Persephone. Matthias Falke
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»Militärs?!«
Rogers schüttelte den Kopf, als sei seinem Untergebenen ein ungehöriges Wort herausgerutscht. »Sagen wir: Unternehmen, Stiftungen, Forschungsinstitute.«
»Militärs.« Grainer nickte düster vor sich hin.
»Es gibt nicht nur schwarz und weiß im Leben«, erwiderte Rogers väterlich.
»Und die Verwendung unserer Ergebnisse?«, fragte Grainer. »Was ist das für eine Stelle, zu der Sie Dr. Brini geschickt haben?«
»Das ist einer unserer Kontakte«, erklärte Rogers unumwunden. »Dort verfügt man über die geballte Expertise, die nötig ist, aus unserem heutigen Test die passenden Schlussfolgerungen zu ziehen. Womit ich Ihnen allen nicht zu nahe treten möchte. Aber wir sind ein halbes Dutzend. Dort beugen sich bald mehrere tausend Koryphäen mit heißen Köpfen über unsere Protokolle.«
»Sie haben uns verkauft«, stellte Anthony Grainer nüchtern fest.
Auch jetzt drückte Rogers’ Miene aus, dass er die Einwände ernst nahm, den Pessimismus, den der nur unwesentlich Jüngere damit verband, aber ganz und gar nicht teilte.
»Es hat alles immer zwei Seiten«, sagte er. »Sehen Sie, Tony. Mit einem Küchenmesser können Sie Tomaten schneiden, Sie können aber auch jemanden abstechen, einen Einbrecher zum Beispiel.«
»So weit bin ich inzwischen auch«, sagte der Wissenschaftler. Er schien selbst über die Unerschrockenheit, mit der er einem Dr. Rogers entgegentrat, verblüfft zu sein. Allerdings schwitzte er sichtlich, und sein blasser Teint war bis zum Haaransatz flammend rot geworden. »Ich frage mich nur, wen Sie abstechen wollen?«
Rogers legte den Kopf schief und musterte ihn, als habe er gerade etwas außerordentlich Interessantes an ihm entdeckt.
»Niemanden«, sagte er ruhig. »Solange nicht plötzlich ein Einbrecher in meiner Küche steht!«
Die Vorbereitungen waren nach einer Stunde abgeschlossen. Doina Gobaidin hatte ihren ausdrücklichen Protest erklärt. Wiszewsky hatte ihn ungerührt zu Protokoll nehmen lassen. Dann hatte er seinen Platz an der Konsole des Kommandanten bezogen, während die Vizeadmiralin sich an einen der seitlichen Arbeitstische begeben hatte. Eine junge Brückenoffizierin wollte ihr respektvoll aus dem Weg gehen, aber die Gobaidin sorgte dafür, dass sie an ihrem Schirm stehen blieb. Sie selbst nahm eine Position zwei Schritte hinter der rotblonden Frau ein, als führe sie einen routinemäßigen Arbeitsbesuch durch.
Das Shuttle legte ab. Eine kleine Fähre, in der außer dem Piloten nur Dr. Schleuner und sein persönlicher Assistent Platz genommen hatten. Auf der Brücke der MARQUIS DE LAPLACE verfolgte man schweigend, wie das kastenförmige, Fluggerät die Entfernung zu dem Asteroiden überbrückte und dann auf seiner Trichterlandschaft aufsetzte. Das Vorortteam hatte unterdessen die Quarantänestation, die man um die fünf Tloxi herum errichtet hatte, weiter ausgebaut. Es waren jetzt zwei der transparenten Kuppeln, die das Zentrum bildeten. Mehrere kleinere Zelte und die tonnenförmigen Stutzen von Luftschleusen setzten an allen Seiten daran an.
Das Shuttle ging in einiger Entfernung von der Station herunter. Der Rückstoß seiner konventionellen Reaktionstriebwerke wirbelte viel Staub auf. Es war keine Luft da, die ihn hätte verwehen können. Deshalb fiel er senkrecht wieder herunter, nachdem der Pilot die Aggregate ausgeschaltet hatte. Andererseits war die Schwerkraft des nur wenige Kilometer großen Asteroiden verschwindend gering, so dass die Wolken und Schwaden dem Boden nur in Zeitlupe näherkamen.
Schleuner und sein Assistent stiegen aus, während der Pilot sitzen blieb. Die beiden Wissenschaftler gingen zu Fuß zur Doppelkuppel des Quarantänezelts hinüber. Sie betraten es durch eine von mehreren Schleusen und orientierten sich im Inneren nach rechts. Das war die zuerst errichtete Kuppel.
