Tod im Kirnitzschtal. Thea Lehmann
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»Ich hätte eigentlich gerne bayerische Kartoffelknödel. Können Sie mir sagen, welche von denen hier jetzt besser sind?«, fragte er die Kassiererin. Die, eine mollige Mittvierzigerin mit einer Frisur wie ein aufgeplatztes Sofakissen, hörte sofort auf zu tippen und sah sich die beiden Packungen genau an. Dann wandte sie sich lautstark an ihre Kollegin an der zweiten Kasse: »Du, Hilde, weißt du, welche von den Klößen hier besser sind? Die Grünen oder die Thüringer? Der Herr da will eigentlich bayerische, aber die ham wir ni.«
Die Kollegin hörte sofort auf zu kassieren und nahm sich des Problems ernsthaft an. »Also die da«, sie deutete auf die Thüringer Packung, »die kenn ich, die sind gut. Mei Alder hat letzten Sonntag gleich drei Stück davon verdrückt. Die könn’ Se nehmen. Aber ob die wie die bayerischen schmecken …«
Leo Reisinger war das zu diesem Zeitpunkt schon viel zu viel Getue um seine Knödel, er hätte am liebsten sofort alles eingepackt, gezahlt und sich aus dem Staub gemacht. Da hatte er aber nicht mit der Gründlichkeit einer sächsischen Hausfrau gerechnet. Seine Kassiererin hatte inzwischen den Text auf der Rückseite der Thüringer Klöße studiert und stellte fest, »Die sind halb und halb«, sie hielt das andere Paket hoch, »und die da sind rohe Klöße, oder?« Die Frage ging an die drei Kunden, die hinter Reisinger in der Schlange standen. Sofort entwickelte sich ein angeregtes Gespräch darüber, ob die Grünen nur aus rohen oder eventuell auch mit einem Teil gekochter Kartoffeln gemacht würden.
Die Schlange an der zweiten Kasse mischte sich schnell ein. »Es kommt darauf an, wozu Sie die essen wollen, junger Mann«, klärte ihn eine ältere Dame in feinstem Hochdeutsch auf. »Wenn Sie eine Gans dazu machen, würde ich Ihnen zu den grünen Klößen raten, bei einem Kalbsbraten eher zu den Thüringern.«
»Nee, nee, das ist reine Geschmackssache«, sagte ein junger Mann mit ziemlich fantasievollem Outfit, wahrscheinlich ein Künstler oder ein Student oder beides. Leo Reisinger stand dazwischen mit rotem Kopf und peinlich berührt und war nur froh, dass es hier um Klöße und nicht um Klopapier, Deo oder Kondome ging.
»Also, ich denk’, die Thüringer sind die rischtschen für Sie«, sagte seine Kassiererin nach einer Weile des Studierens. Leo nickte ergeben und schob ihr den Rest seiner Lebensmittel entgegen, damit sie endlich weitermachte. Eine andere Frau in der Warteschlange riet ihm, eine rohe Kartoffel in den Kloßteig zu reiben, dann würden sie wirklich wie selbst gemacht schmecken. Die Diskussion entbrannte erneut. Die Schlange hinter ihm war inzwischen beachtlich angewachsen, aber niemand schien sich darum zu kehren, dass die Kassiererinnen immer noch beratschlagten, welche Klöße er kaufen sollte.
»Aber wenn Sie bayerische Knödel wollen, könn’ Se die bestimmt im ›Kaufland‹ kriegen, die ham da mehr Auswahl als wir«, sagte seine dann zögernd. Reisinger war am Verzweifeln. »Nein, bitte, ich nehme die hier.« Er schob die Packung mit den Thüringer Klößen noch ein bisschen näher zu ihr hin.
»Aber wenn Sie die Packung offmachen, kann ich sie nicht mehr umtauschen!«, warnte sie ihn, bevor sie die Packung endlich über den Scanner zog. Reisinger nickt erleichtert und beeilte sich, seine Einkäufe einzupacken.
»Na dann, gutes Gelingen!«, rief es hinter ihm her, als er endlich aus dem Laden konnte. »… und geröstete Weißbrotwürfel müssen unbedingt rein in die Klöße!«, ermahnte ihn die ältere Dame, bevor er endlich zur Türe hinaus war.
