Brennpunkt Balkan. Christian Wehrschütz

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Brennpunkt Balkan - Christian Wehrschütz

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des Landes besteht nach wie vor darin, dass das Verhältnis zwischen Bosniaken und Kroaten sowie zwischen Bosniaken und Serben auch 17 Jahre nach Kriegsende noch immer stark belastet ist. Hinzu kommt ein ineffizientes Staatswesen, das mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Dayton vor allem mit westlicher „Hilfe“ zustande kam. Damit wurde zwar der Krieg beendet, doch ein Staat geformt, der den Anforderungen von EU-Beitrittsverhandlungen nicht gewachsen ist. Die Lösung dieses Problems wird zusätzlich dadurch erschwert, dass das im Dayton-System geschaffene „Gleichgewicht“ durch den massiven Exodus der Kroaten (von etwa 800.000 auf geschätzte 500.000) demografisch immer brüchiger wird, und nach wie vor kein gemeinsames Staatsbewusstsein unter den drei konstitutiven Völkern besteht. Eine Anpassung des Dayton-Systems ist schon deshalb unausweichlich, weil ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Gleichstellung der „anderen“ Volksgruppen (etwa der Roma) verlangt, und damit auch die Wahl zum drei Personen umfassenden Staatspräsidium reformiert werden muss. Dabei geht es um Ämter, die derzeit nur Kroaten, Serben und Bosniaken offen stehen. Doch das Urteil des Gerichtshofs vom 22. Dezember 2009 wurde bis dato nicht umgesetzt, und daher ist das Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen noch immer nicht in Kraft getreten.

      Abgesehen von politischen und ethnischen Herausforderungen haben alle Staaten des Restbalkans strukturelle, interne Probleme zu bewältigen. Dazu zählen der Aufbau einer Verwaltung, die Beitrittsverhandlungen nicht nur führen, sondern den gemeinsamen Rechtsbestand der EU auch umsetzen und die zu erwartenden finanziellen Mittel sinnvoll einsetzen kann. Außerdem hat der Restbalkan noch einen weiten Weg vor sich, um etwa die Umweltstandards der EU auch nur annähernd zu erfüllen. Hinzu kommen der Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption sowie der Aufbau eines effizienten Justizwesens. Wie das Beispiel von Ivo Sanader in Kroatien zeigt, wird vor allem der Kampf gegen die Korruption in einigen Staaten des Restbalkans einen schrittweisen politischen Elitenwechsel erfordern.

      Fehlendes gemeinsames Auftreten

      Der Restbalkan hat es bisher wegen politischer und ethnischer Konflikte nicht geschafft, gegenüber Brüssel mit einer Stimme zu sprechen. Dazu zählen auch die vielen offenen Fragen zwischen Kroatien und Serbien, die von der Suche nach Vermissten bis hin zur Grenzziehung an der Donau reichen, um ein weiteres Beispiel zu nennen. Daher ist der Brdo-Prozess unter Führung der Staatspräsidenten von Slowenien und Kroatien ein positiver Ansatz, der natürlich darunter leidet, dass die Präsidenten in der Region vorwiegend nur protokollarische Funktion haben. Wichtig wäre es, dass derartige Treffen auch auf der Ebene der Ministerpräsidenten stattfinden. Denn mit dem EU-Beitritt zählt Kroatien nicht mehr zur Balkan-Familie, die damit noch kleiner geworden ist. Albanien, Bosnien und Herzegowina, der Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien zählen zusammen gerade einmal 19 Millionen Einwohner, das ist weniger als das EU-Mitglied Rumänien hat. Will der Restbalkan in Brüssel stärker gehört werden, muss er einerseits versuchen, viele regionale Probleme selbst zu lösen, und andererseits gegenüber der EU geschlossener auftreten. Dieses Ziel wird nicht leicht zu erreichen sein. Trotzdem dürfen die Fortschritte nicht übersehen werden, die der Restbalkan in den vergangenen Jahren gemacht hat. Serbien konnte schließlich zehn Jahre nach dem Sturz von Slobodan Milošević die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal erfolgreich beenden. Dazu bestehen auch echte Chancen auf eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo, wobei berücksichtigt werden muss, dass der serbisch-albanische Gegensatz bereits etwa 150 Jahre dauert und nicht erst durch Milošević geschaffen wurde. Positiv zu bewerten ist schließlich noch der Umstand, dass die regionale Zusammenarbeit – von der Wirtschaft bis hin zur Justiz – spürbar zunimmt, obwohl der Weg zur Aussöhnung noch weit ist. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass seit dem Ende der Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien noch keine 20 Jahre vergangen sind.

