Kempinski erobert Berlin. Horst Bosetzky

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Kempinski erobert Berlin - Horst Bosetzky

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er einmal zu den Größen der Reichshauptstadt gehören und in gewisser Weise unsterblich werden würde. Wie denn auch – er war ein ganz normaler Mensch, jüdischen Glaubens dazu, und kam aus dem verschlafenen Nest Raschkow.

      Raschkow war eine Kleinstadt wie viele Tausend andere im Deutschen Reich, aber es gab kleine Städte, die kannte ein jeder, beispielsweise Rothenburg ob der Tauber oder Fontanes wie Schinkels Neuruppin, und es gab solche, von denen niemand außerhalb ihres Kreises jemals etwas gehört hatte, und zu diesen zählte Raschkow. In seiner Nähe floss der Olobok, aber auch der rangierte so weit hinter anderen Nebenflüssen, dass ihn kein Schulkind aufzählen konnte. Es war auch kein schöner Name für einen Fluss, böse Drachen und Mörder hießen so.

      Die Nachbargemeinden trugen die Namen Roschki, Brunow, Sobotka und Biniew, die nächstgelegenen größeren Städte waren Ostrowo und Krotoschin, die Kreisstadt aber war Adelnau, obwohl diese weiter entfernt lag.

      Von Raschkows Einwohnern, etwas mehr als anderthalb tausend wurden gezählt, hingen die meisten dem katholischen Glauben an, sprachen von Hause aus Polnisch, und ihr Stolz war ihre neue Kirche. Die Juden waren mit knapp zwanzig Prozent stark vertreten, sie sprachen und dachten Deutsch. Ihre Synagoge war in einem Gebäude untergebracht, das dem Grafen Skórzewski gehörte.

      Die Geschichte der Juden in der Provinz Posen war ein unausgesetzter und zäher Kampf um Gleichberechtigung. Erst mit dem Gesetz vom 3. Juli 1869 sollte sie formal erfolgen, aber auch danach war es schwer, die verbrieften Rechte tatsächlich durchzusetzen. Wo die Deutschen den Polen zahlenmäßig überlegen waren, geriet die jüdische Bevölkerung am ehesten ins Abseits – und neigte dazu, nach Brandenburg und vor allem nach Berlin abzuwandern, wo die Verhältnisse besser waren. Im Südosten der Provinz Posen, in den Kreisen Schildberg, Adelnau und Ostrowo, wo fünfmal mehr Polen als Deutsche lebten, war die Abwanderung wesentlich geringer.

      Aus der jüdischen Gemeinde in Raschkow sollte eine Reihe bedeutender Persönlichkeiten hervorgehen, neben Berthold Kempinski unter anderen Wilhelm Sklarek, Arzt und Medizinprofessor in Berlin, Dr. Hugo Strassmann, Anwalt in Berlin und mit den Kempinskis verwandt, dessen Bruder Dr. Arnold Strassmann, Arzt und Schriftsteller, sowie Hermann Josefowicz, Justitiar im serbischen Justizministerium.

      Den Menschen in Raschkow ging es vergleichsweise gut, denn regelmäßig gab es Holz-, Getreide-, Mehl-, Obst- und Viehmärkte, und das brachte Geld in die Kassen.

      Der Marktplatz war das Herz des Städtchens. Seine Besonderheit bestand darin, dass er sich in nichts unterschied von anderen Marktplätzen in Brandenburg oder Schlesien und gesäumt war von einstöckigen Fachwerkhäusern und Gebäuden, die viel Schinkel an den Fassaden trugen, sowie dem Rathaus mit seinem unvermeidlichen Schmuckgiebel.

      Berthold Kempinski liebte es, nach der Schule noch ein wenig zu trödeln. Vielleicht traf er den Fuhrmann Hanke, wenn der Bier ausfuhr, oder den Glaser Kube, wenn der eine neue Scheibe einsetzte, falls er großes Glück hatte, auch Liebig, den Schmied, von dem sie sagten, dass er der stärkste Mann im ganz Kreis sei. Dem Bürgermeister Schubert ging er lieber aus dem Weg, denn der lag mit seinen Verwandten, den Strassmanns, in Fehde, seit die ihn wegen seiner vielen Darlehn den »Borgemeister« genannt hatten.

      Bertholds größter Spaß aber war es, über den Markt zu schlendern und vor den Ständen der Gewandschneider, der Handwerker und der Krämer stehen zu bleiben. Da handelten welche mit Tabak, mit Sämereien und Bücklingen, da gab es Pantinenmacher, Sensenstreicher, Buchbinder, Handschuhmacher, Klempner, Posamentierer und Glaser. Er freute sich mit jedem, der etwas verkaufte. Immer musste man warten, mitunter sehr lange sogar, bis ein Käufer kam, und stand der endlich vor einem, musste man gleichgültig tun, so als sei man auf dessen Gnade gar nicht angewiesen. Wer seine Erregung nicht verbergen konnte, hatte beim Feilschen von Anfang an die schlechteren Karten. Man durfte erst innerlich jubeln, wenn der Handel abgeschlossen war. Dann aber war das Glücksgefühl riesig. Berthold Kempinski bemerkte schnell, dass auch die Käufer glücklich von dannen zogen. Ein jeder glaubte, dieses Spiel gewonnen zu haben. Schöneres konnte es im Leben nicht geben, das war einfach ideal. So konnte man das Paradies auf Erden schaffen.

