz Posen zur Welt gekommen. Fünfzig Jahre später war sein Name das Synonym für die gehobene Berliner Großgastronomie.

      Bis dahin war es ein langer Weg, und selbstverständlich ahnte Berthold Kempinski im Sommer des Jahres 1855

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