Kempinski erobert Berlin. Horst Bosetzky
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Kempinski erobert Berlin - Horst Bosetzky страница 20
»Das Lachen wird dir schon noch vergehen.«
Und diese Prophezeiung sollte sich alsbald erfüllen, denn bei ihnen in der Ohlauer Straße 73, wohin sie inzwischen mit ihrer Firma umgezogen waren, erschien ein Mann, der sich als Kommissarius Wilhelm Owieczek aus Posen vorstellte.
»Ich komme wegen eines versuchten Mordes.«
»Wir sind nicht Kain und Abel!«, rief Berthold Kempinski, nachdem man sich gegenseitig vorgestellt hatte. Jetzt erst ging ihm ein Licht auf. »Gott, Sie sind doch der, der mich damals in Raschkow vernommen hat, weil ich den erschlagenen Regierungsreferendarius gefunden habe.«
»Ja, in der Tat.« Auch Owieczek konnte sich wieder daran erinnern. »Da waren Sie noch ein Schuljunge.«
»Und jetzt stehe ich kurz davor, die Frau fürs Leben zu heiraten.«
»Gratuliere.« Owieczek schüttelte ihm die Hand. »Zu Ihrer Braut und dazu, dass sie dem Tod gerade so von der Schippe gesprungen sind.«
»Wie das?« Berthold Kempinski konnte nicht verhindern, dass er doch ein wenig blass wurde.
»Setzen wir uns erst einmal.« Der Kommissarius nahm Platz und ließ seine Blicke über die Weinregale schweifen. »Ein Glas Wasser haben Sie nicht für mich?«
»Doch«, sagte Moritz Kempinski und gab dem Gehilfen einen Wink, in die Küche zu eilen.
Berthold Kempinski hielt den jungen Mann zurück. »Sie dürfen ja keinen Schnaps im Dienst trinken, aber wohl ein Glas Wein, Posen ist schließlich weit weg.«
»Oh, gerne!« Owieczek freute sich immer wieder, wenn er auf Menschen traf, die Gedanken lesen konnten. Nachdem er sich gelabt hatte, begann er zu erzählen. Wie er durch den roten Fleck auf der Axt, aber auch durch die anderen Fakten auf Krojanke gekommen war und dass sie in seinem Haus in Obersitzko grausiges Beweismaterial in Hülle und Fülle gefunden hatten.
»Das habe ich schon alles in der Zeitung gelesen«, sagte Berthold Kempinski ein wenig enttäuscht. »Und warum soll ich da dem Tod von der Schippe gesprungen sein? Weil ich den Regierungsreferendarius gefunden habe?«
»Nein, weil Sie auf Krojankes Liste gestanden haben, auf einer Liste mit jungen Männern, auf die er mächtig Appetit gehabt hat. Und einmal hatte er sie auch schon an der Angel, wie er mir erzählt hat. Irgendwann im Jahre 1861. Da waren Sie zu Fuß von Ostrowo nach Raschkow unterwegs, und er hat sie auf seinem Wagen mitgenommen. Wenn nicht das Rad gebrochen wäre, dann … Die Axt lag schon bereit.«
Berthold Kempinski schwieg. Fast hätte er ein Dankgebet gen Himmel geschickt.
Des Menschen Seele ist ein merkwürdig Ding, hatte Dr. Dramburger immer gesagt, und daran musste sich Berthold Kempinski in den nächsten Tagen des Öfteren erinnern, denn jetzt, wo Krojanke hinter Schloss und Riegel saß und bald geköpft werden würde, kam die Angst. Er sah Krojanke mit seiner Axt hinter jeder Ecke lauern, und ein Gedanke beherrschte ihn mehr und mehr: Bloß weg von hier, weg von Posen und Breslau!
Das deckte sich mit Helenes Wunsch, lieber heute als morgen nach Berlin zu ziehen, denn die Reichshauptstadt war für sie, wie er immer wieder spottete, das, was für die alten Griechen der Berg Ida war, der Geburtsort des Zeus.
»Das ist doch widernatürlich, dass du als Sächsin nach Preußen willst.«
»Jetzt sind wir doch alle ein Land – und Schlesien ist schließlich auch preußisch.«
Berthold Kempinski konnte sich nicht entscheiden, ob er Berlin herrlich oder scheußlich finden sollte. Er kannte es nur vom Hörensagen, vor allem aus den Erzählungen seines Freundes Caspar Sprotte. In Raschkow war er wer, in Breslau kannten ihn und die Firma M. Kempinski & Co. immerhin alle Honoratioren der Stadt, aber in Berlin war er ein absoluter Niemand.
