100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2. Erhard Heckmann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу 100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2 - Erhard Heckmann страница 25

100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2 - Erhard Heckmann

Скачать книгу

In Kanada heißt das aber auch, dass die Mücken erst jetzt ausschwärmen, statt ihre Saison schon beendet zu haben. Diese Biester sind auch lästig, aber das mitgebrachte Spray mögen sie gar nicht und drehen kurz vor dem Aufsetzen wieder ab. Am Bach muss man aber ziemlich schnell sein, um die Stinkschicht auf „Haut und Zwirn“ wieder anzubringen, denn sonst sind die an sich lahmen Quälgeister, die man locker mit der Hand im Flug wegfangen kann, sehr schnell bei ihrer ungeliebten Arbeit. Die Natur hatte mit uns aber schnell ein Einsehen, schickte nachts nochmals Neuschnee auf die Bergkämme, und der leichte Nachtfrost reichte aus, um diese Plagegeister ins Jenseits zu schicken, während am ersten Abend der Rauch des Feuers half, sie uns vom Halse zu halten.

      Und es war auch an diesem späten Nachmittag, dass sich David mit seinem Kaffeepot und einem „halben Stumpen“ zu mir auf den Baumstamm setzte und meinte: „Wir kennen uns nun schon länger, ich weiß wie ihr reitet, und ihr habt auf diesem Trip beide zwei sehr gute Pferde. Ab morgen könnt ihr jeden Tag mit Patrick eure eigene Tagestour reiten und kehrt nur abends ins Lager zurück, während die übrigen Gäste mit mir und Paul in leichteres Gelände gehen“. Als er meine Freude bemerkt fügt er nickend an: “Patrick kennt in den Rainbows jeden Winkel, ist ein ganz ausgezeichneter Horse- und Mountain-Man, und geht, trotz aller Verwegenheit, niemals ein Risiko ein. Ihr könnt Euch auf ihn und die beiden Pferde voll verlassen, denn sonst würde ich das nicht erlauben. Nur am vorletzten Tag, da gehen wir drei zusammen. Ich möchte zwei uralte Jagd-Camps von meinem Großvater suchen und Euch mitnehmen.“ Und nach einer kurzen Pause meinte David noch, dass das alles richtig gute Ritte würden, wie früher, als jeder noch sein eigenes Tal und die Wege dorthin suchte.

      Und genau so war das dann auch. Mit Patrick waren wir jeweils zehn bis zwölf Stunden unterwegs, und fast immer am Limit. Zum zweiten Lager ritten wir drei wieder „unsere“ Spezialroute über die Berge und setzen dort unsere täglichen Ritte durch schweres Gelände fort. Der sehr lange Tag mit David fügte sich nahtlos an jene Superritte an, denn auch auf der erfolgreichen Suche nach den alten Jagdcamps, die David in neue Touren einfügen möchte, hatte man das Gefühlt, als wäre man im „Wilden Westen“ auf der Suche nach einer neuen Heimat. Und selbst der letzte Tag war ein weiteres Highlight, denn gemeinsam mit den Packpferden nahmen wir eine Abkürzung, die an Schwierigkeiten kaum etwas ausklammerte, weder Schnee noch die Überquerung von drei Bergzügen, um den Trailhead auf kürzestem Wege zu erreichen, während der restliche Tross mit mehr Kilometer in leichterem Terrain nach Hause ritt.

