100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2. Erhard Heckmann

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100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2 - Erhard Heckmann

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Wenn und Aber, und ohne Ausnahme. Auch unter dem Gesichtspunkt, dass wir heute das Wetter aller vier Jahreszeiten kennengelernt haben und wissen, dass das jederzeit wieder so sein könnte. Wirklich gestört hat es uns aber nicht, und es war auch unter diesen Bedingungen eine runde Sache und ein toller Tag, so wie der gesamte Ritt.

      Die Schwarzen Berge, das Mackenzie-Tal und der Grease Trail, auf dem einst die Küstenindianer mit Fischöl ins Innere des Landes zogen, um ihre Ware gegen Felle einzutauschen, waren Stationen, der Tanya Lake unser Ziel. Dazwischen lagen alpine Wiesen, Sümpfe, Bäche, Flüsse, Wasserfälle, Geröll- und Steinfelder, tiefste Wälder, Schluchten, steilste Hänge, Moränen, glatter Fels, dichtes Unterholz, Hochebenen mit Weidenbüschen, die Ross und Reiter verdeckten oder die Rainbow Mountains, eine Droge, die die Augen beruhigte. Unser Weg war voller Stille, Schönheit, Weite und menschenleer. Unsere Pferde, die keinen Stall kennen, waren großartig. Auf der Hinterhand rutschten sie mit absoluter Sicherheit in tiefe Gräben, oder übersprangen sie, wenn ihnen das ratsamer erschien. An Hängen mit Wurzeln, Steinen, Baumstämmen waren sie in der Lage, ihre Richtung mit dem nächsten Schritt um 180 Grad zu ändern, und dennoch sicher aufzufußen. Wurde es abwärts glitschig, kannten sie die Festigkeit des Gebüschs und wichen nach dort aus. Stets aber vorsichtig, und nur in der Not mit einem ordentlichen Satz. Und hatten sie am Wasser Flussbettzustand und Tiefe erkannt, ging es mit aller Ruhe zielstrebig weiter. Diese Pferde, Quaterhorses oder Kreuzungen mit ihnen, waren in keiner Situation hektisch oder unsicher, und eigentlich suchten sie sich ihren Weg ganz allein. Ihre Tritt- und Geländesicherheit, ihre Ruhe waren verblüffend. „Reiten können“ muss man nicht unbedingt, um sich mit ihnen die Natur zu erschließen. Es reicht, mit Pferden vertraut zu sein, oder ihnen das Vertrauen ganz einfach nur zu schenken. Normal gute Fitness, keine Angst und sich den rustikalen Gegebenheiten anpassen zu können, sind für ein solches Abenteuer jedoch unerlässlich. Morgen- und Abendtoilette am Bach und im Busch gehörten ebenso zum Erlebnis, wie die Nachbarschaft zu Bären und Elchen und die Abende am Lagerfeuer, wenn nach getaner Arbeit so manche Geschichte die Runde machte. Von David erfuhren wir sehr viel über seine Vorfahren und Ansichten zur Natur und ihren Geschöpfen. Und wir stellten fest, dass nicht nur ein Europäer von diesem großartigen Charakter noch sehr viel lernen kann.

      An diesem Abend wird das „Smoke House“ – neun Jahre später fast zugewachsen – zum Mittelpunkt unseres Camps. „Haus“ ist übertrieben, denn das mit Rindenschindeln abgedichtete Baumstammdach ruht lediglich auf acht Pfählen, vielmehr gibt es nicht. Die Tanya Lakes jedoch, auch bekannt als Long Lakes, waren etwa viertausend Jahre lang für die Ulkatcho Indianer und ihre Nachbarn ein wichtiger Treffpunkt, wenn in jedem Juli die Steelheads und Spring-Salmons vom Dean River kommend den Takia hochschwammen, um ihre Laichplätze zu erreichen. Dann versammelten sich die Ureinwohner an den Fällen, um ihren jährlichen Fischbedarf, der an Ort und Stelle geräuchert und getrocknet wurde, zu decken und feierten auch ein großes Fest. Sie kamen sogar von so weit entfernten Orten wie Nazko und Kluskus im Osten, von Burns Lake und Choslatta im Norden, vom Chilcotin im Süden und Bella Coola im Westen. Der Fischfang galt gleichzeitig auch als wichtiger sozialer Treff, denn das ganze Jahr über lebten diese „Native People“ in kleinen, isolierten Familiengruppierungen. Hier konnten sie sich ihre Geschichten teilen, handeln, und ihre traditionellen Spiele und Riten gemeinsam zelebrieren. Damit wurden diese Seen für sie auch zu einem wichtigen kulturellen Ort. Als Chief Jimmy Stillas, der letzte Häuptling der Ulkatchos, 1987 diese ererbten, traditionellen Rechte seines Volkes auch öffentlich geltend machte, campten mehr als zweihundert Leute seines Stammes eine ganze Woche lang am See und feierten ihr Fest.