      An vielen Marktständen wurde Polnisch gesprochen, und Berthold lernte dabei Wendungen wie padam do nóg (Ich falle (Ihnen) zu Füßen), psia krew (verdammt noch mal) oder proszę bardzo (bitte schön). Manchmal gab es auch Krach mit den Polen. Wenn die zum Beispiel den Geburtstag des preußischen Königs ignorierten.

      In dieser Woche hatte Berthold zwei Tage lang auf das Herumstromern verzichten müssen, denn er war von einem merkwürdigen Nervenfieber befallen worden, nachdem er von Schecken ermordet aufgefunden hatte. Nun ging es ihm besser. Lange verharrte er vor dem Stand, an dem die Neuruppiner Bilderbogen feilgehalten wurden. Ganz besonders faszinierten ihn die Bilder aus der preußischen Residenzstadt. Unendlich weit weg war Berlin, für ihn so unerreichbar wie der Mond. So schien es ihm jedenfalls.

      Jemand tippte ihm auf die Schulter. »Was stehst du denn hier herum und hältst Maulaffen feil! Mutter wartet zu Hause auf dich, dass du ihr hilfst.«

      Es war sein Bruder Moritz, acht Jahre älter als er und mit zwanzig ein richtiger Mann. Schon lange hatte er beschlossen, die Erziehung des Jüngeren in die Hand zu nehmen, denn der Vater war in seinen Augen viel zu milde und nachsichtig. Das konnte nichts werden. Für Moritz Kempinski galt die Devise: Gelobt sei, was hart macht.

      Dicht hinter Moritz kam auch Raphael Kempinski auf den Raschkower Markt, ins Gespräch mit einem Mann vertieft, den die meisten hier nicht gerne sahen, dem Landrat Gustav Gnadenfroh. Berthold ahnte, warum er aus der Kreisstadt Adelnau gekommen war: um zu hören, was es im Mordfall von Schecken Neues gab. Und richtig, die beiden Männer sprachen darüber, als sie in Bertholds Nähe stehen blieben. Er konnte jedes Wort verstehen.

      »Ich wette mein gesamtes Vermögen darauf, dass es die Polen gewesen sind«, sagte Gnadenfroh.

      Raphael Kempinski mochte sich dieser Meinung nicht so ohne weiteres anschließen. »Wer weiß? Aber wen wundert es, dass sich viele Polen nicht gern zu Deutschen machen lassen.«

      Gnadenfroh lachte. »Die können sich doch dadurch nur verbessern.«

      »Sie betrachten Posen als einen neuen Raub an Polen.«

      Die Miene des Landrats verfinsterte sich. »Das klingt fast so wie das, was dieser unsägliche Friedrich Engels 1848 in der Neuen Rheinischen Zeitung über die siebente Teilung Polens geschrieben hat.«

      Raphael Kempinski winkte ab. »Ich handele mit Ungarweinen – alles, was vom Rhein kommt, interessiert mich nicht.«

      »Hören Sie mir bitte auf mit dem Rhein … Wie gern wäre ich dort!« Der Landrat stöhnte auf. »Warum hat es mich nur in dieses vermaledeite Posen verschlagen?«

      Nachdem Preußen 1772 und 1793 bei der ersten und zweiten Teilung Polens die neue Provinz Südpreußen hinzugewonnen hatte, verlor es die annektierten Gebiete 1806 nach der Niederlage gegen die Franzosen wieder, die sie zum neugegründeten Herzogtum Warschau schlugen. Preußen erhielt aber nach Napoleons Abgang von der europäischen Bühne vom Wiener Kongress einen kleineren Teil als Großherzogtum Posen zurück. Seit 1848 nannte man es Provinz Posen.

      An der Netze, an der Grenze zu Brandenburg und Schlesien sowie in allen größeren Städten überwog die deutsche Bevölkerung, in der Mitte und im Osten die polnische. In den Landkreisen Adelnau und Ostrowo waren nur zehn bis zwanzig Prozent der Bewohner Deutsche. Zu den ethnischen Konflikten kam der »Kulturkampf« zwischen den Katholiken und den Protestanten, und viele deutsche Katholiken solidarisierten sich mit den Polen im Kampf gegen die protestantische preußische Regierung. Besonders in grenznahen Städten wie Rawitsch, Bojanowo und Fraustadt waren die deutschstämmigen Einwohner in Sprache, Sitten und Trachten ganz an Schlesien orientiert,

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