Heilbuch der Schamanen. Felix R. Paturi

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Heilbuch der Schamanen - Felix R. Paturi

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style="font-size:15px;">       Genau 24 Stunden, nachdem er die Höhle betreten hatte, verließ er sie wieder, freudig vom Prior und seiner Gemeinde empfangen. Was er dort erlebt hatte, erzählte er später einem Zisterzienser- Bruder aus dem Kloster Saltery im englischen Lincoln. Der Mönch protokollierte den Bericht in lateinischer Sprache.

      Der Bericht des Ritters

      Zunächst gelangte Owein in verschiedene düstere Gebäude, dann durchstreifte er Täler und weite Ebenen. Dabei begegnete er gefährlichen Dämonen, die ihn zehn verschiedenen Martern unterzogen. Er sah Teufel, die sündenbeladene Seelen mit weißglühenden Nägeln und in Kesseln voll mit brodelndem geschmolzenem Metall quälten.

       Schließlich überquerte er sicher einen trügerischen Steg, der zum Eingang der Hölle führte, und gelangte schließlich in ein Paradies voller Schönheit und Freuden. Auf demselben Weg, den er gegangen war, kehrte er später auch wieder zurück, diesmal jedoch ohne weiteren Schwierigkeiten und Gefahren ausgesetzt zu sein.

      Es heißt, der Owein-Bericht habe den berühmten italienischen Dichter Dante Alighieri zu seiner »Göttlichen Komödie« inspiriert.

      Die Verbreitung des Berichts in Europa

      Die Beschreibung der visionären Erlebnisse des englischen Ritters machte in Europa rasch die Runde, und die kleine Insel in dem einsamen irischen See wurde zum berühmten Wallfahrtsort. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts war er sogar so bekannt, dass beispielsweise auf einer Weltkarte aus dem Jahr 1492 das »St. Patrick's Purgatory« als einzig erwähnenswerter Ort in ganz Irland verzeichnet war.

       Für uns ist der Bericht über das Höhlenerlebnis des Ritters Owein heute so interessant, weil er erstaunliche Gemeinsamkeiten mit den Erlebnissen sibirischer, schwarzafrikanischer oder indianischer Schamanen aufweist.

       Als Eingang in die untere Welt kann beispielsweise der Quelltopf eines Geysirs dienen, eine heiße Quelle, die in regelmäßigen Zeitabständen eine Wasserfontäne ausstößt.

      Warum der Bericht schamanische Elemente aufweist

      Nun mag es den Gegeneinwand geben, dass der Ritter als gläubiger Katholik schon aufgrund seiner religiösen Erziehung mit Höllen- und Himmelsvisionen vertraut war und sein Bericht über das Fegefeuer deshalb nichts mit schamanischem Erleben zu tun habe. Doch umfasste seine Erzählung weit mehr als die bekannten Elemente aus der christlichen Überlieferung. So schritt er, lange bevor er das Höllenszenario erreichte, durch düstere Gebäude und durchstreifte im Anschluss daran noch Täler und weite Ebenen. Dieses ausgedehnte Herumschweifen kann niemand erleben, der - getrieben von strengen Selbstbeschuldigungen und Bußfertigkeit - ausschließlich strafende Höllenvisionen erwartet. Genau diese Art der Wanderungen und des Erlebens ist jedoch typisch für schamanische Reisen.

      Auch ein Schamane ist bei der Wahrnehmung und Deutung der Bilder, die ihm im schamanischen Bewusstseinszustand begegnen, nicht frei von der Prägung durch sein kulturelles Umfeld.

      Volksmärchen mit schamanischen Wurzeln

      Schöne Beispiele finden wir auch in unseren alten Volksmärchen, die ebenfalls schamanische Wurzeln haben. So fällt im Märchen von »Frau Holle« die Heldin der Geschichte, Goldmarie, in einen tiefen Brunnen und gelangt anschließend in ein blühendes Land. Hier bittet sie ein Apfelbaum darum, geschüttelt zu werden und Brote mit menschlicher Stimme rufen, das Mädchen möge sie doch aus dem Backofen befreien. Danach erst trifft sie auf das Haus von Frau Holle und lässt es beim Bettenschütteln auf der Erde schneien. Diese Geschichte könnte in anderer Gestalt genauso gut das Protokoll der Trancereise eines schamanischen Regenmachers sein.