»Was soll ich denn da?«, fragte er seine zukünftige Gattin, als er mit Helene und Moritz zusammen bei Tische saß.
Helene lachte. »Was du da sollst? Na, Berlin erobern. E’ jeder hat sei’ Steckenfärd.«
»Berlin erobern – vielleicht mit meinen Jonglierkünsten?« Er schaffte es immerhin, drei leere Weinflaschen durch die Luft zu wirbeln und vor seiner Nase kreisen zu lassen, wenn auch nur selten, ohne dass sie irgendwann zu Boden fielen und zerschellten.
»Mit deiner Kenntnis von guten Weinen.«
Berthold Kempinski kaute an seinem Rinderbraten und geriet wieder ins Wanken. »Und wenn ich nun doch in Breslau bleibe und wir zusehen, dass wir zum Weinhandel noch ein eigenes Restaurant aufmachen?«
Sein Bruder reagierte abwehrend. »Nur über meine Leiche.«
Berthold Kempinski lachte. »Das machte nur Sinn, wenn wir Krojanke hätten und dich fein portioniert auf den Teller bringen könnten.«
»Verschone mich bitte mit deinem schwarzen Humor!«
Sie stritten sich noch eine Weile, doch schließlich setzte sich Berthold Kempinski hin und schrieb einen Brief an Caspar Sprotte, der inzwischen nach Berlin zurückgekehrt war. Könne er ihn nicht vom Bahnhof abholen, er wolle sich einmal in der Hauptstadt umsehen, ob es sich lohne, dort eine eigene Weinhandlung zu eröffnen.
Die Antwort kam prompt. Immer her mit Dir, ich freue mich schon darauf, Dich zu umarmen.
Caspar Sprotte hatte sich gern als Cicerone angeboten und sich schon lange vor Berthold Kempinskis Eintreffen in Berlin in der Szene kundig gemacht, so dass er den Breslauer nun zu den wichtigsten Ladenlokalen führen konnte, in denen man Wein kaufen und verkosten konnte.
»Beginnen müssen wir unbedingt mit Habel«, sagte er, als sie sich an einem eher trüben Oktobertag auf den Weg durch die Innenstadt machten. »Denn: Was dem Kain der Abel,/ ist dem Kenner edler Weine hier in Berlin der Habel.«
Die Weinhandlung der Königlichen Hoflieferanten Gebrüder Habel war bereits 1779 gegründet worden. Johann Simon und Johann Georg Habel waren aus der Gegend von Rothenburg ob der Tauber an die Spree gekommen. Die Söhne hatte das Anwesen Unter den Linden 30 gekauft und 1784 neben der Weinhandlung eine Weinstube eröffnet. Die Hintergebäude reichten bis zur Rosmarinstraße. 1801 hatte man alles umbauen lassen.
»Und Johann Simon Habel ist sogar 42 Jahre lang Kellermeister Friedrichs des Großen gewesen«, sagte Sprotte. »Von den beiden anderen beiden Preußenkönigen ganz zu schweigen, den Friedrich Wilhelmen II. und III.«
»Damit kann ich leider nicht dienen.« Berthold Kempinski seufzte.
Sprotte nickte. »Ich fürchte, auch nicht mit der Alt-Berliner Behaglichkeit, welche die Leute an Habel so schätzen. Die alten Kachelöfen, die Bilder aus dem Hof-, Theater- und Volksleben.«
Berthold Kempinski registrierte, dass ihm immer bänger wurde. Da hatte er sich, angetrieben von Helene, vorgenommen, Berlin im Handstreich zu erobern – und stand nun mit Pfeil und Bogen vor hohen Festungsmauern.
»Warum haben wir ausgerechnet mit Habel beginnen müssen?«, hielt er Sprotte vor.
Der Freund lachte. »Das habe ich bei Machiavelli gelesen, dass man immer mit den größten Grausamkeiten beginnen soll.« Erst jetzt begriff er, dass jede schon bestehende Weinhandlung, in die er Berthold führte, ein schwerer Schlag war,