An diese Art von Gesprächen hatte er sich langsam gewöhnt, und es jagte ihm keine peinlichen Schauer mehr über den Rücken, wenn sich plötzlich wildfremde Menschen in Gespräche einmischten. So waren sie halt, die Sachsen, leutselig und immer zu einem Gespräch bereit.
Heute schaffte er seinen Einkauf ohne große Diskussionen.
Er machte sich ein leichtes Abendessen, duschte, zog sich um und prüfte noch einmal auf seinem Smartphone, ob es Anrufe gegeben hatte. Kurz vor acht Uhr machte er sich, fröhlich vor sich hin summend, auf den Weg in die von Mandy ausgewählte Kneipe.
Sandras Stiefel hatten Löcher; gleichmäßige viereckige Löcher. Leo nahm das neue Schuhwerk seiner Kollegin schweigend zur Kenntnis. Natürlich waren sie schwarz wie der Rest von Sandras Kleidung. Er selbst hatte leichte Leinenschuhe gewählt, denn es würde wieder heiß werden an diesem Augustfreitag. Gerichtsmediziner Dr. Gräber kam und bat sie in sein Büro. Er war ein hagerer, großer Mann mit einer spitzen Nase, kleinen, flinken Augen und einer deutlichen Stirnglatze. Leo Reisinger begrüßte ihn wie einen alten Bekannten, schließlich hatte er schon öfter mit Dr. Gräber zusammengearbeitet. Auch Sandra Kruse kannte Gräber von früheren Fällen, aber die lagen alle vor ihrer Zombie-Phase.
»Guten Morgen, Herr Doktor«, sagte Sandra freundlich. Dr. Gräber sah sie fragend an. »Sind Sie neu bei der Kripo?«
»Nein, Herr Doktor«, sie lächelte ihn an.
Dr. Gräber breitete einige Fotos und eine Akte vor ihnen aus. »Der Fall ist insofern interessant, als der Mann bisher noch nicht identifiziert ist und eine merkwürdige Kette von Ursachen zu seinem Tod geführt hat, bei der ich den Zufall ausschließen würde.« Sandra zückte Stift und Schreibblock.
»Der Tote hat starke Prellungen hier am rechten Brustkorb und an den Oberarmen. Die Obduktion hat ergeben, dass er sich eine Rippe gebrochen hat, die sich unglücklich in das Lungengewebe gebohrt hat. Ohne Behandlung kann so eine innere Verletzung durchaus zum Tode führen, aber daran ist der Mann nicht gestorben.«
Reisinger sah ihn interessiert an. »Woran ist er dann gestorben?«
»Meine Untersuchung hat ergeben, dass er Ibuprofen und eine ziemlich große Dosis Benzodiazepine im Blut hat, die auch zu einer allergischen Hautreaktion geführt hat.«
Sandra sah ihn fragend an. Leo Reisinger erklärte: »Eine große Dosis Valium, gegen das der Tote aber gleichzeitig allergisch war.«
Dr. Gräber nickte.
»Ist das eine häufige Allergie?«, fragte Reisinger. Er fühlte sich selbst ein wenig, als wenn er Valium genommen hätte, aber nach nur drei Stunden Schlaf war das wohl normal.
»Nein, äußerst selten.«
»Was ist denn das für ein Unsinn«, schimpfte Sandra. »Wer nimmt denn so was ein, wenn er dagegen allergisch ist?«
Dr. Gräber schaute sie interessiert an. »Vielleicht wusste er nicht, dass er dagegen allergisch ist. Das Interessante ist, dass er auch daran nicht gestorben ist, obwohl er es möglicherweise hätte können. Wir wissen nicht, wie heftig sich die allergische Reaktion entwickelt hätte, denn zuvor erlitt er eine Suffocatio, er ist erstickt!«
Reisinger war plötzlich hellwach. Das klang ja interessant. »Definitiv, Herr Doktor? Er ist erstickt? Wie sieht es mit Fremdeinwirkung aus?«
»Kann ich nicht feststellen: kein Fremdkörper in der Luftröhre, kein Kohlenmonoxyd, kein Schwefelwasserstoff, keine Blausäure im Blut. Die Atemwege waren weder verschleimt noch versperrt, etwa durch die Zunge oder Fremdkörper. Das ist wirklich ungewöhnlich, habe ich Ihnen ja schon