Tod im Kirnitzschtal. Thea Lehmann

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Tod im Kirnitzschtal - Thea Lehmann

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dem Depotgebäude. »Ah, da kommt die Adele. Die Fahrerin von gestern Abend«, ließ sich Gustav Neusche vernehmen.

      Adele Schuster eilte schon herbei und hatte vor Aufregung rote Flecken im Gesicht. »Was ist denn passiert?«, rief sie.

      »Immer schön der Reihe nach, junge Frau«, wies sie der Polizeihauptwachtmeister zurecht. »Sind Sie Adele Schuster?«

      Adele nickte: »Nu.«

      »Sind Sie gestern mit der letzten Bahn zum Stadtpark gefahren, und haben Sie die Bahn da ordnungsgemäß verschlossen und abgestellt?« Adele blickte ihren Chef fragend an. Der zuckte nur mit den Schultern.

      »Nu, ich hab wie immer abgeschlossen und bin heeme.«

      »Haben Sie die Waggons noch einmal durchsucht, bevor Sie gegangen sind?«, stellte der Ordnungshüter die entscheidende Frage.

      Adele zuckte kurz zusammen. »Also, ehrlich gesagt, durchsucht hab ich sie nicht. Ich hab gewartet, bis alle ausgestiegen waren, hab hinten noch ’nen Blick reingeworfen, aber da war keiner; und dann hab ich alles abgeschlossen, wie immer. Wieso wollen Sie das alles wissen?« Sie sah wieder hilfesuchend ihren Chef an, doch der verzog keine Miene.

      Wolfram Biesold fragte noch einmal nach: »Also sind Sie nicht durch den zweiten Waggon gegangen und haben nachgesehen, ob alles in Ordnung ist?«

      Adele Schuster war sichtlich verlegen. »Nee, ich hab nur von vorne kurz reingeguckt, weil ja keiner drin war!«

      »War aber doch einer drin!«, klärte Karl Kunath seine Kollegin endlich auf.

      »Was?!«, rief die blonde Mittvierzigerin erschrocken und riss die Augen auf. »Acht Leute sind am Wasserfall eingestiegen, zwei sind am Beuthenfall raus und zwei am Forsthaus, und danach war hinten keiner mehr. Hätt’ ich doch gesehen, wenn da noch einer gesessen hätte!«

      Der Polizeihauptwachtmeister nahm sie am Arm und führte sie zum abgestellten Wagen.

      »Ihr Kollege hier«, damit deutete er auf Karl Kunath, »hat heute Morgen den hier gefunden.« Sie waren eingestiegen und standen nun vor dem Toten. Adele stieß einen spitzen Schrei aus, als ihr klar wurde, dass der tatsächlich mausetot war. »Oh, mein Gott, is der in der Straßenbahn gestorben? Is das jetze meine Schuld? Aber der war gestern Abend noch gar nicht da. Ich hab doch gesehen, dass der hintere Waggon leer war!«

      Polizeimeister Strohbach war ihnen gefolgt und kratzte sich am Kopf. »Dann gibt’s zwei Möglichkeiten. Entweder der ist erst später in die Bahn eingebrochen, als sie schon abgestellt war, oder der lag schon so versteckt unter den Bänken, als Sie gestern Abend reingeguckt haben.«

      Alle standen nun ratlos im Waggon und schauten auf den Toten. Biesold bewegte ihn vorsichtig zur Seite, um sein Gesicht nach oben zu drehen. Der Tote war um die 60 Jahre alt, hatte schütteres dunkelblondes, angegrautes Haar, trug eine helle Wanderhose, ein blau-grau kariertes Hemd und eine beige Windjacke. Das einzig Farbenfrohe an ihm waren die leuchtend blauen Wanderschuhe, aber auch die hatten graue Streifen. Das Gesicht des Toten sah entspannt aus, er lächelte nicht, aber er zeigte auch keine Fratze. Der Beamte ging leicht ächzend in die Knie, durchsuchte die Taschen des Toten, fand aber nur ein benutztes Papiertaschentuch. »Kein Rucksack, keine Brieftasche, einfach nichts. Sehr ungewöhnlich.«

      Ein feiner Schweißgeruch stieg auf. Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel und brannte durch die Scheiben der Bahn.

      »Vielleicht sollten wir den irgendwie kühl stellen, bis die mit ’m Wagen von Dresden kommen, sonst vergammelt der gleich bei der Hitze«, meinte Karl Kunath trocken.

