Ich kann mir die Arbeit nicht leisten. Rainer Voigt

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Ich kann mir die Arbeit nicht leisten - Rainer Voigt

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denn Wilhelm Brandt rechnete fest mit ihm und hatte schon die Stellen für Frühstück und Mittag in die Fahrtroute kalkuliert und entsprechende Verhaltensregeln ausgegeben: „Beim Frühstück bezahlst du den ersten Kaffee und der zweite ist umsonst. Mittag können wir im Drahtseilwerk essen, da ist es sehr preisgünstig und bedeutet für uns keinen Umweg.“ „Wir sind morgen voll und brauchen sie nicht“, sagte die Disponentin. „Melden sie sich bei ihrer Chefin!“ Diese rief gegen 21 : 00 Uhr an und legte den nächsten Tag als Rufbereitschaft fest. Frank-Peter hat selbst noch keine Erfahrung damit und auch nicht zur möglichen finanziellen Regelung. Sein Kollege auf dem LKW erklärte ihm jedoch glaubhaft, dass es dafür in dieser Firma keine Vergütung gebe. Man erwartet Leistung, nämlich sofort bei Anruf in die Spur zu gehen, muss sich zu Hause aufhalten, weil je nach Einsatz verschiedene Arbeits- oder Arbeitschutzkleidung zu wählen ist und kann privat bis 10 : 00 Uhr nichts unternehmen. Diese Wartezeit wird aus dem bereits gefülltem Stundenkonto, also aus bereits geleisteter Arbeit berechnet. Damit werden doppelte Leistungen nur einmal vergütet. Prompt kam am nächsten Tag 7 : 00 Uhr ein Anruf, man müsse auf die Rufbereitschaft von Frank-Peter zurückgreifen. Der Entsorger habe bei der Neuen Messe in Leipzig ein Auto mit einem Fettabscheider, bei dem ein zweiter Mann „zum Knöpfchendrücken“ gebraucht würde. Frank-Peter bekam die Telefonnummer des Fahrers und zog sich die orangefarbene Arbeitsschutzkleidung an, zu der die noch immer hydraulikölverschmierte Jacke vom Mittwoch gehörte. In diesem Augenblick klingelte erneut das Telefon und der Einsatz wurde abgeblasen. Der Bereichsleiter Aurich habe einen in der Nähe befindlichen eigenen Mitarbeiter umgesetzt. Es ist schon eigenartig, ging es Frank-Peter durch den Kopf. Während die Festangestellten oder die beim Entsorger fest angestellten Zeitarbeiter wenigstens noch einige soziale Einrichtungen nutzen konnten, wie etwa eine Dusche oder die Möglichkeit zum Umziehen, gab es für ihn dies Möglichkeiten nicht. Es wurde erwartet, dass er in Arbeitssachen auf einen kleinen Wink seiner Chefin hin mit seinem privaten Fahrzeug zum Einsatz fährt und die Gefahr einer völligen Verschmutzung billigend in Kauf nimmt. Auch Anrufe mit seinem privaten Telefon werden unabgesprochen erwartet. Bei der Sperrmüllabfuhr bekam Frank-Peter Farbe über Hosen, Schuhe und T-Shirt, als er mit Wilhelm Brandt eine alte Kommode in das Auto hob. Zum Glück war die Farbe bis zum Feierabend trocken, als er in sein Auto stieg. Die Chefin war in einer anderen Beziehung kulant. Frank-Peter war bei seiner Montagetätigkeit ein Werkzeug abhanden gekommen. Es war kein Baumarktwerkzeug, sondern Profitechnik und die 20 Euro schmerzten. Mit Sicherheit war es nicht geklaut worden, sondern bei dem Chaos auf der Baustelle verloren gegangen. Frank-Peter durfte es neu besorgen und bekam die Summe mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Kulanz ersetzt. In der vorhergehenden Zeitarbeitsfirma konnte er wählen zwischen Werkzeug von der Firma und der Verwendung eigenen Werkzeugs, wofür er Werkzeuggeld erhielt. Hier wurde die Nutzung eigenen Werkzeugs vorausgesetzt, weil man dann angeblich besser auf das Werkzeug aufpasst, so die Chefin.

      Freitagnachmittag gab es die versprochene Order für die kommende Woche. Frank-Peter sollte sich bei einer Firma mit Status GbR in der Holbestraße melden und es würde von dort nach Halle gehen. Auf dem Rückweg fuhr Frank-Peter dort vorbei. Es handelte sich um ein Bürogebäude, also bezüglich einer Elektrofirma eher eine Briefkastenadresse. Leider war 15 : 30 Uhr niemand mehr da, auch der telefonische Ansprechpartner war nicht erreichbar. Frank-Peter hätte gern gewusst, in welchem Outfit er am Montag erscheinen soll und welcher Art sein persönliches Werkzeug sein sollte. Dafür war die Internetpräsenz der Firma professionell. Und auch eine funktionierende Telefonnummer konnte Frank-Peter finden und erhielt Ordner, etwas zum Kabelschneiden mitzunehmen.