      Das Smoke House hat sich seit damals auch kaum gewandelt. Unter seinem Dach hängen nur einige neue Utensilien, die David oder Wanderer nach hier brachten, wenn sie unter ihm rasteten, um danach ihren Weg auf dem nahen „Mackenzie Heritage Trail“ fortzusetzen. Dessen 420 Kilometer beginnen in der Nähe von Quesnel am Blackwater River und erreichen nach 300 Kilometer durch das Interior Plateau auch den Tweedsmuir Park, den er am Highway 20 wieder verlässt, um Bella Coola zu erreichen und den letzten der 1.800 Höhenmeter hinter sich zu bringen. Für die restlichen 65 Kilometer der historischen Route braucht man dann allerdings ein Boot, denn der Sir Mackenzie Provincial Park, der den „Mackenzie Felsen“ schützt, liegt am Nordufer des Dean Channels. 2010 hatten wir diesen Felsen auch auf dem Programm, aber als unsere Fähre in Ocean Falls ankerte, hatte der Himmel alle Schleusen geöffnet und machte diesen kurzen Ausflug unmöglich. Der landschaftlich schönste Abschnitt auf dem „Mackenzie-Pfad“ sind jedoch die 80 Kilometer durch den „Tweedsmuir“, wo der Wanderer im Juni und Juli aber noch mit Schneefeldern und vollen Flüssen rechnen muss. Diese Tour ist allerdings eine schwere, und eine genaue Beschreibung gehört so zwingend ins Gepäck, wie die zahlreichen Abschnittskarten und ein GPS-Gerät. Mackenzie folgte diesen Indianerpfaden 1793 und erreichte das Bella Coola Tal nach vierzehn Tagen. Für ihn war es der letzte Abschnitt, um Kanada komplett, von „See zu See“, auf dem Landweg durchquert zu haben. Heute folgen begeisterte Wanderer seinen Spuren, die sich Teile, abzweigende Touren oder auch den gesamten Weg, den auch erfahrene Buschmarschierer nicht unter drei Wochen schaffen, zum Ziel setzen. Dank der Wasserflugzeuge lassen sich Ein- oder Ausstieg zwar wesentlich erleichtern, und auch bärensichere Verpflegungsdepots anlegen, doch der Tweedsmuir-Provinzpark ist reine Wildnis und nichts für „Anfänger“ ohne Führer. Hitze, Schneesturm, Regen, schweres Gelände und Flussdurchquerungen sind aber auch dann zu überstehen, um diese Herausforderung als großartiges Erlebnis zu meistern.

      Der Standplatz des Smoke Houses war strategisch gut gewählt, weil sich hier einige der wichtigsten Indianerpfade früherer Zeit treffen. So gehören der „Nuxalk Carrier Grease Trail“ und der „Rainbow Valley Trail“, die beide von den Pfaden „Ulkatcho Bella Coola “ und „Salmon House“ gekreuzt werden, heute zur „Mackenzie Heritage Route“. Und warum „Grease Trail“? Weil über diese Pfade das Fischöl der Küstenindianer in das Innere des Landes getragen wurde, das als Nahrung oder Medizin Verwendung fand. Gewonnen wurde es von dem zwanzig Zentimeter langen „Euchlachon“ (silberne Seiten, brauner bis schwarzer Rücken), den die Eingeborenen auch „Saviour-Fish“ (Retter, Erlöser) nannten, weil er der erste war, der nach einem langen Winter die Flüsse hochschwamm und das Hungern beendete. Die ersten Siedler bezeichneten diesen Dünnling, der, im getrockneten Zustand wie eine Kerze fungierte, auch Candle-Fish.

      Für uns war das „Räucherhaus“, auf dessen Wiesen wir die Zelte ein letztes Mal aufschlugen, ebenfalls ein wunderschöner Platz. An drei Seiten von Wald begrenzt eilt der Blick nach vorn über die Wiesen und hinunter zu dem See mit seinen schilfbewachsenen Ufern und Wasserarmen Und ganz in der Nähe rauscht auch noch ein Wasserfall. Das stimmt friedlich und ist Balsam fürs Gemüt. Ein wenig Wehmut schleicht sich bei diesem sanften Anblick aber auch ein, denn morgen, am späten Nachmittag, wird die Beaver auf dem See landen und uns abholen. Die Pferde werden wir früh am Tag noch einmal satteln, aber danach geht er hier, am südlichsten der drei in einander übergehende Tanya Lakes, unwiderruflich zu Ende, der kurze Traum vom Tweedsmuir Park. Aus diesem See entspringt auch der Takia River, der nach zwanzig Meilen seine Wasser dem Dean-Fluss übergibt. Und unweit dieser Mündung liegen mit den „Salmon House Falls“ auch die einstigen Fischgründe der Indianer dieser Region. Ihren Namen verdankten die Fälle den vom Wasser ausgespülten Felshöhlen, in deren ruhigem Wasser sich die Lachse ausruhen, ehe sie den Fall überwinden. Der Weg nach dort ist allerdings beschwerlich und führt über sehr zerklüftetes Terrain, so dass unsere Zeit dafür nicht mehr ausreicht.

      War es überhaupt wichtig, dass der „White Man“ eine Landroute zum Pacific zu finden suchte, wenn es schon andere Einwohner gab, die hier seit der Zeiten der Gletscher zu Hause waren? War es richtig, dass sie Mackenzie und seinen Leuten als Gastgeber dienten, sie verpflegten und ihnen den Weg zur Küste zeigten? Mit dem weißen Mann, der ihnen den Namen „Indians“ gab und sich damit geographisch um „eine halbe Welt“ irrte, kamen praktische Handelsgüter, aber auch die Pocken, Geschlechtskrankheiten und Alkohol in das Land, das ihnen größtenteils auch noch genommen wurde. Wenn die ersten Schritte der Europäer noch eine Art Blick ins Paradies waren, begannen sie mit ihrem Betreten dieses auch gleich zu zerstören, als sie in eine intakte Wildnis massiv eingriffen? Erst wurden die Büffel, dann die Bieber fast ausgerottet, und auch mit den Eingeborenen, von denen viele

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