      Und die Tage mit Patrick in den Rainbow Mountains? Zunächst, es ist ein riesiges Gebiet im Norden des Tweedsmuir Provincial Parks, den der Dean River im Nordwesten, die Coast Mountains mit Eisfeldern und Gletschern im Süden, und im Westen das Bella Coola Valley mit Regenwald und gigantischen Roten Zedern begrenzen, während im Osten das Interior Plateau, Cattle und Cowboys das Bild bestimmen. Und Patrick – schlank, mager, zäh, unrasiert, Sechzig-Kilo-Typ, Mitte Vierzig, kompetent, furchtlos, einer der zupacken kann, ein Naturmensch und echter Pferdemann – hat uns alles gezeigt, was man in dieser grandiosen, einsamen Natur überhaupt zu Gesicht bekommen kann. Bis hoch an die Gipfelspitzen sind wir geritten, bis dorthin, wo die letzten Meter wirklich nicht mehr machbar waren, auch nicht zu Fuß, und nur selten noch auf allen Vieren. Dort oben, wo Wälder, Täler, Seen und Flüsse etwa zweitausend Meter unter uns lagen und der Blick auf Augenhöhe über die bunten Berge bis hinüber zu den Küstengebirgen schweifte, wo sich der Mount Weddingten mit seinen 4.019 Metern in die Höhe reckt begriffen wir, was wir diesen Pferden zu verdanken hatten. Es war eine traumhafte Welt, fast aus der Vogelperspektive und mit 360 Grad Rundblick. Und das alles mit einer ganzen Woche Sonnenschein, der nur ein einziges Mal für zwei Stunden hinter fetten Regenwolken verschwand. Und von hier oben sahen die unendlichen Täler wunderbar eben aus, doch in Wirklichkeit waren ihre Talböden alles andere als leichtes Gelände. Sumpf, Gräben, breite und tiefe Bäche, Flüsse, Felsbrocken, Weidenbüsche, Baumgruppen, Tümpel, dichte Waldstreifen und Hügel entpuppten sich erst als solche, wenn man sie durchqueren musste. Und was immer auch kam, Patricks brauner Wallach marschierte flotten Schrittes überall durch, und unsere beiden Stuten folgten ebenso furchtlos und sicher. Selbst Georgia, die sich anfangs doch ziemlich bitten ließ, stand jetzt unter „Volldampf“. Nur ihre äußerste Vorsicht, die gab sie nie auf. Was diese drei Pferde an den Berghängen geleistet haben, hätte ich vorher nie für möglich gehalten. Hoch und runter, im Zickzack, traversal oder direkt, sie meisterten ganze Hänge mit Steinschotter, großen und kleinen Felsbrocken, gingen über Steinmoränen und durch Schneefelder, steil hinab oder hinauf durch losen, schieferartigen rutschigen Bruch, oder auf schmalen Rändern entlang tiefer Schluchten, sprangen über Gräben oder tiefe Bäche, meisterten glitschiges Gelände und alles, was sich in den Weg stellte. Kein Stolpern, kein Fehltritt, kein Zögern und niemals hektisch oder scheu. Unglaublich! Und selbst dort, wo ein mulmiges Gefühl entstand oder sich der Blick fragend auf Patrick richtete, wie es denn jetzt weitergeht, wie und wo hinunter oder hinauf, oder über den nächsten Pass, der aus meiner Sicht doch völlig verschneit war, Patrick hatte die Möglichkeiten längst erkannt und hielt auch nicht an. Vielleicht hier und dort ein kurzes Zurück oder ein kleiner Umweg, mehr aber nicht. Nur bergwärts, wenn es richtig steil wurde, ließen wir unsere Partner mehrfach verschnaufen und gewährten ihnen in Bächen die Zeit, wenn sie trinken wollten. Wirklich angehalten haben wir, jenseits der Mittagspause, nur ein einziges Mal. Der Grund war ein großer Grizzly, der uns in einem Tal auf Sichtweite begleitete. Patrick wollte ihn beobachten, damit er nicht unverhofft einen großen Bogen schlägt und plötzlich hinter uns ist, denn die Grizzly Bären in diesen Bergregionen haben nicht den Überfluss, den die großen Lachsflüsse bescheren, müssen mit wesentlich weniger auskommen und sind daher auch aggressive. Erstaunlich auch, wie schnell dieser Petz über mehrere Kilometer war. Obwohl wir flotten Schrittes unterwegs waren, kam er linkerhand am Talrand von hinten, zog ganz locker und flott an uns vorbei und bog dann weit vor uns nach rechts in ein Seitental ab. Und deswegen hielten wir an und stiegen ab, denn in dieser Gegend im Spätsommer einen Grizzly im Rücken zu haben, wo die fischreichen Gewässer fehlen und er jagen muss, ist gefährlich. Er blieb jedoch seiner Richtung treu und galoppierte weiter durch das Seitental und von uns weg. Diese „verwegenen“ Touren mit Patrick waren einmalig schön, aber nach zehn bis zwölf Stunden im Sattel freuten wir uns auch auf den heißen Kaffee nach der Rückkehr am Lagerfeuer, und auch unsere Pferde hatten den Gang zur Wiese mehr als verdient.

      Der Ritt mit David am vorletzten Tag war ein ganz anderer. Wir waren zwar wieder sehr lange unterwegs, aber größtenteils in Tälern und urwüchsigem Wald. Wir mussten auch mehrfach umkehren und einen neuen Durchschlupf suchen, weil eine steile Bergwand, ein tiefer Fluss-Canyon den Weg versperrte, oder wir ganz einfach auf der falschen Fährte waren. Am Ende haben wir beide Jagd-Camps gefunden, mit allerlei alten, verrosteten Utensilien und morschen Hölzern unter gewaltigen Bäumen. David, der seine Gefühle kaum zeigt, ließ hier aber erkennen, dass es ihm schon sehr nahe ging, wenn er den einen oder anderen alten Gegenstand aufhob und betrachtete. Als kleiner Junge war er mit seinem Großvater mehrfach hier gewesen, vor etwa fünfzig Jahren, und danach nie wieder. Wir saßen ab, stöberten ein wenig in den alten Dingen und lauschten den Geschichten, die David von damals erzählte. Auf dem Rückweg markiert er jeweils dort einen Baum, wo der Weg in eine andere Richtung wechselte, oder sein Abzweig schwer zu finden war. Heimwärts reiten wir einen Umweg, denn David möchte uns noch ein anderes Tal zeigen, statt auf gleichen Pfaden wieder zurückzukehren. Auch diese „Extrawurst“ war uns recht, wie all die vorherigen auch, inklusive derer, die vom Grill kamen. Und das, was Joyce am letzten Abend anbot, war auch schon fast fertig, als wir nach knappen zehn Stunden wieder eintrafen: Würste, Stakes, verschiedene Salate, gebackene Kartoffel und dicke Pfannkuchen. Süße mit Creme, Honig oder Kirschen (oder allem), und herzhafte mit Speck und Zwiebel.

      Der letzte Abend ist auch immer einer, an dem ein paar Worte des Dankes fällig werden und die Mannschaft einen Obolus erhält. Für Joyse hatten wir als persönliches Geschenk eine Allgäuer Kuhglocke im Gepäck, wodurch künftig das Rufen nach David entfällt, wenn das Essen auf dem Tisch steht. Was dann noch bleibt, sind Lagerfeuer-Romantik, der eine oder andere Drink, ein Dank an die Pferde und reiterliche Zukunftsträume, wer denn wann und wo wieder in den Sattel steigt. Und unser persönliches Resümee? Es war eine grandiose Woche bei allerbestem Wetter, und mit unseren Pferden und Patrick hatten wir dafür die

Скачать книгу