Wiener Wahn. Edwin Baumgartner

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Wiener Wahn - Edwin Baumgartner

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nach den Babenbergern, die zwar keine Kaiser gestellt haben, ohne die es aber Österreich nicht gäbe, und die den Stephansdom zu bauen begonnen haben und die Hofburg und rund 17 Kilometer nordnordwestlich von Wien das Stift Klosterneuburg, das Sie sich unbedingt anschauen sollten, nach den Babenbergern also kräht, trotz aller Appelle der Historiker, überhaupt kein Hahn mehr.

      Apropos wunderliche Kaiser: Also der Nandl – ich sage Ihnen ...

      DER NANDL

      Jetzt muss ich Ihnen was erzählen, und zwar zuerst über Knödel38. Danach erzähle ich Ihnen was über den Kaiser Ferdinand I.

      Aber zuerst kommen die Knödel an die Reihe.

      Knödel sind eine über den ganzen alpenländischen Raum verbreitete, aber ganz speziell Wiener Spezialität, und wie alle Wiener Spezialitäten stammt sie aus Böhmen. Nein, das war jetzt ein Schmäh, den ich nur angebracht habe, um die Nähe der tschechischen Küche wieder einmal beiläufig zu erwähnen. Im Fall der Knödel dürfte der Weg ausnahmsweise einmal der umgekehrte gewesen sein, also von Österreich nach Tschechien. Zumindest lassen das Ausgrabungen aus alter Zeit vermuten. Aber wenn man die Knödel als Beilage isst zu einem Bierfleisch oder zu Schweinsbraten mit Sauerkraut, gleicht sich das schnell wieder aus.

      Man unterscheidet Erdäpfelknödel39 und Semmelknödel40, und beide Typen haben diverse Variationen. Die Erdäpfelknödel gibt es auch in süßen Varianten, etwa die Marillenknödel, die Sie unbedingt probieren müssen, wenn Sie Mitte Juli, Anfang August in die Wachau kommen – obwohl ich Ihnen gleich sage, dass es Köchinnen gibt (und vielleicht auch Köche, aber die werden in Knödeldingen nicht gefragt), die auf Marillenknödel aus Brandteig schwören, was, genau genommen, einen dritten Knödeltyp ergibt, der uns jetzt aber weiter nicht kümmern soll.

      Die Semmelknödel sind ein wahres Wunder der Wiener Küche. Etwas Besseres als Beilage gibt es nicht. Ist irgendwo eine Soß dabei – das Semmelknödel tunkt sie auf und hebt ihren Geschmack. Ist irgendwo keine Soß dabei, ist das Semmelknödel auch die ideale Beilage. Und niemals darf man ein Knödel schneiden, wenn es eine Beilage ist, man muss es reißen. Das ist kein Wiener Pecker, sondern ein kulinarisches Geheimnis: An einem glatt geschnittenen Knödel rinnt der Saft ab, während ihn ein gerissenes herrlich auftunkt.

      Das Knödel kann freilich genauso gut ein grandioser Hauptdarsteller sein als geröstete Knödel mit Ei41, das ich ganz besonders gerne mag, als Knödelauflauf42 oder als saure Knödel43.

      Übrigens sind die Semmelknödel, da bin ich völlig sicher, ein Streitobjekt, seit eine Urwienerin sie erstmals geformt hat, und nicht nur wegen des Geschlechts, also, ob es richtig der Knödel heißt oder das Knödel. In Wien heißt es das Knödel, und wer der Knödel sagt, ist kein echter Wiener, selbst dann nicht, wenn seine Urgroßeltern allesamt aus Böhmen gekommen sind. Aber wie damals die Urwienerin die Urknödel serviert hat – ich schwöre Ihnen, dass damals ihr Mann gesagt hat, die Knödel seien zu weich, ihre Mutter hat gemeint, zu hart, und obzwar die Urwiener die Urknödel gegessen haben, und zwar mit Appetit und Genuss und das Rezept an ihre Kinder und Kindeskinder weitergegeben haben, ist der Urstreit über die Knödelhärte bis heute nicht beigelegt.

      Hab’ ich was mitgemacht mit den Semmelknödeln, das kann ich Ihnen sagen! Meine Großmutter, eine begnadete Köchin Altwiener Küche, ist auf dem Standpunkt gestanden, ein Semmelknödel hat so flaumig zu sein, dass es sich quasi von selbst zerteilt, wenn man es nur scharf anschaut. Meine Mutter hingegen, eine nicht minder begnadete Köchin Altwiener Küche, ist überzeugt gewesen, dass nichts als Semmelknödel durchgehen darf, was weicher ist als eine der Kugeln, mit denen der Feldmarschall Radetzky44 in der Schlacht bei Custozza seine Kanonen laden hat lassen.

