Tauben am Fenster und andere Geschichten. Sigrid Dobat

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Tauben am Fenster und andere Geschichten - Sigrid Dobat

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      AUTOMATISCH

      Eberhard geht durch den Seitenausgang der Villa, der direkt in die Garage führt. Knopfdruck, das Garagentor öffnet. Automatisch. Ebenso das Gartentor.

      Der Weg aus der Vorstadt ins Zentrum recht lang, die Freisprechanlage im Auto lässt ihn keine Zeit verlieren. Er greift zur Brusttasche seines Sakkos. Der Terminplaner ist da. Immer schon wollte er sich diesen Terminplaner abgewöhnen. Es gibt schließlich eine Handyfunktion. Aber für heute hat er alles im Kopf, wenige Positionen nur an diesem Tag. Mittags dann die Immobilie am Sonnwiek. Die Verhandlungen waren zäh, jetzt hat er eine überraschende Strategie. Die hat er sich während der Nacht überlegt. Vielleicht erfolgreich. Vorher noch zu Bang und Olufsen, den Bildschirm für das Heimkino bestellen. Wie viel Zoll? Plasma Panel. Pixel? Wo ist der Zettel, den der Sohn ihm auf den Schreibtisch gelegt hat? Er wird ihn anrufen wegen der genauen Angaben. Solche Dinge müssen einfach laufen, damit kann er sich nicht auch noch beschäftigen.

      „Vergiss Bang und Olufsen nicht“, hatte seine Frau beim Einschlafen gesagt und ihm den Rücken zugedreht.

      Im Büro dann die Erledigungen, Unterschriften, Telefonate, Tägliches. Und dann der Anruf. „Ein gewisser Manni am Telefon, er lässt sich nicht abwimmeln“, hat die Sekretärin gesagt und die Schultern gehoben. So hat er abgenommen. Seine Stimme erkennt er sofort. Manni, von damals. Das Haus an der Bergstraße, das weiße Laken im Fensterkreuz, die anderen. Verrauchte Räume, übermüdete Gesichter und schlagender Puls.

      Die Verabredung ist schnell getroffen. Manni ist auf der Durchreise, die Zeit knapp. Die Kneipe an der Bergstraße gibt es nicht mehr, aber oben an der Kreuzung eine. Wegen der alten Zeiten oben an der Kreuzung, klar.

      Eberhard zieht die Manschette seines Hemdärmels hoch. Eine halbe Stunde noch. Was essen kann er in der Kneipe, bis zum Immobiliengeschäft noch drei Stunden, das muss reichen. Bang und Olufsen fällt ihm ein, irgendwie muss das auch noch. Er will keinen Ärger haben, das Heimkino soll morgen eröffnet werden. Die Kinder haben Freunde eingeladen. Seiner Frau ist das wichtig. Irgendwie das auch noch.

      Manni. Er schaut an sich herunter, ist irritiert. So nicht, nein, so geht das nicht. Die Krawatte, denkt er, öffnet den Knoten und legt sie über die Lehne des Schreibtischstuhls. Er wird sie morgen wieder neu binden. Zögern, dann legt er die Krawatte wohl gefaltet in seine Aktenmappe. Für die Verhandlungen im Sonnwiek wird er sie brauchen. Auch die dunkelblaue Hose, das Sakko. Eine halbe Stunde noch. Erinnerung an Holzlatschen, Lederwesten, Parkas. Alle olivgrün, die Parkas. Jetzt dunkles Blau. Das ist nicht zu ändern so kurzfristig. Aber die Krawatte, wenigstens die Krawatte weg.

      Schlechte Parkmöglichkeiten in der Bergstraße, im Parkverbot stehen, das wird kosten, nicht zu ändern. Dann Manni, da ist er, immer noch Bart, immer noch Jeans.

      „Mensch Manni!“

      Manni steht auf, kommt auf ihn zu. Sie bleiben voreinander stehen, gehen etwas in die Knie, schlagen auf die Oberschenkel, richten sich wieder auf, Schlagen auf die Schultern. So war das, damals.

      „Unter den Talaren ist der Muff von 1000 Jahren!“ Manni brüllt, lacht, schlägt sich noch einmal auf die Schenkel.

      „Revolution statt Evolution“, Eberhard hat sich erinnert. Seine Stimme ist leiser als Mannis, aber es ist ihm eingefallen.

      „Mensch Eberhard! Warte, warte!“ Mannis Handfläche schlägt gegen seine Stirn, als würde der Schlag seine Erinnerungen lockern.

