Phalansterium. Matthias Falke
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Читать онлайн книгу Phalansterium - Matthias Falke страница 3
Nachdem Laertes gegangen war, drückte ich mich wieder ins Zimmer, um meinen Platz einzunehmen. Aber die Schwester, die Jennifer unterdessen für die Nacht fertig gemacht hatte, schickte mich weg.
»Sie müssen sich ausruhen«, sagte sie.
Ich erwiderte, dass ich am Morgen geduscht und frische Sachen angezogen hatte. Über den Tag verteilt hatte ich mich mit Kaffee und den trockenen Keksen aufrecht gehalten, die ich auch auf der Brücke der Enthymesis immer zur Hand hatte, und so würde ich auch die kommende Nacht überstehen.
»Sie sollten sich einmal sehen, Commander!« Sie lachte. Im Gegensatz zu dem barschen Ton, mit dem sie Laertes und andere Besucher fortschickte, war sie erstaunlich freundlich, wenn wir unter uns waren.
»Ich komme zurecht«, sagte ich. »Danke für Ihre Aufmerksamkeit.«
»Gehen Sie auf Ihre Kabine und legen Sie sich hin«, wiederholte sie, jetzt schon wieder ein Spur strenger. »Morgen beginnen wir mit der Rückholung, da braucht Ihre Frau Sie mehr als jetzt.«
Ich ließ einen letzten Blick über die madonnenhaft schöne Jennifer schweifen, die wie aufgebahrt in ihrem Bett ruhte, und sah es dann ein. Mit der Schwester war nicht zu spaßen, und die Aussicht, wenigstens ein paar Stunden in einem richtigen Bett zu schlafen, wurde in diesem Moment zu einer übermächtigen Verlockung.
»Ist gut«, sagte ich matt. »Aber jemand ist hier?«
»Eine Kollegin kommt«, sagte die Krankenschwester. »Im übrigen haben wir hier eine vollautomatische Überwachung. Wenn etwas passiert, ist der Arzt in dreißig Sekunden da.«
Ich nickte resigniert.
»Aber es wird nichts passieren«, sagte sie noch. »Ihr Zustand ist vollkommen stabil.«
Da riss ich mich los und ging hinaus.
Das Unionsmodul war nicht sehr groß und zu dieser Zeit nur spärlich besetzt. Ich schaffte es, in den Bereich der Offiziersunterkünfte zu kommen, ohne jemandem zu begegnen. Aus irgendeinem Grund wollte ich jetzt niemanden sehen und mit niemandem reden. Einige junge Piloten und Adjutanten vom Stab kamen mir entgegen, die unpersönlich grüßten, aber mich zum Glück nicht behelligten. Ich ging in die Lounge und bestellte bei der Ordonnanz ein Abendessen. Immerhin die erste warme Mahlzeit seit achtundvierzig Stunden. Dann begab ich mich auf meine Kabine.
Ich setzte mich aufs Bett. Die Ordonnanz kam und brachte das Tablett. Ich wartete, bis sie wieder gegangen war, und widmete mich dann schweigend dem Hühnchen, dem Curryreis und dem frischen Gemüse, das weder frisch war noch Gemüse, das aber doch erstaunlich gut schmeckte. Nach dem Essen holte ich mir ein Bier aus der kleinen Bar, die wir im Zimmer hatten. Dann saß ich wieder da. Laertes’ Worte gingen mir im Kopf herum. Solange ich an Jennifers Bett gewacht hatte, war ich nicht allein gewesen. Sie war ja da, wenn auch nur in Gestalt einer zum Skelett abgemagerten, von wächserner Haut bespannten Mumie, von der man nur rätseln konnte, ob noch genügend Leben in ihr war, um jemals wieder zu erwachen.
Erst jetzt, auf der standardisierten Kabine, die unsere Unterkunft während unserer Aufenthalte auf dem Torus war, spürte ich die drückende Last der Einsamkeit, die schwerer und schwerer wurde. Sie türmte sich über mir wie ein Berg, der mir die Brust zusammendrückte. Wie würde es sein, wenn Jennifer nie wieder zu sich kam? Ich begriff, dass ich das nicht ertragen würde, und versuchte, den Gedanken beiseite zu schieben. Aber es gelang nicht. Eine Leere tat sich auf, die ich in meinem ganzen Leben nicht gekannt hatte. Ein Abgrund, dessen andere Seite im Nebel lag, so dass man nicht wissen konnte, wie weit sie entfernt war und ob es sie überhaupt gab.
»Man wäre nie wieder allein.«
Aber uns war das nicht vergönnt.
Irgendwann kamen der Schlafmangel und der Alkohol mir zuhilfe und entführten mich in gnädige Bewusstlosigkeit.
