Kempinski erobert Berlin. Horst Bosetzky
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Wieder war Berthold Kempinski so beeindruckt, dass es ihm fast den Atem nahm. Als er dann aber mit Caspar Sprotte in einem der Gewölbe saß, dessen Wände Handzeichnungen E. T. A. Hoffmanns zierten, hatte er sich schon wieder gefangen.
»Das sieht ja hier aus wie in den Kasematten der Festung Küstrin«, sagte er. »Oder wie zu Hause in meinem Kohlenkeller.«
Sprotte lachte. »Die Kunst besteht eben darin, den Leuten weiszumachen, dass das ein ganz besonderes Erlebnis sei.«
»Ein bisschen gehobener hätte ich’s schon gern«, bekannte Kempinski, »so vom Ambiente her.«
Da gefiel ihm Trarbach in der Behrenstraße 51 schon besser, obwohl ihm das Etablissement zu klein erschien. Der Kellner erzählte ihnen, dass man an einen Neubau denke. Berthold Kempinski freute sich, als er das hörte, denn das war der Beweis, dass die Berliner Weide noch lange nicht abgegrast war. Die empfohlenen Weine von der Ahr und der Mosel fand er so vorzüglich, dass er für Sprotte und sich einen Schoppen nach dem anderen bestellte. Die Folge war, dass sie ihren Rundgang erst am Abend des nächsten Tages fortsetzen konnten.
Diesmal begannen sie bei F. W. Borchardt in der Französischen Straße 48. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehend, mussten sie eine Weile nachdenken, wann die Firma denn wirklich gegründet worden war, denn oben am Sims stand MDCCCLIII. Schließlich einigten sie sich auf 1853.
»Klein, aber fein«, fasste Sprotte seine Erkenntnisse über F. W. Borchardt zusammen. »Zuweilen geruht der Kronprinz hier nach einem Theaterbesuch in einem der Nebensäle zu soupieren, die Garde-Kavallerie feiert hier, und die älteren Herren des vornehmen Landadels schauen vorbei, wenn sie nach Berlin kommen. Wer ein Gourmet ist, kann sich mit dem Ober beraten und sich jedes gewünschte Gericht extra zubereiten lassen.«
»Gut, fühle mich als Berthold von Kempinski, Großgrundbesitzer aus Raschkow, und bestelle mir Schlesisches Himmelreich.«
So geschah es dann auch, und er war von allem überaus beeindruckt.
»Na, willst du Borchardt kopieren?«, fragte Spotte.
Berthold Kempinski zögerte mit einer Antwort. »Nein, das ist mir für den Anfang alles eine Nummer zu groß, aber am Ende könnte das schon stehen: die Weinhandlung in Verbindung mit einem Restaurant und einem Delikatessengeschäft. Aber um da hinzukommen, braucht man Jahrzehnte.«
Sprotte lachte. »Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen, und wo und wie willst du denn anfangen?«
»Auf alle Fälle bald, denn wenn die Millionen aus Frankreich erst da sind und ausgegeben werden, muss man zur Stelle sein. Und wo? Auf alle Fälle irgendwo im Bereich Friedrichstraße, Leipziger Straße.«
»Warum nicht am Potsdamer Bahnhof, wenn der nächstes Jahr eröffnet wird, warum nicht am Hackeschen Markt?«, fragte Sprotte. »Ich habe noch zwei gute Adressen, aber da musst du ein paar Groschen für eine Droschke lockermachen, so weit latsche ich nicht durch die Stadt.«
Berthold Kempinski nickte, und so fuhren sie zunächst zu den Weinstuben Frederich in der Eichhornstraße 3. Die war zwischen der Potsdamer und der Linkstraße gelegen und stieß an ihrem östlichen Ende an das ausgedehnte Bahngelände.
»Das wäre schon eher meine Hutnummer«, sagte Kempinski, als sie an Ort und Stelle angekommen waren, denn gemessen an Habel und Borchardt wirkte das Haus Frederich mit seiner niedrigen Firsthöhe und dem schlichten Stil ziemlich bescheiden.
»Adolf Menzel soll hier verkehren«, sagte Sprotte.
»Ja, schön und gut«, Berthold Kempinski wiegte den Kopf hin und her, »aber so unmittelbar neben einem Bahnhof, da hat man zu viel Laufkundschaft und keine Stammkunden, und die garantieren einem das Überleben.«
»Dann auf zum Hackeschen Markt!«
Staud’s Weinstuben, seine letzte Adresse, lag am Zwirngraben 2 und war über die Neue Promenade zu erreichen.
»Manche kommen nur zu Franz Staud, um Berlins schmalstes Haus zu bewundern. Das liegt direkt daneben, zweieinhalb Stockwerke hoch, aber nur so breit, dass gerade mal Platz für ein Fenster je Etage vorhanden ist.«
Auch Berthold Kempinski staunte über dieses Bauwerk, merkte aber an, dass er sich sein Domizil in der Hauptstadt doch ein wenig feudaler vorgestellt habe.
»Und die Weinstube selber?«, fragte Sprotte.
»Für die gilt dasselbe, ein bisschen gehobener könnte es schon sein. Was mir vorschwebt, liegt irgendwo zwischen Habel und Staud.«
Sprotte lachte. »Dann such mal schön.«
Berthold Kempinski engagierte vor der Rückreise nach Breslau einen Makler, und der schickte ihm im Laufe der Zeit immer wieder Listen mit mehreren Okkasionen nach Breslau, darunter auch das Haus Friedrichstraße 178. Das war an der Ecke Taubenstraße, also ungemein günstig gelegen.
»Die Friedrichstraße ist es!«, rief Helene. »Da gibt’s weiter kee’ Gefiepe: Das Haus da nehmen wir!«
»Ich muss erst mit meinem Bruder sprechen.« Berthold Kempinski graute es vor diesem Gang, denn ohne dass ihm Moritz Geld gab, konnte er Berlin vergessen.
»Unmöglich!« rief Moritz Kempinski, der es als elenden Verrat empfand, dass sich sein Bruder von ihm trennen wollte. Seit ewigen Zeiten hatte er Gewalt über ihn gehabt, und nun kam der Aufstand.
Berthold Kempinski sah es ebenso: als Befreiung, als Abnabelung. Auch er fühlte sich unwohl dabei, aber was sein musste, das musste halt sein.
»Ist dir denn deine Familie gar nichts mehr wert?«, fragte Moritz.
»Versuche es bitte nicht auf diese Tour! Berlin ist schließlich nicht aus der Welt, und ich kann dich und die anderen ja jederzeit besuchen.« Berthold Kempinski spürte plötzlich die Kraft, die in ihm steckte. »Und bitte zahle mich aus.«
»Das kann ich nicht.«
»Ich brauche für Berlin eigenes Kapital, sonst brauche ich gar nicht erst anzufangen.«
»Du hast ja deine Spargroschen.«
»Die reichen nicht.«
»Dann nimm Kredite auf.«
»Die kosten zu viel.«
»Dann schlag dir die Friedrichstraße wieder aus dem Kopf!«, rief Moritz.
»Nein, das tue ich nicht!«
Sie brauchten die halbe Nacht, um sich zu einigen und halbwegs in Güte zu trennen. Berthold bekam einiges Geld aus der Firma und willigte dafür ein, das Berliner Geschäft ebenfalls unter der Firmenbezeichnung M. Kempinski & Co. eintragen zu lassen, so dass der Bruder in Breslau damit prunken konnte,