Tod im Kirnitzschtal. Thea Lehmann

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Tod im Kirnitzschtal - Thea Lehmann

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auf Neusches Bürostuhl leidlich bequem gemacht.

      »Hab ich alles schon den zwei Polizisten erzählt«, winkte Kunath ab. »Jetzt sagen Se bloß mal, wie der umgebracht worden sein soll. Hat doch nüscht gefehlt bei dem, sah doch heile aus?«

      Leo seufzte: »Er ist an einer Verkettung von mehreren Ursachen gestorben. Genauer: er ist erstickt.«

      Kunath kratzte sich am Kopf. »Das soll funktionieren?«

      »Haben Sie in der Straßenbahn irgendetwas gesehen, was ungewöhnlich war?«

      »Nu, ’ne Colaflasche, so was liegt sonst nicht rum«, sagte Kunath.

      »Ich wüsste nicht, wie man damit jemanden ersticken sollte«, meinte Reisinger, »und aufbewahrt haben Sie die sicher auch nicht, oder? Falls sie dem Toten gehörte, wäre die schon interessant gewesen.«

      Kunath schüttelte den Kopf. »Nee, die hab ich in den Müll geworfen am Stadtpark vorne. Der Papierkorb wird jeden Tag geleert. Die könn’ Se vergessen.« Reisinger sah das auch so.

      »Erstickt«, wiederholte Kunath gedankenverloren. »Nu, die Straßenbahn ist jedenfalls nicht so luftdicht, dass da einer ersticken könnte. Obwohl die Luft am Sonntagnachmittag, wenn die Boofer aus ’m Wald kommen, manchmal schon ganz schön dicke ist.«

      »Wenn wer aus dem Wald kommt?« Leo Reisinger versuchte, schulbuchmäßig Vertrauen aufzubauen. Dieser Kunath wusste vielleicht doch mehr, als es schien.

      »Na, die Boofer.« Er sah, dass der Kriminalkommissar mit diesem Begriff nichts anfangen konnte. »Leute, die im Wald übernachten. Das machen hier viele, dafür gibt’s die Boofen.«

      »Aha«, brummte Reisinger; er wollte zurück zum Thema.

      »Wie es genau vor sich gegangen ist, wissen wir noch nicht. Der Fall ist ungewöhnlich. Der Mann hatte nämlich auch noch eine gebrochene Rippe und blaue Flecken am ganzen Körper.«

      »Ich an Ihrer Stelle würde mal bei den Boofern nachfragen. Mit denen hat der nämlich Ärger gehabt. Das ist mir heute Morgen wieder eingefallen«, sagte Kunath.

      Reisinger schnellte aus dem Bürostuhl. »Sie kennen den Mann?«

      »Nu«, sagte der Straßenbahnfahrer. Leo Reisinger legte verzweifelt die Hand an die Stirn. Dieses »Nu« machte ihm echte Probleme. Die Sachsen benutzten es ständig, aber nie wusste er, wie es gemeint war. War es ein »Ja«, ein »Nein«, ein »Vielleicht«, oder bedeutete es gar nichts? Er versuchte ruhig zu bleiben.

      »Also was jetzt, ja oder nein?«

      Kunath machte es sich auf seinem Platz gemütlich. »Nu, kennen ist zu viel gesagt. Ich hab ihn ein oder zwei Mal in diesem Sommer gesehen. Und einmal hat der sich mit Boofern in der Wolle gehabt.«

      »Wissen Sie, wie er heißt?«

      »Nee!«

      »Wissen Sie, wo er wohnt?«

      »Nee!«

      »Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?« Reisinger wartete gespannt auf eine Antwort und starrte Kunath an.

      Der zog ein schiefes Gesicht. »Möglicherweise vor zwei Wochen, oder vielleicht drei. Ich weiß bloß, dass der Maik stinksauer auf den war und die sich am Parkplatz vom Nassen Grund angeschrien haben.«

      »Und wer ist der Maik?«

      »Ä Boofer.«

      »Und?«

      »Und nüscht!«

      »Jetzt lassen Sie sich doch nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen!« Reisinger war aufgestanden, hatte sich auf den Schreibtisch gestützt und schwebte bedrohlich nahe über Kunath.

      Dieser sah, dass der Kommissar jetzt wirklich sauer war, und zog den Kopf ein.

