Tod im Kirnitzschtal. Thea Lehmann
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Als der Leichenwagen mit dem Toten endlich vom Hof des Straßenbahndepots rollte, war Neusche erleichtert. »Gott sei Dank sind wir den endlich los«, sagte er zu Didi. »Was muss der Kerl ooch in der Straßenbahn den Löffel abgeben. Der hätte sich doch netterweise ooch off ’ne Bank im Stadtpark setzen können. Das gibt nur Scherereien, so was!« Didi nickte mitleidig. »Echt dumm geloofen, Chef.«
In Dresden kam der Tote in den Kühlraum und in die Warteschleife. Am späten Nachmittag dann hatte Gerichtsmediziner Dr. Heinrich Gräber die Leiche aus der Kinitzschtalbahn auf dem Tisch liegen. Sie war inzwischen entkleidet worden.
»Nanu, was haben wir denn da?«, wunderte sich Dr. Gräber, als er den Körper umrundete. Auf Höhe des siebenten rechten Rippenbogens prangte ein großer blau-violetter Fleck, ähnliche, aber kleinere Hämatome fanden sich am rechten Oberschenkel und an beiden Oberarmen. »Sieht aus, als wäre der die Treppe runtergefallen!«, kommentierte der Assistent den Zustand der Leiche.
»Na, dann wollen wir mal sehen, woran der Gute gestorben ist«, sagte Dr. Gräber und zog sich die Handschuhe über.
Zwei Stunden später war er fertig und ließ sich mit dem Morddezernat der Kripo verbinden.
»Hier ist Dr. Gräber von der Autopsie. Ich habe heute einen Toten reinbekommen, der eindeutig nicht eines natürlichen Todes gestorben ist. Da muss sich jemand von Ihnen drum kümmern.«
2
Am Donnerstagnachmittag hatte Leo Reisinger den Papierkram zu seinem letzten Fall erledigt, alles sorgfältig abgeheftet beziehungsweise an die zuständigen Stellen verteilt. Er würde die seltene Gelegenheit haben, seine aufgelaufenen Überstunden abzubauen, denn derzeit lag kein neuer Fall für ihn an. Die Aussicht auf eine ruhige Woche und das Rendezvous heute Abend ließ seine Stimmung hochschnellen. Als er seinen Schreibtisch abschloss, klingelte das Telefon. Auf dem Display konnte er die Nummer seines Chefs Reinhard Richter erkennen. Nichts Gutes ahnend, hob er den Telefonhörer ans Ohr und meldete sich.
»Reisinger!«, bellte Richter. »Ich habe Doktor Gräber in der Leitung. Kümmern Sie sich um diesen Fall!«
»Guten Tag, Herr Doktor Gräber«, sagte Leo Reisinger nach dem Verbindungsklicken und ließ sich ergeben auf seinen Bürostuhl sinken. Er kramte seinen Schreibblock wieder aus der Schublade und begann sich Notizen zu machen.
»Todesursache?«, fragte er.
»Das ist nicht ganz einfach, eigentlich haben wir hier zwei Ursachen, wenn nicht zweieinhalb. Sie müssen sich das morgen ansehen. Ab acht Uhr bin ich im Labor.«
»Gut, dann bis morgen früh, Doktor Gräber.« Er schaute sich seine Notizen an und ließ gedankenverloren seinen weiß-blau gerauteten Lieblingskugelschreiber auf dem Blatt rotieren. Dann stand er auf und studierte an der Wand im Flur den morgigen Dienstplan. »Mist, schon wieder Sandra«, seufzte er.
Er ging durch den schmucklosen Gang des Polizeigebäudes drei Büros weiter und klopfte an die angelehnte Tür. Bei Sandra Kruse wusste man nie, ob man einfach reinschneien konnte, selbst wenn die Tür sperrangelweit offen stand. Die Kriminalkommissarin starrte angestrengt auf ihren Computerbildschirm. Reisinger lehnte sich an den Türstock.
»Sandra, ich habe einen neuen Fall. Du bist die Einzige, die mich morgen begleiten kann. Erst um acht in die Autopsie zu Dr. Gräber, dann raus hinter Pirna irgendwo in den Wald, wo ein Toter gefunden wurde. Gräber sagt, die Todesumstände sind merkwürdig. Vielleicht war es Mord.«
Sandra sah kurz auf und nickte. »Gut! Ist doch ganz nett, bei der Hitze nicht im Büro sitzen zu müssen.«
»Hast du keine Angst, dass du davon eine gesunde Gesichtsfarbe bekommen könntest?«
»Blödmann!«, fauchte sie. »Das nennt man vornehme Blässe!«
Sandra hatte seit einem Monat einen neuen Freund und war jetzt in ihrer Zombiephase. Ihre pechschwarz gefärbten Haare und die schwarzen Balken um die Augen ließen ihr Gesicht gespenstisch blass erscheinen. Ihre Kleidung war seit vier Wochen ebenfalls schwarz. Heute unterbrach immerhin ein Nietengürtel das triste Ensemble.
