100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2. Erhard Heckmann
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Das Frühstück am nächsten Morgen ist kräftig, danach bringt uns Petrus mit seinem Jeep zum Trailhead im Tweedsmuir Park, unserem Treffpunkt mit den Dorseys. „Saddlehorse Meadows“ nennt er sich offiziell, und als wir ankommen sind unsere Gastgeber längst bei der Arbeit. Der erste Blick signalisiert erhebliches Durcheinander, doch es hat Methode. An drei Stellen sind gesattelte Pferde angebunden, hier ihre, dort „unsere“, die restlichen sind mit Tragegeschirren bestückt. Manche von ihnen knabbern an einem Heuballen, andere dösen vor sich hin. Ein Brauner kann über die anstehende Tour lächeln, denn er war Reservepferd und wird eben wieder in den Transporter eingeladen. Dieser entspricht auch nicht europäischen Verhältnissen, sondern ist ziemlich lang und tief gelagert, hat kleine vergitterte Fenster, und die 12 bis 14 Pferde stehen quer zur Fahrtrichtung. Was noch auffällt? Haufen von Seilen, Kisten und ähnlich große, grüne Plastikbehälter, Kartons und anderer Kram liegen und stehen auf diesem Waldplatz herum, mitten drinnen die geschäftigen „Outfitter“ Joyce und David, Tochter Linsay und Ayleen, die Praktikantin. Diese beiden Achtzehnjährigen helfen beim Packen, fahren anschließend den Transporter wieder zurück und kümmern sich während der Abwesenheit vom Boss um die Ranch. Und dann ist da noch Paul, Davids Nachbar, der unseren Trupp als dritter Mann begleitet. Nach flüchtiger Begrüßung, bei der wir feststellten, dass wir rein gar nichts helfen können, macht sich die Mannschaft wieder ans Werk. Zelte, Schlafsäcke, Regenplanen, Hufeisen und -nägel, Hammer, Zange, Gewürze, Lebensmittel und Getränke, Feuergestell, Töpfe und Pfannen, Wasserfilter, Flüssigseife, Mückenspray, Bremsenöl für die Pferde …, alles wird in festen Packsäcken verstaut und vor dem Verschnüren gewogen. Hier muss etwas raus, dort mehr rein, denn die neun Packpferde müssen auf jeder Seite pfundgenau beladen werden. Die Säcke der Gäste werden markiert, denn abends schnappt sich künftig jeder den seinen und bringt ihn morgens wieder frisch geschnürt zum Aufladen zurück. Und während Paul und David, der ab und an einen wortlosen, verstohlenen „Musterungsblick“ in unsere Richtung schickt, Packsäcke und kistenartige Behälter auf die Packpferde verteilen, mit Gurten und Seilen sichern, anschließend mit Regenplanen abdecken und erneut mit Seilen festziehen, machen uns Joyce und Ayleen mit den uns zugedachten Pferde bekannt.
Sabines zehnjähriger Rappe, ein flotter Quarterhorse-Wallach, heißt Escort, ist kompakt, abgedreht und hat eine kräftige Hinterhand. Wie sich später zeigte, liebte er das Springen noch immer, denn in ganz jungen Jahren soll ihm kein Koppelzaun zu hoch gewesen sein. Den mir zugedachten hellen Falben war ich schnell wieder los, denn Heather konnte, oder wollte, sich mit dem großen Appalosamischling Richard nicht anfreunden, und unbedingt tauschen. Naja, reiten konnte sie genau so wenig wie die übrigen drei aus Calgary; das gaben sie zwar nicht zu, aber das war so. Sie hatten nur keine Angst und hier und dort in ihrem Leben, aus Freude an der Sache, mehrfach auf Pferden gesessen. Vielmehr wurde bei diesem Ritt aber auch nicht verlangt, zumal diese „Mountain-Horses“ erstklassig ausgebildet waren und der Reiter ihnen nur den Weg zeigen musste. Also landete eben ich bei diesem Schimmel, zu dem Joyce meinte „der ist zwar etwas faul und eigensinnig, aber den bekommst Du schon flott“. Ein schönes Pferd ist Richard nicht, eher etwas klobig, ziemlich groß und stabil. Es passt aber alles gut zusammen, und seine „Bammelohren“ verrieten, dass er eigentlich ein guter Charakter sein müsste. Das war auch so, und er war auch zuverlässig und äußerst clever. Er wusste sehr schnell wer „oben saß“, denn nach kurzen Meinungsverschiedenheiten ließ er es auf keine Diskussion mehr ankommen und marschierte wie ein junger Spund. Als ich mich nach diesem Ritt von ihm trennen musste, ist mir das so schwer gefallen wie kaum bei einem anderen Pferd zuvor.
