Ich kann mir die Arbeit nicht leisten. Rainer Voigt
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Der nächste Einsatz sollte am Donnerstag sein, dazwischen ist so genannte Rufbereitschaft, die eine ständige Erreichbarkeit und den sofortigen Start bis 10 Uhr einschließt. Eigentlich müsste diese Zeit entsprechend einer schwammigen und unverständlich formulierten Passage im Tarif von der Firma bezahlte Zeit sein, schließlich hält sich ja Frank-Peter in dieser Zeit permanent für die Firma zur Verfügung. Frank-Peter erfuhr von Kollegen dieser Zeitarbeitsfima, dass die Chefin die Rufbereitschaft nicht bezahlt und von den Mitarbeitern diese Verfügbarkeit erwartet. Modernes Sklaventum, konstatierte Frank-Peter. Abends kam ein Anruf, dass auch am Mittwoch das Erscheinen beim Entsorger verordnet wird. Planungen im privaten Bereich sind bei den unkalkulierbaren Arbeitszeiten unter diesen Umständen irrelevant.
Der Mittwoch brachte die Bekanntschaft mit Wilhelm Brandt, 60 Jahre alt und seit fünf Jahren als Zeitarbeiter in der Entsorgerfirma. Es wurde Papier in Dobernig und Umgebung geholt, eine vergleichsweise einfache Arbeit, wenn Frank-Peter an den Montag dachte. Nur die undichte Hydraulik am Heck des Fahrzeuges, die während der Fahrten auf dem Trittbrett die Jacke versaute, ärgerte Frank-Peter. Mit diesen Sachen muss Frank-Peter abends mit seinem Auto wieder nach Hause fahren. Wenn er sich damit das Fahrzeug verschmutzt, bekommt er von seiner Frau mächtig Ärger. Sie ist es, die dieses Fahrzeug normalerweise nutzt. Frank-Peter hat es nur, weil „sein“ Fahrzeug in der Werkstatt war.
Feste Arbeitszeiten gibt es, wie schon erwähnt, nicht. Auch Mittwoch blieben nach Abzug der Pause netto 10 ½ Stunden. „Man kann nie wissen, wie viele Papiertonnen die Leute auf die Straße stellen“, bemerkte Wilhelm Brandt, der ihm auf der Fahrt zum Einsatzort seine ganze Lebensgeschichte erzählte und dabei selbst intime Details seiner Seitensprünge nicht ausließ. Wilhelm Brandt war schon immer Kraftfahrer. Nach der Wende wurden die Arbeitszeiten immer unkalkulierbarer, der Stress schröpfte seine Batterie und wenn er abends nach Hause kam, ging nichts mehr. „Meine Frau hat sich nun jemand gesucht, der sie besser vögeln kann und mich und die beiden Töchter zurück gelassen. Inzwischen ist sie aber tot, Kehlkopfkrebs. Das habe ich ihr jedoch nicht gewünscht“. Die Scheidung war schnell vollzogen. Damals verdiente er 1500 DM, die Frau 750 DM. Das „neue“ Scheidungsrecht sieht vor, dass er in diesem Fall für die Rente einen Versorgungsausgleich zu zahlen habe. Ihm wird also seine mögliche Rente um entscheidende Beträge gekürzt, auch wenn die Frau nun keine Rente mehr bekommt und er inzwischen vergleichsweise wenig verdient. Nach einem Jahr habe er sich auf Anraten seiner Kinder eine Bekannte gesucht, achtet aber penibel darauf, sie nur „Bekannte“ zu nennen und in ihrem Haus ein „eigenes“ Zimmer zu bewohnen, um dem Finanzamt oder wenn es darauf ankommt, im Falle von Hartz IV, der Arge keine Angriffsflächen zu bieten. Wilhelm Brandt erzählte Frank-Peter von seinen kleinen Schiebereien mit Sand und Schotter zu DDR-Zeiten, die fest in das damalige Berufsleben eingebunden waren. Als Kraftfahrer gehörte man schon zu den „Privilegierten“. Im Februar sollte Wilhelm Brandt vom Entsorger „abgemeldet“, sprich „entlassen“ werden. Die Fürsprache der Kollegen, dass er ja die Touren kennt und fast alle Autos fahren kann, machte die Entscheidung rückgängig. Der Chef der Entsorgerfirma, Herr Aurich, soll früher selbst Kraftfahrer gewesen sein. Erst wurde er Disponent und nach der Wende Chef. Andere, die ihn von früher kannten, erzählten unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dass Aurich früher viel Scheiße gebaut hatte. Jetzt tut er sich gottgleich fehlerfrei und ist verantwortlich für ein angespanntes Klima in der Firma. Dabei kann man manchmal gar nichts dagegen machen, wenn man in den engen Straßen an einem Baum oder Ast den Rückspiegel einbüßt. Einmal hatte Wilhelm Brandt unterwegs ein Brötchen gekauft und beförderte das Einpackpapier in die Mülltonne der Firma, als er zum Feierabend eintraf. Sofort wurde er zum Chef gerufen. „Wieso entsorgen sie ihren Hausmüll bei uns in der Firma“, wurde er barsch gefragt. Wilhelm Brandt wusste anfänglich gar nicht, worum es eigentlich geht, bis ihm das Licht aufging und er seinem Ärger Luft machte.
Für den Donnerstag stand Sperrmüll in Tollensee und Schabitz auf dem Plan, wieder war Frank-Peter als Beifahrer für Wilhelm Brandt eingesetzt. 11,52 Tonnen wurden mit zwei Wagenladungen zusammengetragen, mehr als zwei Drittel davon durch Frank-Peter allein. „Sperrmüll sieht eigentlich anders aus“, bemerkte Frank-Peter zu Wilhelm, als er die aufgestapelten Schutthaufen an den Straßenrändern bemerkte. „Hör auf, wer weiß wie lange das noch so gehen wird“, empörte sich Wilhelm Brandt. „Die Leute legen alles vor die Haustür, Papier, Plaste, alte Fernseher, Reifen, Bauschutt, kurz, alles was in einem Haus nach einer Renovierung oder einem Erbfall anfällt. Wenn sie wenigsten eine Flasche Bier oder ein paar Euro geben würden.“ Diese Zuwendungen gab es. Bei drei kleinen Asbestplatten waren zwei Flaschen Bier hinter dem Lichtmast versteckt. Frank-Peter fragte Wilhelm Brandt: „Nehmen wir die Asbestplatten auch mit?“ „Nein, auf keinen Fall!“ „Aber hier stehen zwei Flaschen Bier.“ „OK, ich habe mich geirrt, es sind Spanplatten im Asbestplattendesign, lade sie auf!“ Eine kleine Gärtnerei hatte zwei große Paletten verdorbener Himbeeren, die nur noch mit grauen Pelzköpfchen aus der Verpackung schimmerten und eine Palette Plastverpackung. Wilhelm Brandt kannte sich mit den speziellen Geschäftsbedingungen vor Ort aus und die Paletten wurden gleich mit dem Gabelstapler in den LKW befördert. An der nächsten Straßenecke kam der Gärtner erneut mit seinem Stapler. Auf der Palette waren zwei große Melonen, eine Stiege Erdbeeren und zwei Stiegen Spargel. Beinahe zu viel für den eingeschränkten Stauraum im Fahrerhaus