100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2. Erhard Heckmann

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100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2 - Erhard Heckmann

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Der kleine Ort ist einer jener „Gateways“, die die Kanadier als Ausgangspunkte ins „Backcountry“ bezeichnen, und die in der Regel schon selbst weit ab und als idyllisch gelegen Oasen der Ruhe vom geschäftigen Alltag zu finden sind. Anahim Lake ist vor allem das Tor zum Tweedsmuir Park und den Itcha-Ilgachuz Bergen, aber auch in die restliche großartige Landschaft, denn die Buschflieger landen und starten hier direkt hinter der Haustür auf dem gleichnamigen See. Reine Angler können auf deren Dienste aber auch verzichten, denn der Anahim Lake ist fischreich, und der Dean River, der den See verlässt und zum Ozean zieht, gilt als einer der allerbesten Stealhead-Flüsse des Kontinents, doch ist er auch voller Lachse und Regenbogenforellen. Aber nicht nur er, sondern auch die anderen großen, wilden Flüsse der Cabrio-Chilcotin-Küste – Atnarko, Bella Coola, Kwatna, Chilck, Taseko, Chilcotin, Quesnel oder Blackwater – sind Weltklasse-Fischgewäs-ser. Anahim Lake ist aber auch eine Ausgangsbasis für Wanderer, die, mit oder ohne Buschflieger, zu Fuß oder Pferd unterwegs sein möchten, während der wirkliche Städter in dieser Gegend alles vermisst, was er schätzt.

      Das unmittelbare Juwel ist hier der 981.000 Hektar große Tweedsmuir Provincial Park mit seinen farbenprächtigen Rainbow Mountains. In den 1990er Jahren wurden ihm im Nordwesten die Kitlope Heritage mit dem gleichnamigen Regenwald-Tal, und inzwischen auch der neu geformte Entiako Park im Osten zugeordnet, um den Wildtieren genügend Überlebensraum garantieren zu können. Das Backcountry im Park ist isolierte Wildnis mit Grizzlys und Schwarzbären, die sich zur Laichzeit besonders an den Flüssen Dean, Atnarko, der ein äußerst gefährliches Gewässer ist, und Bella Coola konzentrieren. Während in der Bergregion in jedem Monat des Jahres mit Schneefällen gerechnet werden muss, gelten Juni, September und Oktober als die regenreichsten im Schutzgebiet, und der Juli kann auch mit 30 Grad aufwarten. Straßen und Wege gibt es im Schutzgebiet ebenso wenig wie andere Einrichtungen. Wer hier marschiert, muss nicht nur absolut fit und mit speziellen Karten ausgerüstet sein, sondern auch alles im Rucksack haben, was er auf seiner Tour braucht. Und wer sich nicht auskennt, der braucht unbedingt einen Guide! Viel einfacher lässt sich diese Wildnis aber zu Pferd erkunden, und ein solches Abenteuer, ein achttägiger Trailritt, wartet morgen auf uns. Und das ist auch der Grund, weswegen wir nach weiteren acht Kilometern vom Highway nach rechts abbiegen, denn unser Treffpunkt ist „Eagles Nest“, ein kleines Juwel, das man mitten „im Busch“ so nicht unbedingt erwartet. Haupthaus, Blockhütten, Pool und Duschanlagen überschauen hier auf einer kleinen Erhöhung das Seeufer, gegenüber Wald, dahinter leuchten verschneite Bergspitzen. Und das Adlernest, nachdem diese Einkehr benannt ist, das gibt es auch. Als wir um die letzte Ecke biegen, werden wir schon erwartet, und alles was hier an Zweibeinern umherläuft steht vor der Tür und winkt. Dem kurzen Hallo folgen ein paar Worte und ein Willkommensdrink, dann wird erst das Wohnmobil an seinen Platz rangiert, denn morgen früh bleiben die Fahrzeuge hier.

      Im gepflegten, stilvollen, kleinen Restaurant, das eher einem sehr geschmackvoll eingerichteten Wohnambiente gleicht, gibt es viele schöne Kleinigkeiten zu entdecken. Unter den Gemälden befindet sich auch eins von Salzburg, denn „Lady Enubi“, zusammen mit Petrus Rykes die Gastgeber, ist dort geboren und passt eigentlich weder in die österreichische Gebirgswelt, noch in kanadisches Cowboyland. Ihr Typ ist eher der einer gewichtigen Operndiva, äußerst gepflegt, mit Scharm, Humor, Geist, Geschmack fürs Detail und sehr viel Herzlichkeit. Hier fühlen wir uns auch sofort wohl, und als wir acht Jahre später auf dem Weg zur Fähre nach Bella Coola hier wieder einkehrten, haben wir im wunderschönen neuen Anbau Geburtstag gefeiert und dabei spontan beschlossen, dass wir 2011 zu einem siebentägigen Ritt in die Wildnis wiederkommen werden. Anfangs war dieses neue Vorhaben auch ein wenig der guten Feierlaune geschuldet, denn ursprünglich waren Peru, Chile und Argentinien angedacht, doch im November war die Reiseroute längst detailliert auf Papier, Flug und Wohnmobil gebucht, und es stand auch fest, dass Tochter und Enkelin mitkommen.

