100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2. Erhard Heckmann
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Nach einem ersten „Ankunfts-Kaffee“ hatten wir alle mitgeholfen, das Smoke House häuslich einzurichten und auch Joyse’s Küche wieder entstehen zu lassen. Paul kümmerte sich danach um die Pferde, David und ich um neues Feuerholz. Der Verbrauch muss stets ersetzt werden, und bei der Auswahl war David nur auf verdorrte und umgestürzte Bäume bedacht, deren gesägte Klötzer von Ferdl gehackt und John gestapelt wurden. Anschließend erledigte jeder seinen eigenen Kram. Für mich hieß das Packsäcke holen, einen geeigneten Zeltplatz auf der Wiese aussuchen und unsere gelb-blaue Bleibe aufzubauen. Und als die kleine Behausung gerade so steht, kommen auch schon die Pferde, fegen zwischen den Zelten entlang und galoppieren zielstrebig durch eine kleine Schlucht zu ihrer Wiese unten am See. Die, die sich „ohne“ nachts zu weit vom Lager entfernen, sind zwar an den Vorderbeinen „gekoppelt“ und können nur kleinere Schritte machen, aber sie haben längst eine Technik entwickelt, die sie nur wenig langsamer sein lässt. Sie erlaubt ihnen sogar den kürzeren Weg über zwei kleine Gräben zu nehmen, die sie ganz locker springen. Nur der vierjährige Fuchs, der erstmals dabei ist und Säge, Äxte und Benzin trug, der hat den Dreh mit den Vorderbeinen noch nicht raus und hoppelt wie ein Schaukelpferd hinterher. Er hat heute aber auch alle Zeit der Welt, nur Paul hatte es eilig, den sein Nachbar noch vor dem Abendessen mit dem Wasserflugzeug abholte, denn bis Montagfrüh hat er frei und will zu seiner Familie. Für alle anderen wird es ein langer, schöner Sommerabend am Feuer. Für uns Gäste ist es zwar der letzte hier draußen, doch ganz zu Ende ist weder diese Geschichte, noch unsere Reise.
Am nächsten Morgen ist Samstag, und wieder meint es die Sonne mit uns gut, als wir zu dem nahem Wasserfall gehen, wo uns David den Lachsfang mit dem Speer zeigen wollte. Es ist aber ganz gut, dass die großen Fische noch nicht da sind, denn ob an der Angel oder am Speer, ich muss das nicht unbedingt sehen. Auf dem kurzen und schönen Heimweg können wir an den vielen leckeren Huckle- und Salmon Berries nicht so einfach vorbeigehen, und nehmen uns für die letzteren, eine Art große Himbeere, leicht säuerlich und sehr wohlschmeckend, ein paar Minuten Zeit, um sie in den Lederhut zu pflücken, bis Willie und Rio ein Stückchen voraus ein furchtbares Spektakel beginnen. Der Grund war ein Schwarzbär, der vor ihnen auf einen Baum geflüchtet war. Er war einer der jüngeren und gehörte noch nicht zu den ausgepufften Revierbesitzern, die den Weg so schnell nicht räumen wenn sie angekläfft werden. Als wir seinen Baum alle weit genug hinter uns hatten pfiff David die Hunde zurück, und im Wald wurde es wieder still.
Am frühen Mittag steigen wir letztmals in die Sättel und reiten hinüber zur anderen Seite des Sees um die Hütte zu besuchen, die Davids Großvater Lester noch gebaut hat, und die in sehr gutem Zustand ist. Genutzt wird sie als Jagdhütte und Zuflucht für Wanderer, die auf dem langen Trail durch den Park unterwegs sind. Und zwei von diesen eisernen „Hikers“ schultern gerade ihre schweren Rucksäcke zum Weitermarsch, als wir den Holzbohlenbau erreichen. Das junge Pärchen, das vor mehr als einer Woche in Bella Coola aufgebrochen war um Mackenzies Spuren zu folgen, hatte hier übernachtet, weil es seine Kleidung trocknen musste. Der Grund war ein ganz einfacher gewesen, denn gestern Abend hatte ihnen, im wahrsten Sinne des Wortes, das Wasser bis zum Halse gestanden, als sie einen Fluss durchqueren mussten. Von David bekommen sie zu dieser Gegend noch einige Ratschläge und Informationen, dann wünschen sie uns einen schönen Tag und verschwinden im Wald.