      Damit komme ich zum Kaiser Ferdinand I.45 Der hat, mehr der Pflicht gehorchend als dem Vergnügen hingegeben, wieder einmal an einem Hofbankett teilgenommen. Bei solch einem Anlass ist es üblich, dass die Köche einander an Absonderlichkeiten übertreffen. Je ausgefallener, desto besser – das ist damals wie heute das Gleiche. Jetzt hat es dem Ferdinand aber gar nicht geschmeckt, was da aus der Küche auf den Tisch gekommen ist. Ich glaube, nach meiner Hymne auf die Knödel können Sie verstehen, wenn der Kaiser lieber Knödel gegessen hätte als Karpfen in einer Soße aus dessen eigenem Blut. So sitzt seine Majestät also da, und er mag die Hühnerpastete nicht und nicht den Karpfen und erst recht nicht die Flusskrebse, und die gebratenen Krammetsvögel46 mag er nicht und die Karpfenzungen hat er von je her geradezu verabscheut, und als der gebratene Stockfisch aufgetragen wird, sagt er zum ersten Mal, dass er lieber Knödel hätte, und ich kann ihm das nachfühlen, dem Ferdinand – Sie vielleicht auch. Richtig unwirsch ist er, als die Antwort des Dieners lautet, Knödel habe man keine vorgesehen, das sei nichts für eine festliche Tafel. Dann wird der gebratene Fischotter serviert, und der Ferdinand sagt wieder, er hätte lieber Knödel, und wieder heißt es, Knödel gäbe es heute keine. Als die Rinderzunge im Eierkuchen aufgetragen wird und der Ferdinand meint, jetzt wäre es an der Zeit, ihm Knödel zu bringen, und der Diener abermals sagt, Knödel gäbe es heute nun einmal nicht, da reißt ihm, dem Ferdinand, der Geduldsfaden und er sagt laut: „Ich bin da Kaisa, und ich will Knödl.“

      Ich frage Sie im Ernst: Kann man ihm das verdenken?

      Also, ich zumindest hab’ vollstes Verständnis für ihn. Wenn ich der Kaiser wär’ und meine Leibspeise wären Knödel, dann würd’ ich auch nicht einsehen, dass ich keine bekomme, aber stattdessen Rinderzunge im Eierkuchen und gebratenen Fischotter, was mir noch nie geschmeckt hat.

      Der Knödel-Ausspruch dient, wie alle anderen Ferdinand-Zitate, dazu, den Kaiser als Trottel hinzustellen. Ein bisserl was mag dran sein. Immerhin ist er aus der Ehe von Kaiser Franz II.47 und Maria Theresia, Prinzessin beider Sizilien, hervorgegangen: Das Paar war zweifach Cousin und Cousine ersten Grades. Ferdinand hat einen Wasserkopf gehabt, an Epilepsie und Rachitis gelitten, die wulstige Habsburger-Unterlippe hat über die Maßen sein Gesicht dominiert, sein Körperbau wird als unproportioniert beschrieben. Geistig ist er ein Spätentwickler gewesen.

      Aber ich bezweifle, dass er wirklich der Kretin gewesen ist, für den ihn bis heute alle ausgeben. Sogar bei Führungen durch die Kaiser-Franz-Joseph-Ausstellung in Schloss Schönbrunn im Jahr 2016 ist die Rede gewesen vom schwachsinnigen Ferdinand. Auf einem Bild ist er zu sehen gewesen, und bei der Führung hat der junge Mann, ganz bestimmt vorschriftsmäßig, die Grenzdebilität vom Ferdinand erwähnt. Doch irgendwie mag ich das nicht ganz glauben. Ich sag’ Ihnen was: Mir ist er richtig sympathisch, der Kaiser Ferdinand. Darum will ich Ihnen jetzt was über ihn erzählen, was Sie nicht oft zu hören kriegen.

      Der angeblich geistig zurückgebliebene Kaiser hat fließend die fünf Hauptsprachen des Reichs gesprochen, also Deutsch, Tschechisch, Italienisch, Ungarisch und Polnisch. Er hat Klavier gespielt, er ist geritten, hat getanzt und gefochten, er hat sich für Heraldik interessiert und für moderne Entwicklungen im Gartenbau und für Technik, und er soll eine auffällige Begabung fürs Zeichnen gehabt haben. Das scheint mir reichlich talentiert für einen kompletten Trottel, finden Sie nicht?

      Für mich hat er lediglich eine gewisse Entscheidungsschwäche gehabt. Dass man ihm die „Geheime Staatskonferenz“48 zur Seite gestellt hat, damit das Reich weiterhin quasi absolutistisch regiert werden kann, mag schon in Ordnung gewesen sein.

      Der Kaiser Ferdinand ist zweifellos auch etwas naiv gewesen. Sie kennen sicher den anderen Ausspruch von ihm – Sie wissen schon: Wie im 1848er-Jahr sogar im phlegmatischen Wien die Revolution ausgebrochen ist, hat man nicht verhindern können, dass der Kaiser einer wütenden Volksmenge ansichtig wird. Konsterniert fragt er seinen Kanzler Metternich: „Was machn denn all die vieln Leut da? De san so laut!“ Worauf Metternich antwortet: „Die machn eine Revolution, Majestät.“

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