      Der grundlegende Pferdefuß des Balkans ist derzeit vor allem die triste soziale und wirtschaftliche Lage. Sie trifft das gesamte ehemalige Jugoslawien und Albanien, wobei die Auswirkungen je nach Entwicklungsniveau zwangsläufig unterschiedlich sind. Doch mit Arbeitslosenraten von zehn bis 20 Prozent und mehr ist trotz Schattenwirtschaft und – rückläufiger – Hilfe aus der Diaspora auf Dauer kein Staat zu machen. Nicht vergessen werden darf, dass ohne ein besseres Leben wohl auch in Deutschland und Österreich eine umfassende Aufarbeitung der Vergangenheit nicht möglich gewesen wäre, die in „Kakanien“ außerdem erst mit großer Verspätung begonnen hat. Die tiefgreifende Aussöhnung der Völker setzt eine gewisse materielle Sicherheit voraus, die derzeit auf dem Balkan nicht gegeben ist. Dass Aussöhnung nicht nur dort Zeit braucht, zeigt etwa die Tatsache, dass jenseits des Handschlags von Kohl und Mitterand auf den Schlachtfeldern von Verdun, Angela Merkel erst 90 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs als erste deutsche Kanzlerin zu einer Gedenkfeier nach Paris eingeladen wurde. Der Balkan ist somit keine Ausnahme in Europa und schon gar keine Region, die von Menschen bewohnt wird, die nichts anderes im Sinn haben, als ständig miteinander Kriege zu führen – ganz im Gegenteil. Auch auf dem Balkan leben Menschen mit Wünschen, Hoffnung und Sehnsüchten, wie sie in ganz Europa anzutreffen sind. Doch der Balkan ist eine kleinräumige Region mit vielen Völkern, die in ihrer Geschichte seit etwa 500 Jahren bis heute stets fremdbestimmt wurden. Diese Rolle des permanenten „Objekts“ in der Geschichte kann in der EU aufgehoben werden. Die Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien sind nicht zu Unrecht als das größte kollektive Versagen von USA und EU seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bezeichnet worden. Dieses Versagen hat auf dem Balkan – der natürlich nicht aus seiner eigenen Mitschuld entlassen werden darf – sehr viele Menschenleben und den europäischen Steuerzahler sehr viel Geld gekostet. Aus dieser doppelten Verantwortung heraus ist es politisch und moralisch unerlässlich, dass die EU trotz aller ihrer Krisen auf einem klaren Erweiterungskurs bleibt.

      

      Neuer (EU)-Kolonialismus? Titelbild des unabhängigen, slowenischen, aktuell-politischesn Wochenmagazins „Mladina”. (deutsch „Jugend”)

      SLOWENIEN 2008 – 2013

      Vom Musterschüler zum Sorgenkind

       „Der Kapitalismus ist eben wie ein Thriller, in dem der Mörder von der ersten Seite an bekannt ist, der aber am Schluss nicht verhaftet wird.“ Marcel Štefančič, jr.1)

      Jože, Mateja und ihre beiden Kinder Maja und Gašper sind eine erfundene slowenische Durchschnittsfamilie, deren hier beschriebenes Schicksal der Realität des Landes aber sehr nahe kommt. Bis vor fünf Jahren arbeitete Jože in einer Baufirma, die vor zwei Jahren Konkurs anmelden musste. Mateja ist Lehrerin in einer Grundschule, Tochter Maja geht in den Kindergarten und Sohn Gašper besucht die vierte Klasse der Grundschule. Am stärksten von der Krise betroffen ist Jože: 2007 verdiente er als Bauingenieur etwa 1.000 Euro netto. Jetzt ist er ein Ein-Personen-Unternehmen, das an der Grenze zur Scheinselbständigkeit liegt. Für Jože ist es nun sogar schwierig, regelmäßig seinen Monatslohn von 600 Euro zu erhalten. Er führt vor allem kleinere Bauarbeiten durch, muss viel länger arbeiten als früher, dafür wird aber der Lohn nicht sofort am Monatsende ausbezahlt, sondern manches Mal sogar erst drei Monate später. 2007 waren davon nur etwa 20 Prozent der Löhne betroffen, jetzt sollen es schon 70 Prozent sein. Aber auch Mateja ist Opfer der Krise: Sie verdient 980 Euro im Monat, das ist um etwa 40 Euro weniger als 2007, weil der Staat die Löhne im öffentlichen Dienst gekürzt hat. Im Gegenzug muss sie nach der Schulreform nun in größeren Klassen unterrichten und auch zusätzliche Schulaktivitäten unentgeltlich durchführen. Und die Zuschüsse für Gašpars Schulmalzeiten wurden ebenfalls gestrichen: Statt 50 Euro kostet das Essen in der Schule nun 90 Euro monatlich. Um 30 Euro wurde auch der Kindergartenbeitrag erhöht, in den Maja geht. Er kostet nun 220 Euro im Monat. Teurer wurden Strom, Wasser, Müllabfuhr und die Krankenversicherung. Im Durchschnitt stiegen die Preise binnen fünf Jahren

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