Am nächsten Morgen fand ich mich um acht Uhr Bordzeit im Krankenzimmer ein. Der Arzt und die Schwester waren schon da. Die »Kollegin«, die angeblich die Nacht auf der Station verbracht hatte, war natürlich eine Lüge gewesen, um mich loszuwerden. Ich zuckte dazu die Achseln. Es war alles gut gegangen. Jennifer hatte auch ihre dritte Nacht im Koma überstanden.
Der Arzt nickte mir zu. Für seine Verhältnisse wirkte er heute geradezu unternehmungslustig. Die Schwester trat an das Steuermodul der Überwachungseinheit und nahm ein paar Eingaben vor. Im Grunde war es nicht anders als auf der Brücke eines Schiffes. Der Kommandant befahl eine Kursänderung, die Piloten gab an der Konsole die Koordinaten ein. Der Vektor, der jetzt anlag, lautete Bewusstsein.
Die Nanopumpen begannen zu arbeiten. Andere Hormone und Medikamente strömten in den Organismus, der irgendwie das tragende Substrat einer Entität namens »Jennifer« war. Das alles wurde mir immer rätselhafter und unheimlicher, je länger ich es mir ansah. Nicht, dass ich nicht jeden Zentimeter dieses Körpers kannte und, von den Zehen bis zum Scheitel, tausendmal geküsst hatte, aber letztlich war es doch nur eine sterbliche Hülle. Was hatte sie damit zu tun?
Am späten Vormittag schlug sie die Augen auf. Sie war blass, und ihr Blick war voller Staunen. Ein Neugeborenes, das ein voll entwickeltes Bewusstsein hatte und doch alles zum ersten Mal sah, würde so in die Welt schauen, sprachlos vor Schwachheit und Überwältigung. Sie konnte nichts sagen. Sie war zu erschöpft, um Worte zu formen. Aber das war auch nicht nötig. Ich legte den Finger an die Lippen, um es ihr zu bedeuten. Wir sahen uns einfach nur an. Sie lächelte. Alles war gut.
Sie war intubiert gewesen. Das Einzige, was sie hervorbrachte, war ein heiseres Krächzen. Es schien ihr Schmerzen zu bereiten. Ich gestikulierte eine Weile, um auszudrücken, dass sie sich Zeit lassen und sich schonen solle, bis mir einfiel, dass sie stumm, aber nicht taub war.
»Ruh dich aus«, sagte ich, unwillkürlich flüsternd.
Sie legte den Kopf schief und betrachtete mich auf diese warme Art, bei der ich mich immer wie ein kleiner Junge fühlte.
Die Schwester flößte ihr ein paar Tropfen süßen Tees ein. Dann schien ihr zumindest das Schlucken nicht mehr so schwer zu fallen.
Ihre Kabel, Schläuche und Katheter wurden entfernt. Ich half ihr aufzustehen und ein paar Schritte zu gehen, um ihren Kreislauf in Schwung zu bringen. Dann begleitete ich sie auf die Toilette. Das Wasserlassen musste eine Qual sein. Ich sah, wie sie ihre ganze Selbstbeherrschung aufbot. Der Urin war dunkel und voller Blut. Trotz der intravenösen Versorgung war sie dehydriert. Es kostete sie Überwindung, wieder aufzustehen. Mit einem angespannten Lächeln, als beobachte sie einen Vorgang, der sie im Grunde nichts anging, ließ sie all diese Verrichtungen über sich ergehen. Ich hielt sie an der Hand und geleitete sie die paar Schritte bis zur Dusche. Dort wusch ich sie mit warmem Wasser. Es waren Augenblicke einer nicht mehr zu überbietenden Intimität. Nicht anders, als wenn ich mich selbst eingeseift und abgespült hätte. Wir waren eins!
Anschließend bekam sie ein Nachthemd übergestreift und wurde wieder ins Bett gelegt. Die Schwester löffelte ihr eine Suppe ein. Und ganz langsam kam sie wieder zu Kräften. Ihr Gesicht, das gelb und wie ausgeleert gewesen war, bekam wieder Farbe. Ihr Blick wurde präziser, wacher, klarer. Zwei Stunden, nachdem sie die Augen aufgeschlagen hatte, hatte ich das Gefühl, dass es wieder Jennifer war, die mich aus den Kissen heraus anblickte.
Ich brachte sie auf den letzten Stand. Die Gründung der Neuen Union. Den Rückzug der Tloxi von dem Planeten G.R.O.M. Die Einsetzung einer paritätisch von allen raumfahrenden Völkern kontrollierten Kommission, die die Zthrontat-Vorkommen in der Galaxis verwaltete. Sie hörte sich das an. Ob es sie interessierte, war