      »Wir ermitteln hier in einem wahrscheinlichen Mordfall, und Sie kippen mir wichtige Informationen in Minibröckchen vor die Füße. Können Sie nicht einfach erzählen, was Sie über den Toten und diesen Maik noch wissen?«

      Jetzt war Kunath sichtlich beleidigt. »Ich weiß nicht mehr. Ich weiß bloß, dass der Maik heißt, weil der Kevin ihn Maik nennt. Den Kevin kenne ich ooch nur als Kevin, weil die seit Jahren ungefähr jedes zweite Wochenende im Sommer zum Boofen in den Wald fahren. Die sind aus Dresden. Mehr weiß ich nicht.«

      Kunath sah auf seine Uhr. »Ich hab jetzt Feierabend. Wie lange soll das hier noch dauern?«

      »Bis wir fertig sind«, brummte Leo Reisinger.

      Sandra arbeitete inzwischen an der Ostrauer Mühle, beim Campingplatz, im Gasthof Forsthaus und im Gasthof Lichtenhainer Wasserfall mittels Frageliste und Fotos ab, ob jemand den Toten kannte oder am Mittwoch etwas Auffälliges passiert war. Überall stand sie im Weg, denn die Tische in und vor den Lokalen waren gut besucht, und die Bedienungen flitzten hin und her. Am Campingplatz war noch Ruhezeit, hier konnte man erst ab 16 Uhr wieder einchecken und einen offiziellen Vertreter antreffen. Der Platz lag leer und verlassen, die Kurzzeitbewohner waren offenbar unterwegs. Die Bedienungen in den Gasthäusern, die Sandra ansprach, starrten sie erst entgeistert an, dann schickten sie die Kommissarin weiter zu den Wirten. Nachdem sie zum zweiten Mal gemustert worden war wie ein Alien, war Sandra stinksauer. »Landpomeranzen!«, schimpfte sie, als sie am Forsthaus wieder in das Auto stieg. Zwischen all den Touristen in karierten Hemden und sportlichen Hosen fühlte Sandra sich zunehmend unwohl. Außerdem brannte die Sonne auf ihre schwarzen Kleider.

      Sie fuhr weiter bis zur Endhaltestelle der Straßenbahn am Lichtenhainer Wasserfall und fand erst mal keinen Parkplatz. Schließlich stellte sie den Wagen ins Parkverbot vor den Garagen des Gasthauses. Sandra klemmte den Polizeiausweis hinter die Windschutzscheibe und zückte ihre Dienstmarke. Kaum hatte sie das Auto verlassen und sich Richtung Eingang bewegt, als auch schon ein Kopf in einem der Erdgeschossfenster erschien und eine Männerstimme rief: »He, Sie da, da ist Parkverbot, da könn’ Se ni stehenbleiben!«

      »Nun regen Sie sich mal nicht auf, guter Mann«, beschwichtigte ihn Sandra. Sie hielt ihm ihre Dienstmarke vor die Nase. »Kripo Dresden. Wir ermitteln wegen eines Todesfalles. Ich befrage alle Anwohner entlang der Straßenbahnstrecke, ob sie diesen Mann hier kennen. Moment …« Die Kommissarin begann die Fotos aus ihrer Umhängetasche zu kramen.

      »Nee, also das gloob’ ich ni, dass Sie von der Kripo sind. Das ist ja wohl ein Witz. Fahren Sie Ihr Auto da weg, sonst hol’ ich die Polizei.« Der Mann auf der anderen Seite des Fensters trug einen weißen Kittel und hatte dunkle, lockige Haare.

      »Hier, bitte«, Sandra hielt ihm durch das geöffnete Fenster nochmals ihre Dienstmarke vor die Nase und den Ausweis dazu.

      »Solche Leute wie Sie nehmen die bei der Kripo?«, fragte der Mann ungläubig.

      Ärgerlich pustete Sandra eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. Mit diesen Landeiern war es wirklich schwierig.

      »Wer sind Sie?«

      »Na, der Wirt vom Gasthaus, Rudolf Kaiser mein Name.«

      »Herr Kaiser, jetzt sehen Sie sich bitte diese Fotos an. Kennen Sie den Mann?«

      Der Wirt warf einen kurzen Blick auf das oberste Foto.

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