      »So ’n großen Kühlschrank ham wir nicht!«, wandte Gustav Neusche ein. »Aber wir könn’ ihn wenigstens im Schatten, in der Halle, parken.« Die Beamten waren einverstanden, sie waren auch froh, aus der prallen Sonne zu kommen. Neusche und Kunath fuhren einen Wagen aus der Halle, rangierten um und bugsierten den Waggon mit der Leiche in die Halle des Depots. Dort war es deutlich kühler.

      Die Polizisten sahen sich die Türen genauer an.

      »Wenn der Wagen gestern Abend leer war, wie Sie sagen, Frau Schuster«, wollte Polizist Ricki von Adele wissen, »wie kommt man dann von draußen rein, wenn die Türen verschlossen sind, ohne was kaputt zu machen?«

      Karl Kunath griff unter den Einstieg des Wagens und holte einen gebogenen Sechskantschlüssel heraus. Dann steckte er ihn in die kleine, runde Öffnung neben dem Einstieg. Die Tür öffnete und schloss sich, je nachdem, in welche Richtung er den Schlüssel drehte. »Na, super, seine Fingerabdrücke sind da jetzt in jedem Falle drauf«, sagte Wolfram Biesold.

      »Da kann ja jeder rein und raus, wie er gerade lustig ist!«, empörte sich sein junger Kollege.

      »Die Leute wissen das aber nicht!«, grummelte Neusche.

      Der Polizeihauptwachtmeister ließ den Schlüssel vorsichtig in eine Plastiktüte gleiten.

      »Damit hab ich heute Morgen ooch schon den Waggon aufgemacht«, sagte Kunath betroffen und schaute seine Hände an.

      »Sträflich leichtsinnig ist das! Jeder, der das einmal gesehen hat, könnte nachts eine Spritztour machen oder die Straßenbahn sogar klauen!«, ereiferte sich Polizist Ricki.

      Neusche, Kunath und Adele Schuster schauten ihn entgeistert an: »Eine Straßenbahn klauen?«

      Ricki Strohbach machte einen Rückzieher. »Na ja, vielleicht doch nicht klauen. Aber Tatsache ist, dass es total leicht ist, da reinzukommen. Wahrscheinlich hat er’s einfach beobachtet und die Straßenbahn nachts geöffnet.«

      »Und wie macht man die Tür von innen zu?«, fragte der Dienstältere und hob warnend die Hand. »Zeigen Sie mir das, ohne was anzufassen!«

      »Einfach hier den Knopf drücken«, Gustav Neusche deutete auf den kleinen Riegel neben der Tür. »Das geht immer, ooch wenn die Bahn nicht am Strom hängt.«

      »Davon brauchen wir Fingerabdrücke«, murmelte Biesold und machte sich Notizen.

      Der ältere Beamte wandte sich wieder an Adele Schuster: »Wenn Sie sagen, die Bahn war gestern Abend leer, dann ist der wahrscheinlich irgendwann in der Nacht hier eingestiegen, hat’s sich gemütlich gemacht und ist dann dummerweise gestorben. Sehr merkwürdig.«

      »Aber wie ein Penner, der ein Dach überm Kopf braucht, sieht der ooch ni aus«, wandte Neusche ein. »Wieso sollte einer in ’ne abgestellte Straßenbahn steigen und da einen Herzinfarkt kriegen? Ergibt doch gar keinen Sinn!«

      »Wieso Herzinfarkt?«, fragte der hellhörige Ricki.

      »Das hat die Ärztin gesagt, die den Dodenschein ausgestellt hat«, erklärte Neusche. Er reichte dem Polizisten das Papier. Der steckte es in seinen Schreibblock.

      »Wir müssen überprüfen, ob jemand vermisst wird, das ist jetzt erst mal unser Job: rauskriegen, wer das überhaupt ist«, fasste Polizeihauptwachtmeister Biesold zusammen.

      Als alle Personalien und Aussagen erfasst waren, machten sich die beiden Beamten wieder auf den Weg nach Pirna, und Gustav Neusche blieb es überlassen, den Toten die nächste halbe Stunde zu bewachen. Wobei, Fluchtgefahr bestand ja nicht. Er verriegelte den Wagen und zog sich in sein Büro zurück.

      Kunath hatte seine Personalien und Fingerabdrücke geduldig aufnehmen lassen und war wieder auf seine Straßenbahnrunde

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