Inzwischen ist alles verpackt, der Transporter mit der winkenden Linsay am Steuer rangiert Richtung Straße, und das letzte der in Dreiergruppen gehenden Packpferde, ein vierjähriger Neuling auf größerer Tour, wurde mit Äxten, Motorsäge und Benzinkanistern beladen. Die beiden Gewehre bleiben bei David und Paul, das Mittagssandwich steckt in der Satteltasche und das Regenzeug bleibt hoffentlich nicht nur heute hinter dem Sattel festgeschnallt. Die Karawane aus achtzehn Pferden, neun Reitern und den beiden Border Collies Willie und Rio kann starten, mit David Dorsey an der Spitze Richtung „Abenteuer pur“. Für uns ist es der erste Trailritt überhaupt und wir sind gespannt, was uns dabei erwartet, denn mein Sinn steht mehr auf „Gas geben“, auf Rennpferden. Und wenn schon „lange Bügel und Westernsattel“, dann hatte ich ursprünglich eher an eine Ranch in Saskatchewan oder Montana gedacht, denn die Prärie lässt auch ordentliches Galoppieren und Springen zu. Im Tweedsmuir Park kann man vielleicht einen Bach oder Graben springen, aber generell erwandert man hier unerschlossene Natur zu Pferd, bis hinauf ins Hochgebirge. Und um es vorweg zu nehmen, es war auch ohne „Vollgas“ ein großartiges Erlebnis.
Nach wenigen Minuten wird aus dem Weg ein schmaler Pfad, kurz darauf ist auch dieser verschwunden. David gibt, mit der ersten „Packtrain“ im Schlepp, die Richtung vor, die anderen Pferde folgen im Gänsemarsch, wobei sich Paul mit seinen drei Packpferden zwischen uns Gästen einsortiert hat und Joyce mit ihren Lastenträgern am Ende folgt. Nur Willie und Rio patrouillieren hin und her und legen wohl das Vier- oder Fünffache an Kilometern zurück. Im Tal hatte der Reiter sehr wenig zu tun, doch als David in Richtung Waldhang abbiegt, heißt es aufpassen. Der Wald ist dicht, die Bäume stehen eng. Jetzt muss sich jeder seinen eigenen Weg suchen, mehrere Stunden im Zickzack bergauf. Für unsere Pferde ist der Weg zur Baumgrenze und in alpines Gelände harte Arbeit, und die Packpferde müssen oft nach einem besseren Durchschlupf suchen und kleine Umwege in Kauf nehmen. Bei uns Reitern ecken die Knie auch gelegentlich an, und den einen oder anderen Ast drückt man besser weg, bevor er zurückschwingt. Mehr als die Richtung gebe ich meinem Pferd nicht vor, denn es weiß ganz genau, wohin es seine Beine setzen muss. Der Wald hier ist kein europäischer, sondern unberührte Wildnis. Und mit umgestürzten Baumriesen, auch kreuz und quer übereinander liegend, Geröllfeldern, Felsbrocken, Wurzeln, dichtem Unterholz und hohen Farnen kennen sich diese „Mountain-Horses“ bestens aus. Zwischendurch hält David zwar oft an, um den Pferden Verschnaufpausen zu geben, aber dennoch geht es flott vorwärts, bis wir am frühen Nachmittag ein Hochplateau erreichen und hinter einer Baumgruppe eine Rast einlegen, bei der die Packpferde aber nicht entlastet werden. Um uns herum Latschenkiefern, Sträucher, blühende Lupinen und andere Frühlingsblumen, verstreute Fichten, einzeln oder in Gruppen und vom Wind zerzaust, und kleine Schneeflecken auf nahen Hügeln und in Mulden. Hier und dort schimmerte ein kleiner, flacher See, ganz in der Nähe huscht ein Bach als Wasserfall über seine Gesteinskante, und weit am Horizont leuchten die weißen Spitzen der Küstengebirge. Und nachdem die Pferde am Bach ihren Durst stillen konnten, haben auch die drei bis vier Liter Kaffeewasser im „Billy“, der großen, schwarzen Eisenkanne, über dem Lagerfeuer gekocht, so dass es Zeit ist, Brote und Obst auszupacken, die Tasse zu füllen und sich einen Stein als Sitzplatz zu suchen.
Nach einer knappen Stunde mahnt David zum Aufbruch, und wir reiten nun im alpinen Gebiet durch die „Schwarzen Berge“. Für die Pferde ist es leichter, und der freie Blick erfasst auch den Tsitsuti Peak, die höchste Erhebung der Rainbow Mountains, doch bis dorthin ist es noch weit. Hier und dort umgehen wir sumpfige Stellen, reiten in den Tälern durch dichte, hohe Weidenbüsche, die die Reiter meist komplett verdecken. Durch sie wird aber ebenso direkt geritten, wie durch Bäche und Flüsse. Das gilt erst recht für die blühenden Bergwiesen, auch wenn mir die bunte Blumenpracht richtig Leid tut. Unsere Pferde denken da ganz anders, denn sie haben eine Vorliebe für Lupinen und schnappten auch während des Gehens immer wieder nach ihnen. Wir sind aber rundum zufrieden, lassen uns einfach dahintragen, genießen den Moment, die herrliche Natur und ihre Stille, die nur vom Schnauben der Pferde und dem Knirschen des Sattelleders unterbrochen wird. Und mit jedem Pferdeschritt rückt die Zivilisation etwas weiter weg, die Natur näher heran. Man