      Welche Erfahrungswelten Trancereisen zugrunde liegen

      Doch zurück zu Ritter Owein. Gewiss war er als Kind seiner Zeit von der Vorstellungswelt des christlichen Mittelalters in Bezug auf die Begriffs- und Bildwelten von Himmel und Hölle beeinflusst. Aber woher stammen diese Vorstellungen ursprünglich? Welche Erfahrungen stecken darin?

       Ein ganz besonderes Beispiel aus der christlichen Überlieferung gibt uns die Kreuzigungserfahrung Jesu Christi. Im Neuen Testament ist sehr präzise aufgezeichnet, was Jesus nach seiner Kreuzigung auf dem Hügel Golgatha widerfuhr: »Gekreuzigt, gestorben und begraben; niedergefahren zur Hölle; am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten. Aufgefahren zum Himmel...«

      Die Nahtodeserfahrung Jesu Christi

      Es ist in diesem Zusammenhang müßig, hier die viel diskutierte Frage aufzuwerfen, ob Christus nach seiner Kreuzigung wirklich tot war oder nicht. Mediziner und Physiologen gehen heute übereinstimmend davon aus, dass er nach den Folterqualen am Kreuz in ein Koma verfiel. Dies bedeutet nichts anderes, als dass Jesus sich zwar in tiefster Bewusstlosigkeit befand, nicht aber tot im eigentlichen Sinn war.

       Im 24. Kapitel des Lukas-Evangeliums lässt dessen Autor Christus selbst nach seiner Auferstehung zu seinen versammelten Jüngern sagen: »Seht meine Hände und meine Füße: Ich bin es selbst. Fühlt mich an und seht; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Beine, wie ihr seht, dass ich habe.« Danach verlangte er etwas zu essen, wie um sich und den anderen seine wiedererwachte Lebendigkeit zu beweisen.

      Nahtodeserlebnisse weisen Konstanten auf, die von Raum und Zeit unabhängig sind.

      Die Berichte von Nahtodespatienten ähneln sich

      Ganz ähnliche Fälle von Koma und sogar klinischem Tod mit nachfolgender erfolgreicher Wiederbelebung durch künstliche Beatmung, Herzmassage oder Elektroschock kennen wir zu tausenden. Die moderne Medizin ist heute in der Lage, derartig starke Weckreize zu bieten, dass manche Komapatienten aus jener »anderen Welt« wieder zurückgeholt werden. Und - das ist das Erstaunliche - die meisten dieser Nahtodespatienten berichten anschließend, befragt auf ihre Gedanken und Erlebnisse während ihrer Bewusstlosigkeit, von ähnlichen Erfahrungen wie die, die von Ritter Owein oder Jesus Christus überliefert sind. Sie alle gelangten durch eine Art dunkle Röhre oder einen ähnlichen Eingang in eine »untere« oder in eine »obere« Welt, oft sogar in beide nacheinander.

      Das Erlebnis des »schamanischen Todes«

      Vernunftbetonte, aufgeklärte Menschen mögen bei diesen wundersam anmutenden Berichten ungläubig den Kopf schütteln. Einen Schamanen hingegen werden sie nicht im mindesten aus der Fassung bringen. Schließlich sind ihm diese Erfahrungen bestens vertraut.

       Alle Menschen, die in unseren Beispielen genannt wurden, Owein, Christus sowie die Patienten, die aus einem Koma wiedererwachten und gesundeten, haben tatsächlich eine gemeinsame Erfahrung: den an Leib und Seele erlebten »schamanischen Tod«. Den beschriebenen Reisen in die untere und die obere Welt kam dabei »nur« die Bedeutung eines begleitenden, wenngleich höchst lehrreichen Szenarios zu. In den meisten Fällen änderte dieses tiefe Erlebnis das spätere Leben und die Lebensweise dieser Menschen sehr drastisch. Nicht selten handelten sie verantwortungsbewusster sich und anderen gegenüber, vertraten eine höhere Moral und Ethik als in ihrem früheren Leben; und nicht wenige fanden erst durch dieses einschneidende Ereignis zu einer tiefen Religiosität.

       Das Entscheidende an dieser Erfahrung war der eigene Tod an sich, den die Betroffenen erlebten, also die als wirklich erlebte Vernichtung des Ich. Auf diesen Aspekt

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