Diese Hütte nützt David auch noch selbst, wenn er im Herbst mit Jägern hier unterwegs ist. Auch das gehört zu seinem Geschäft „Guiding and Packing in dritter Generation“. Hütte und benachbarter Schuppen schützen so manch „altes Ding“, das noch immer gute Dienste verrichtet. Dem riesigen eisernen Ofen mit „Wasserpfanne“, großer Backröhre und einem Ofenrohr, das direkt zum Dach strebt sieht man an, welch große Wärme er ausstrahlen kann, wenn er richtig befeuert wird. Mich erinnert er an ein ähnliches Stück, das in meinen Kindertagen bei meinen Großeltern in der Küche des Bauernhofes stand, eigentlich die gleiche Version, nur mit einem anderen Herstellernamen an der kippbaren Backofentür. Auch andernorts war das oft so, dass mir Wagen und Geräte begegneten, die auch mein Großvater noch verwendete, oder mit denen ich in ganz jungen Jahren noch selbst gearbeitet habe. Im Wagenschuppen hatten auch ein Korbwagen und ein „vornehmer“ Landauer ihren Platz, da hingen die gleichen Pferdegeschirre, und die Mähmaschine oder der Selbstbinder verkündeten lediglich ein anderes Fabrikat als die, die ich in Kanada an „Historischen Orten“ oder in Freilichtmuseen sah. Auch die Heurechen und Heuwender mit Doppeldeichsel, in der ein einzelnes Pferd agierte, sahen hier nicht anders aus als die, auf deren eisernem Sitz ich Platz nahm, wenn im Sommer nach der Schule jede Hand gebraucht wurde. Dazu gehörten auch die Leiterwagen für die Heu- und Getreideernte, die sich durch Austausch der Aufbauten zum Kastenwagen wandelten, wenn Kartoffel, Rüben oder Möhren vom Feld abgefahren werden mussten. Auch die „selbstgehenden“ Ackerpflüge waren mir längst bekannt. Diese hatten statt einer einzigen „festen“ Pflugschar, zweimal zwei drehbare, damit auch in der Gegenrichtung gepflügt werden konnte. Für mich als helfender Bub hatten sie neben dem Vorteil, dass man sie unterwegs nicht festhalten musste, auch einen Nachteil, sie waren sehr schwer. Und für mich, als 13- oder 14-jährigem Knirps kam das Problem dort, wo am Feldrand gewendet wurde, um die nächsten fünfzig Zentimeter in entgegengesetzter Richtung umzupflügen. Ich musste unter die Handgriffe des Pfluges kriechen, um das schwere Gerät mit den Schultern anheben und um 180 Grad drehen zu können. Derartiges gab es hier in der Blockhütte natürlich nicht, dafür aber Ambos, Hufeisen, Sense, Dengelzeug, Pech, Faden und Sattlernadeln, Äxte, Eimer, Siebe, Bandsäge, Gummistiefel, Decken, Seile, Rucksäcke, Lederriemen und Kleinkram, der an der Wand oder unter dem Dach hing.
Der Ritt zurück zum Camp führte über einen kleinen Umweg, und dort wird, nach einem schnellen, allerletzten Kaffee, der Duffel Bag reisefertig gemacht. Die Zelte bleiben stehen, denn in zwei Tagen bringt das Buschflugzeug neue Reiter nach hier. Unser Sack ist schnell gepackt und verschnürt, und so stiefeln wir durchs hohe Gras hinunter zum See, um uns von den Pferden zu verabschieden. Escort grast vorn an der Wiese, mein Schimmel schläft ziemlich weit hinten am Ufer. Dem Schwarzen streiche ich nur einige Male zum Dank wortlos über den Hals, dann gehe ich weiter. Ich weiß, dass Sabine jetzt mit ihm allein sein möchte, denn für mich gilt das auch. Als ich näher komme, steht Richard auf. Ich streichle seinen Hals, graule ihn zwischen den Ohren, dann nehme ich seinen Kopf in beide Hände. Und während ich leise mit ihm spreche, schauen seine großen, dunklen Augen aus, als würde er jedes Wort verstehen. Er war mir ein treuer, zuverlässiger Kamerad gewesen, nicht hübsch oder auffallend, aber ein ganz tolles Pferd, das mir ans Herz gewachsen war. Und ich bin froh, jetzt mit ihm ganz allein zu sein. Eigentlich bin ich eher ein „harter Hund“, doch der Abschied von diesem Pferd geht mir unglaublich nahe. Ich habe ihm aber alles gesagt, was ich ihm sagen wollte, und nach einer letzten Umarmung und „Lebewohl“ gehe ich schnurstracks zurück zum Zelt. Im Moment möchte ich mit niemandem sprechen, nur einige Augenblicke allein sein. Und als ich um die Ecke in die kleine Schlucht einbiege, lehnt David an einer verwitterten Fichte. Er hatte das Ganze wohl beobachtet. Er sagt aber kein Wort, nickte mir nur unmerklich zu …
Wenig später hören wir die Beaver kommen. Sie hat den typischen Sound dieser kleinen Maschinen, hart, tief und kernig. Das Buschflugzeug mit den Wasserkuven zieht einen Halbkreis über dem See und setzt weit draußen auf. Und während wir unsere geschulterten Packsäcke Richtung Anlegestelle – ein paar Bretter im Gras – tragen, kommt die Maschine auch schon durchs Schilf getuckert, dreht bei und schaukelt lautlos zum Rand des Wasserarmes. David packt das kurze Seil, das an der Tragfläche baumelt, und hält es fest, bis der Pilot sie vertäut hat. Die Stimmung ist jetzt auch bei den vier Kanadiern gedrückt, denn wir hatten Menschen kennen gelernt, die uns mehr