Das Vorortteam war eingeweiht und hatte mit den Vorbereitungen begonnen. Eine Agravliege stand am Rand der Kuppel, um einen der fünf Tloxi in das angedockte Nachbarzelt hinüber zu bringen. Dort hatte man Messtische und Instrumente aufgebaut, die jedem Hightech-OP auf einem Sternenschiff zur Ehre gereicht hätten.
Schleuner warf einen Blick durch den halbrunden Verbindungstunnel nach drüben, um sich zu vergewissern, dass alles für die Untersuchungen bereit war. Dann nickte er den Kollegen zu, die sich in einem zweiten Kreis um die fünf Tloxi gruppiert hatten, als gälte es, eine besonders geheimnisvolle okkultistische Sitzung abzuhalten.
»Hallo zusammen«, sagte er munter auf der Lokalen.
Ein diffuses Gemurmel erfüllte die Übertragung, das klang wie in einer Kantine um sechs Uhr morgens.
»Kein unnötiger Überschwang.« Schleuner lachte. »Nur weil wir heute Geschichte schreiben!«
Auch jetzt blieb die Reaktion undeutlich. Die Wissenschaftler saßen schon mehrere Tage hier herum. Die anfängliche Euphorie war bei ihnen längst konzentrierter Routine gewichen. Sie waren bereit für den nächsten Schritt. Für große Worte fehlte ihnen, die allesamt kreuznüchterne Spezialisten waren, jeder Sinn.
»Okay, ich seh’ schon«, meinte Schleuner im definitiv letzten Versuch, die Stimmung etwas aufzulockern. »Geben Sie mir eine Minute.«
Er drückte sich zwischen den beiden Männern oder Frauen – das war in den dicken Quarantäneanzügen nicht zu unterscheiden – hindurch, um an den inneren der beiden Kreise heranzukommen. Die Tloxi. Zum ersten Mal sah er sie mit seinen eigenen Augen. Nur noch das hauchdünne Visier, dessen Polarisierung vollständig aufgehoben war, befand sich zwischen ihm und den ersten nicht-terrestrischen Wesens, die man in den Tiefen des Universums aufgestöbert hatte. Sie wirkten so erschreckend – banal! Sie waren klein. Harmlos. Schlimmer: Sie waren geradezu niedlich. Die Gobaidin hatte recht: Man hätte sie gut einpacken und den Kindern daheim als kleines kosmisches Souvenir mitbringen können. Schleuner hatte selbst keine Kinder, aber für einen Augenblick sah er die seiner Nachbarn vor sich, ein Junge und ein Mädchen von acht und zehn Jahren, wie sie auf der leicht abschüssigen Wiese hinter der Terrasse ihres Elternhauses spielten. Es bedurfte keiner ausgeprägten Vorstellungskraft, einen Tloxi in dieses idyllische Bild zu setzen und ihn stolpernd und betont unbeholfen mit den Kleinen Fangen spielen zu lassen.
»Neue Erkenntnisse?«, fragte er, nur um noch ein paar Sekunden Zeit zu schinden. Am liebsten hätte er das ganze Team weggeschickt, zumindest in die Zwillingskuppel ein paar Meter nebenan, um mit den ergreifend alltäglichen und bestürzend vertrauten Wesen allein sein zu können.
»Nein«, sagte jemand auf der Lokalen.
Schleuner kannte die Stimme. Einer seiner engsten Mitarbeiter in der Abteilung. Er hätte auch nach rechts oben schielen können, wo die Kennung des Mannes, der gerade gesprochen hatte, in sein Visier projiziert wurde. Aber das alles interessierte ihn im Moment überhaupt nicht.
Da standen fünf Außerirdische! Sie ließen sich begutachten wie Statuen auf einer Vernissage moderner Kunst. Aber selbst in einer Ausstellung zeitgenössischer Skulpturen hätten sie höchstens durch Trivialität Skandal gemacht. An ihnen war einfach nichts – Besonderes!
»In Ordnung.« Er zwang sich, das Pathos abzuschütteln und geschäftsmäßig zu werden. »Sie haben gehört, was wir auf der Brücke besprochen haben und wozu der Kommandant uns autorisiert hat.«
Alle bestätigten durch Kopfnicken oder durch zustimmende Worte. Aus irgendeinem Grund schien deswegen niemand besonders nervös zu sein.
»Gibt es von Ihrer Seite irgendwelche Einwände?«