Wiener Wahn. Edwin Baumgartner
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Wiener Wahn - Edwin Baumgartner страница 12
Auf einmal ruft meine Großmutter aus der Küche: „Kommt’s und helft’s mir.“ Meine Mutter und ich eilen in die Küche. Meine Großmutter hat Bruno, ganz nach Plan, unter dem linken Arm eingeklemmt, in der rechten hat sie den Schnitzelhammer. Bruno macht große Augen. „I kaun des net“, sagt meine Großmutter und verfällt plötzlich in für sie ungewöhnlichen Dialekt, „höft’s ma, des Viech in die Badwann z bringan.“
Das ist noch keine endgültige Begnadigung. Meine Großmutter überlegt vorerst nämlich andere Karpfentötungsmethoden. Der Wasserentzug wird wieder ins Spiel gebracht und so schnell verworfen wie beim ersten Mal. Den alten elektrischen Rasierapparat vom Großvater herauszukramen, anzustecken und ins Wasser zu werfen, wäre eine Möglichkeit, aber davon rät meine Mutter ab: Das, sagt sie, gäbe einen kapitalen Kurzschluss, und am 24. Dezember einen Elektriker zu finden, der den Schaden repariert, ist unmöglich – was bedeuten würde, bis 27. Dezember abends im Dunkeln zu sitzen, wenn nicht gar über das Neue Jahr hinaus, denn wer weiß, wann ein Elektriker zu dieser Zeit hat. „Außerdem“, sagt meine Mutter, „kann sowieso keiner von uns den Bruno umbringen und dann essen.“
Meine Großmutter schaut meine Mutter aus protestfunkelnden Augen an.
„Du doch auch nicht, gib’s zu …“, sagt meine Mutter.
Jetzt resigniert meine Großmutter. „Na ja“, sagt sie, „der Kaiser hat ja auch zu Weihnachten jemandem das Leben geschenkt. Ist es bei uns halt ein Karpfen.“
Kaum ist es dunkel, hole ich den großen Kübel, in dem uns Onkel Paul den Bruno gebracht hat, aus dem Keller. Ich fülle ihn mit Wasser, meine Mutter und ich schaffen es, Bruno hineinzubekommen. Dann eilen wir zur Alten Donau, zu Fuß, aber das ist nicht weit, und draußen hängt eine trockene Kälte, die man nicht spürt. Niemand ist auf der Straße. An der Alten Donau entlassen wir Bruno in seine nasse Freiheit. „Viel Glück für die nächsten Wahlen“, ruft ihm meine Mutter nach.
Zu Hause gibt es als Weihnachtsessen das Mischgemüse, das meine Großmutter mittlerweile in reichlich Butterschmalz geschmort hat, und Knödel hat sie auch gezaubert, gekocht, in Scheiben geschnitten und in Butterschmalz angebraten. „Geht’s dem Bruno gut?“, fragt sie. „Ja“, sagt meine Mutter. „Ist schon recht so“, sagt meine Großmutter.
Für mich ist das Mischgemüse mit gebratenem Knödel das beste Weihnachtsessen aller Zeiten gewesen. „Der Kreisky gwinnt eh nimmer“, sagt meine Großmutter, „soll’s wenigstens dem Bruno gut gehn.“
Am 6. Mai des darauffolgenden Jahrs hat der Bruno, diesmal aber nicht der Karpfen, sondern der Kreisky, noch einmal die absolute Mehrheit geschafft.
Letzten Endes hat aber meine Großmutter, sogar sie, dann doch noch ihren Frieden mit dem Kreisky gemacht. Das ist so gekommen: Zita Maria delle Grazie von Bourbon-Parma, kurz Zita, ist die Frau von Kaiser Karl, dem letzten Kaiser Österreichs, gewesen. 1918 hat er auf den Thron verzichtet. Zita indessen hat die Erklärung nicht unterschrieben. Den Habsburgergesetzen zufolge, die von der nunmehrigen Republik Österreich erlassen worden sind, haben der Kaiser und seine Frau Aufenthaltsverbot in Österreich gehabt.
Zita hat ihren Mann um Jahrzehnte überlebt. Obwohl sie Italienerin von Geburt gewesen ist, hat sie immer Österreich als ihre Heimat angesehen. Ihr größter Wunsch ist es gewesen, vor ihrem Tod noch einmal heimzukehren und einer Messe im Stephansdom beiwohnen zu können. Allerdings ist sie immer noch nicht bereit gewesen, die Verzichtserklärung zu unterschreiben. Der Kreisky hat es unmenschlich gefunden, einer alten Frau ihren letzten Wunsch zu verweigern. Deshalb hat er seinen Beamten den Auftrag gegeben, ein paar juristische Schlupflöcher zu finden, um Zita, deren Haltung er insgeheim sowieso bewundert hat, die Einreise zu ermöglichen.