      An dieser Stelle sind wir davon aber noch neun Jahre entfernt, und jetzt stimmen wir uns zunächst auf die kommenden Tage mit vier Reitern aus Calgary ein, mit Kris, John, Heather und Ferdl, der in Kärnten zur Welt gekommen ist, und seit vielen Jahren in Kanada als Geologe gearbeitet hat. Die beiden Damen waren Krankenschwestern, während John als Lehrer schon an vielen Orten unterrichtet hat, auch im hohen Norden, wo der Mackenzie ins Polarmeer fließt. Und das, was sich an unserem ersten Abend bereits abzeichnete, wurde später auch bestätigt: Diese Truppe passte zusammen wie die berühmte Faust aufs Auge.

      Und das traf noch mehr auf unsere wirklichen Gastgeber zu. Auf Joyce, David und Paul, unsere Pferde Escort und Richard, und die beiden Border Collies Willie und Rio, die uns das Abenteuer Pferd und Wildnis ermöglichten.

       Die Karawane zieht los, mit 26 Pferden, 13 Reitern und drei Hunden

       … mit Ziel Rainbow Mountains in British Columbia

       Abenteuer pur – im Sattel durch unberührtes Land

      Als sich unsere neuen Freunde für die Nacht in ihre Blockhütten zurückziehen, machen auch wir uns auf den kurzen Weg zum Wohnmobil und sind schon jetzt der Meinung, dass es stimmt, was uns immer wieder bestätigt wurde: Wer hier lebt, der kann sich mit europäischem Stadtleben nicht mehr anfreunden, und zurück will er sowieso nicht wieder. Geschenkt wird auch hier niemandem etwas, aber was macht dieses Land, das von Ost nach West etwa 5.500 Kilometer misst, dann so anziehend? Worin liegt seine Faszination? Es ist wohl die großartige Natur mit ihren Tieren, und ganz besonders die unendliche Weite. Europa kann auch mit großartigen Landschaften glänzen, aber von Norwegen einmal abgesehen, ist alles „ eng und klein“, und seine Straßen sind überfüllt. In Kanada kann man stundenlang fahren oder wandern, ohne einem Menschen zu begegnen, dem Ruf der Wildnis lauschen, Bären und Elche beobachten, an wunderschönen klaren Bergseen und weitab von der nächsten Ortschaft sein Zelt aufschlagen oder das Wohnmobil parken, statt Massentourismus an zubetonierten, lauten Stränden oder Fahrzeug an Fahrzeug auf Campingplätzen akzeptieren zu müssen. Hier, im Land der Goldschürfer, Pelzhändler, Indianer, Cowboys, Bären und Wale taucht man das Paddel in das Wasser kristallklarer Seen, erlebt tosendes Wildwasser im Kajak, ist mit den Buschfliegern zu entlegenen Gebieten unterwegs, fliegt über kilometerlange Gletscher und Eisfelder, kann tagelang durch unberührte Landschaft reiten und sitzt abends mit Gleichgesinnten am Lagerfeuer. Sicherlich schwingt auch ein Hauch „Wilder Westen und Freiheit“ mit, wie auch die Vielfalt, die dieses Land bietet, bis hin zu seinen großen und quirligen Metropolen wie Toronto, Quebec oder Montreal, die aber dennoch irgendwie anders sind. Riesige Prärien, unendliche Tundren, Küstenregenwälder, wüstenartige Trockenregionen, karge Fischerdörfer auf Neufundland, oder liebliche Städte wie das wunderschön am Pacific gelegene Vancouver, das mit seinem Flair an das neuseeländische Auckland erinnert, all das gibt es hier. Auch Konsumtempel wie die weltberühmte West Edmonton Mall in Edmonton gehören zum Gesamtmosaik. Das Einkaufsparadies, das mehr als achthundert Geschäfte, elf Kaufhäuser, über einhundert Restaurants, etwa zwanzig Kinos, Schwimm- und Wellenbäder und vieles andere mehr unter einem einzigen Dach vereint, hat bei seinem Bau eine halbe Milliarde Euro verschlungen. Und gleich um die nächste Ecke, egal wo, wird auf Rodeos der Sport gezeigt, der sich aus der Arbeit der Siedler, Cowboys und Rancher entwickelt hat und ihr tägliches Brot ist. Kanada heißt auch Mountainbiken, Galopprennen, Eishockey, Schlittenhunde, Wintersport, klirrende Kälte und holprige Forststraßen. Insgesamt ist es ein Gemisch aus viel mehr als nur traumhaften Landschaften. Vielleicht ist es die Summe aus allem, die uns so sehr in dieses Land zieht.

      Hier am Anahim Lake sind jene Glitzerfassaden jedoch weit weg. Hier ist Bärenland, und man ist auf Schotterpisten in ursprünglicher Natur unterwegs, zu der ganz besonders auch British Columbias größter Provinzpark, der „Tweedsmuir“ zählt. Es ist ein Schutzgebiet, das Wälder, Täler, Wiesen, Sümpfe, Seen, Flüsse, Gletscher und Berge vereint, und dessen straßen- und weglose Wildnis Caribous, Bergziegen, Schwarz- und Grizzlybären, Elche,

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