      „Wer zwei Mal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment!“

      Eberhard spürt etwas, fein wahrgenommen hat er in sich einen kleinen, winzigkleinen Stich. Und er spürt den Zugzwang. Jetzt ist er an der Reihe, er muss mithalten.

      Ein Spruch noch, wenigstens einer, und dann brüllt er: „Freie Liebe für alle!“, als wolle er diesen feinen Stich, den er eben noch gefühlt hat, mit hinausbrüllen, wegbrüllen.

      Eberhard sieht Manni lachen, sieht, wie er sich abermals auf die Schenkel schlägt, den Finger schnipsend zum Ober hebt, „zwei Bier!“ ruft. Und Eberhard spürt, dass er den feinen Stich nicht hinausgebrüllt hat. Vielmehr hat sich ein Raum in ihm geöffnet, der den feinen Stich wuchern lässt, ausweitet zu einem dumpfen Schmerz.

      Das Bier, er wird jetzt das Bier trinken, kühl wird es sein. Und das Gespräch beginnen, Kontrolle haben über das Gespräch und über sich.

      Er hört sich sagen: „Mensch Manni, was machst du jetzt so, erzähl mal.“ Und er wird Mannis Geschichte hören und wegen des Immobiliengeschäfts auf die Zeit achten. Und Bang und Olufsen auch. Und er wird seine eigene Geschichte erzählen, selektiv natürlich, das versteht er. Und nur das eine Bier trinken, Pfefferminz ist im Auto.

      Das Immobiliengeschäft lief gut, die Strategie war erfolgreich. Aber es hatte länger gedauert als erwartet. Bang und Olufsen hatte er am Abend telefonisch erledigt, schließlich kennt er den Geschäftsführer.

      Eberhard steht im Badezimmer. Sie schläft schon, er hört ihren Atem. Das Geräusch der Zahnbürste, automatisch. In seiner Schlafanzugtasche ein Taschentuch. Er wirft es in die Toilette und spült. Dysfunktion, erektile Dysfunktion wegen Stress, war vor Jahren diagnostiziert worden. Er hört den Atem seiner Frau nebenan.

      Und er blickt in den Badezimmerspiegel und in ein müdes Gesicht.

      Seinen Puls spürt er nicht.

      DIE GRÜNE WOLKE

      Fuß vor Fuß, irgendwo entlang, irgendwas entgegen. Mein Weg?

      Es ist anders gekommen.

      Ich werde meine Geschichte erzählen, die Geschichte meines Lebensweges. Der Weg war steil. Senkrechtstart, sagten meine Eltern nicht ohne Stolz. Sie behaupteten, daran nicht beteiligt gewesen zu sein, sie sagten, ich sei ohne sie gegangen, sie seien unten geblieben, am Beginn des steilen Weges, sahen mich hinaufsteigen. Es ist nicht leicht für sie gewesen, mich allein gehen zu lassen, mich höher und höher steigen zu sehen, werden sie später behaupten. Es ist unmöglich gewesen, mich zurückzuhalten, sagten sie später.

      Mag sein.

      Der Probenraum des Jugendzentrums im Dorf stand uns donnerstags zur Verfügung. Wattiert gepolsterte Wände, das Schlagzeug stand in der Ecke des Raumes, wir durften es benutzen. Hark benutzte es, Max und ich brachten unsere Instrumente mit, Max seinen Bass, ich meine Gitarre. Ich spielte das Solo. Wir probten. Manchmal sang ich. Und irgendwann traten wir auf. Das fühlte sich gut an, wir waren einen Schritt weiter. Es war die Zeit, in der wir uns auf dem Nachhauseweg versicherten, dass wir den Wag gemeinsam gehen werden. Auf alle Zeiten gemeinsam.

      Dann kam mein Durchbruch. Hark und Max blieben zurück. Manchmal, wenn ich an die beiden dachte, Tagträume mir blasse Erinnerungen brachten, sah ich sie hinter einer Schranke stehen. Hark winkte verhalten, seinen Drumstick hielt er in der winkenden Hand, nur einen Stick. Hatte er den anderen verloren auf seinem Weg? Kurz erreichte mich die Frage, für die ich keine Antwort suchte.

      Mein steiler Weg, mein Durchbruch. Es war der eine Song, der mir zuflog. Zuerst mir zuflog und dann hinausflog. CDs verkauften sich, jeder kannte das Lied und meine Stimme. Senkrechtstart, sagten meine Eltern nicht ohne Stolz. Damals konnte ich sie noch hören. Wie sie es sagten, nicht ohne Stolz. Schritt für Schritt weiter nach oben. Ein weiteres Lied, noch eines, sie kamen geflogen.

      Und

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