Im Jahr ihres 90. Geburtstags, 1982, hat die Zita unbehelligt von irgendwelchen Gesetzen und Gesetzeshütern nach Wien reisen können. Am 13. November ist es gewesen, da hat Franz Kardinal König in ihrer Gegenwart die Dankesmesse im Stephansdom zelebriert und ihr Haupt gesegnet, wie es früher bei Kaiserinnen üblich war.
Dass der Bruno Kreisky das ermöglicht hat, hat ihm meine Großmutter hoch angerechnet. Im Jahr darauf ist sie erstmals wählen gegangen, ganz gegen ihre Überzeugung, dass Wahlen nur etwas für Männer sind, und sie hat den Bruno Kreisky gewählt. Der hat zwar nicht mehr die absolute Mehrheit bekommen und seine Ära selbst beendet, aber meine Großmutter, die immer nur für den Kaiser gewesen ist, hat jetzt auch den Bruno Kreisky gemocht, obwohl sie als Monarchistin, ihn den Sozi, eigentlich nicht hätte mögen können.
Bruno von der Alten Donau wird dazu weise, wie es Karpfenart ist, mit seinem Karpfenhaupt genickt und gemeint haben, alles sei genau so, wie es sein soll.
Apropos Adel: Also die Reichsgräfin Triangi und der Baron Karl – ich sage Ihnen ...
DIE REICHSGRÄFIN UND DER BARON
Jetzt muss ich Ihnen was erzählen, und zwar von der Reichsgräfin Triangi und dem Baron Karl.
Die Reichsgräfin Triangi ist genau so eine Gräfin gewesen, wie der Baron Karl ein Baron gewesen ist – Sie verstehen schon.
Die Frau Reichsgräfin ist am 6. Mai 1868 in Brünn geboren worden, und damit quasi eine echte Wienerin. Die geborene Beatrice Samek, Tochter eines Seidenfabrikanten, ist bis 1926 dreimal verheiratet gewesen und hat aus Heiratssachen dreimal die Konfession gewechselt. 1926 ist ihr dritter Mann gestorben und die Frau Reichsgräfin war geboren.
Genau genommen, ist die Reichsgräfin Triangi eine Reichsgräfin von Kaiserin Maria Theresias Gnaden, weil ja die Maria Theresia ihr Lebtag nur Herzogin gewesen ist, falls ich das noch nicht erwähnt haben sollte. Der Kaiser ist ihr Mann gewesen, was naturgemäß zur Wiener Titelübertragung aus Schmähgründen führt. Der dritte Mann von der Beatrice ist der Redakteur der „Österreichisch-ungarischen Betriebsbeamtenzeitung“ und ein echter Graf gewesen, Albano Hugo Josef Reichsgraf Triangi hat er geheißen.
So ist die Beatrice Frau Reichsgräfin geworden. Und als Beatrice Cita Albano Antonia Reichsgräfin Triangi, von und zu Latsch und Madernburg, Baronin von Maderno Riedhorst, Freifrau von Tyrol, Trientiner Edeldame hat die exaltierte Witwe eine Karriere als Sängerin, Tänzerin, Flöten- und Mundharmonikaspielerin in Kabaretts, Kleinkunstbühnen und Vorstadtlokalen begonnen. Ein Foto zeigt eine recht füllige Person in einem Fantasiegewand in arabischem Stil eine Querflöte spielend. Das Brauhaus-Restaurant in Simmering hat für die Auftritte der Triangi eine Warnung angebracht: Wichtig! Jede der Reichsgräfin Triangi zugefügte Beleidigung ist verboten und wird sofort gerichtlich verfolgt.
Das lässt darauf schließen, dass der Humor der Triangi ein ganz und gar unfreiwilliger gewesen ist, zumal sie zu ihren musikalischen Darbietungen höchst freizügige Solotänze veranstaltet haben soll. Aber was weiß man? – Vielleicht hat sie ja ganz genau gewusst, was sie kann oder vielmehr: was sie nicht kann, und hat sich ein bisserl auch über sich selbst lustig gemacht und über das Publikum, das einer Dilettantin applaudiert. Jedenfalls hat sie 1928 der „Wiener Sonn- und Montagszeitung“ ein Interview gegeben, und was sie da gesagt hat, kann sie nicht ernst gemeint haben: „Wissen Sie denn nicht, daß man mich für eine Göttin hält, eine Muse? Gott, das mag ja übertrieben sein, aber das Urteil über mich haben schon mehr als einer gefällt. Meine Bildung, meine Kenntnisse seien für unsere Zeiten etwas ganz Ungewöhnliches, überragen sogar weit die Grenzen des Genies. Ich bin Doktor der Philosophie, Juris und Medicinae. Auch habe ich in allen alten Sprachen Staatsprüfungen gemacht.“ Fragen Sie mich jetzt also bitte ja nicht, ob sie in ihrem Fach, so quasi als Groteskdarstellerin, eine gute Künstlerin gewesen ist. Ich kann Ihnen das einfach nicht mit ja oder nein beantworten.
Leider