»Du siehst gruselig aus!«, stellte Leo Reisinger fest.
»Und du spießig!«, gab sie zurück.
Leo Reisinger sah an sich herunter. Er trug eine leichte helle Sommerhose und ein weißes Polohemd. Was war daran bitte spießig?
Als hätte Sandra seine Gedanken erraten, sagte sie: »Diese Sandalen sind ein Albtraum!«
Na gut, Leo war sich bewusst, dass seine Wandersandalen modisch nicht der letzte Schrei waren, aber wieso sollte er bei dreißig Grad im Schatten mit Halbschuhen im Büro sitzen? »Die sind aber luftig und bequem.«
»Das ist garantiert gegen die Vorschrift, hier mit offenen Schuhen rumzulaufen«, meinte Sandra Kruse.
Leo verdrehte die Augen. »Du bist sicher die Letzte, die sich hier über einen Verstoß gegen die offizielle Kleiderordnung aufregen sollte.« Ärgerlich wandte er sich um. »Morgen um acht bei Dr. Gräber!«, rief er noch in die offene Tür.
Seit einem halben Jahr arbeitete Leo Reisinger als Kriminalkommissar bei der Kripo Dresden. Er hatte dringend weggewollt aus München, und im Rahmen einer länderübergreifenden Kooperation der Polizei hatte sich erstaunlich schnell die Möglichkeit ergeben, für zwei Jahre nach Dresden zu gehen. Mit den Sachsen kam er an sich gut aus. Aber mit Sandra Kruse hatte er eigentlich ständig Ärger. Uwe Kröger und Sascha Pröve waren die Kollegen, mit denen er am liebsten zusammenarbeitete, doch die waren noch mit dem Mord an dem Rentner in Blasewitz beschäftigt.
Sicher, Sandra hatte auch ihre guten Seiten. Wenn sie einen Verdacht hatte, dann war der zu 90 Prozent berechtigt, auch wenn sie noch keine Beweise präsentieren konnte. Wenn man sie in Ruhe recherchieren ließ, brachte sie am Schreibtisch mithilfe des Computers die erstaunlichsten Dinge ans Licht. Ihre Spürnase war wirklich gut. Ihre forsche Art allerdings schreckte die meisten Menschen erst mal ab. Bevor sie ihren Freund gewechselt hatte, ging es noch, aber seit sie sich anzog wie ein Gothic-Punk, war sie eine echte Belastung für seine Abteilung. Für die Arbeit vor Ort war Sandra denkbar ungeeignet, außer es ging ins Punkermilieu, da fiel sie derzeit nicht auf.
Leo guckte auf die Uhr, zehn nach fünf. Auch sein Zeitmesser hatte ein weiß-blaues Rautenmuster. Ein paar Andenken an die bayerische Heimat hatte er sich nicht verkneifen können. Zu Hause würde er dieses kitschige Zeug nie benutzen, aber hier, im fernen Ausland, zeigte er Flagge. An der Wand hing ein Poster vom Oktoberfest, und die einzige Grünpflanze in seinem Büro, eine Aloe Vera, fristete ihr Dasein in einem bayerischen Steingut-Bierkrug.
Er verließ endgültig sein Büro, meldete sich im Sekretariat und bei seinen Kollegen ab und schlenderte anschließend Richtung Albertbrücke, hinüber über die Elbe und hinein in die Dresdner Neustadt.
Leo Reisingers Wohnung lag mittendrin in der Dresdner Neustadt, in einem Hinterhof der Alaunstraße. Hier gab es jede Menge Kneipen, Restaurants, kleine Werkstätten und Ateliers. Er liebte dieses Viertel, das zu jeder Tageszeit lebendig war. Sein Magenknurren erinnerte ihn daran, dass in seinem Kühlschrank düstere Leere herrschte, und er beschloss, im Supermarkt nebenan einkaufen zu gehen. Inzwischen hatte er sich daran gewöhnt, dass das Einkaufen hier in Sachsen durchschnittlich doppelt so lange dauerte wie zu Hause in Mammendorf. Wo den Bayern ein schlichtes »Ja« oder »Nein« zur Kommunikation ausreichte, entquoll den Sachsen in der Regel ein Wortschwall,