      Während der körperlich oft schweren Arbeit verspürte Frank-Peter niemals Müdigkeit und auch die Erschöpfung hielt sich in Grenzen. Anders am Wochenende. Eine schmerzhafte Müdigkeit bemannte sich seiner und ließ ihn die Fernsehsendungen, wenn überhaupt, nur noch als Hörspiel wahrnehmen. Hinzu kam, dass seine Frau vor wenigen Tagen an der Bandscheibe operiert worden war und nun eine Reihe weiterer Handgriffe der täglichen Kleinarbeit von ihm und der noch im Haushalt lebenden Tochter übernommen werden musste. Am Sonnabend war Frank-Peter seit langem wieder mal in seinem Garten, der zusehends dem Verfall preisgegeben war. Mit dem Auto war es nur eine Fahrt von zehn Minuten, seine Frau jedoch war krank, er die Woche über in den alten Bundesländern oder nach einem langen Arbeitstag für den Garten zu kaputt. Wenn er nach Hause kam, war als erstes eine Dusche oder ein Bad und neue Wäsche angesagt. Der Hunger war das geringere Übel, der Durst marterte mehr. Und dann, nach 20 : 00 Uhr noch in den Garten zu fahren, wo man zu dieser Zeit sowieso keinen Rasen mehr mähen kann, stellte keine Option dar. Der Garten existierte jedoch noch und die Grillwurst schmeckte am Wochenende auch mal ohne Bier ganz gut.

      Die neue Arbeitswoche startete am 28. Juni, nachdem bei zwei Großhändlern Ware abgeholt worden war, mit einer Fahrt nach Unterkribbel. Hier sollten in einem Kühllager von Kaufland Telefonleitungen gezogen werden. „Die Arbeitszeit beginnt auf der Baustelle“, erläuterte Conny. Die Materialbeschaffung von den beiden Großlagern ist also privates Hobby! Vielleicht würde sich einen Rechtsanwalt finden, der den Arbeitsort in Leipzig als Beginn der Arbeitszeit einklagen könnte, aber dafür hatte Frank-Peter Sommer kein Geld und keine Zeit. Die geplante Aufgabe erwies sich vor Ort als kleine Nebenaufgabe, die aufgrund der örtlichen Gegebenheiten jedoch nicht an einem Tag fertig gestellt werden konnte. Die eigentliche Aufgabe sollte darin bestehen, eine Menge Datenkabel in Schaltschränke und an neu errichtete Arbeitsplätze der Zwischenetage zu bringen und anzuschließen. Ein Teil der Kabel war von einer anderen Firma verlegt worden und wartete in Ringen gebündelt an markanten Punkten auf den eigentlichen Kraftakt. Andere Kabel waren außer Sichtweite und es war ungewiss, ob sie an irgendeiner Stelle in den abgehangenen Decken auf ihre Neuentdeckung warteten oder schlichtweg vergessen worden waren. Conny, 23 Jahre alt, telefonierte lange mit seinem Chef und mit der Firma, welche die Leitungen verlegt hatte. Am Ende kam heraus, dass vermutlich die ganze Woche hier gearbeitet werden muss, wenn jedoch noch Kabel zu ziehen wären, können daraus locker 14 Tage werden. Zum Glück für Frank-Peter befand sich im Auto die Jacke eines Kollegen, denn 2 °C wäre auf Dauer für das T-Shirt die unpassende Kleiderordnung. Conny, eigentlich Cornelius, erzählte Frank-Peter, dass sie in der Regel 10 Stunden ohne Pause durcharbeiten, damit sie bei akzeptablen Stunden auch einen Feierabend haben. Für Frank-Peter sah die Woche bezüglich Arbeitszeit nicht sonderlich rosig aus. Zwar musste er sich 7 : 00 Uhr in der Firma einfinden und kam 17 : 30 Uhr dahin zurück, aber diese 10 ½ Bruttostunden brachten für den Stundenzettel „nur“ acht anzurechnende Stunden, seine eigene Fahrzeit zur Firma natürlich nicht mitgerechnet. Wenn dann am Freitag keine Beschäftigung für Frank-Peter möglich ist, weil Conny dringend auf eine andere Baustelle muss, werden für die Abrechnung nicht einmal die 35 Stunden Mindestarbeitszeit erreicht. Er hat ja seinen Untervertrag mit dem Arbeitgeber, namentlich mit dem der Leipziger Anschrift und nicht mit einer Baustellenanschrift. So kann man auch seinen Gewinn maximieren. Frank-Peter glaubt nicht, dass Conny ebenfalls nur die Zeit auf den Baustellen gut geschrieben bekommt, es wird wohl ein weiteres Mittel sein, die modernen Arbeitssklaven zu schröpfen. Indes war die Arbeit anspruchsvoll aber im Gegensatz zu den bisherigen Tätigkeiten körperlich nicht so aufreibend. Die Temperaturunterschiede waren für den Kreislauf anstrengend. Gerade noch Arbeit in der 2° C „warmen“ Kühlhalle, musste dann in den Zwischendecken und in den darüber liegenden Dachgeschossdecken Kabel verlegt werden, wo die Technik der Klimageräte ihre warme Luft hinein pustete. Der Weg im Dachbereich erinnerte Frank-Peter an einen Hindernislauf. Er schlängelte sich über Rohrbrücken und krabbelte auf den Knien unter tief liegenden Betonträgern hindurch. Anfangs musste sich Frank-Peter noch die einzelnen Arbeitsschritte für spezielle Installationen zeigen lassen, die Technik schreitet rasant voran und diese Art Technik, die hier verbaut wurde, hatte Frank-Peter noch nicht in den Händen gehabt. Dann ging ihm die Arbeit jedoch locker von der Hand und – obwohl nicht ganz so schnell wie Conny – brauchte er sich bezüglich der Qualität seiner Arbeit nicht zu schämen. Conny, sehr rührig, vermochte jedoch nicht in einer Weise vorausschauend die Arbeit zu organisieren, die für einen reibungslosen Ablauf erforderlich gewesen wäre. Für die sicher seltenen „groben“ Arbeiten, etwa das Verlegen der Kabel in den Zwischenebenen, auf Betonpfeilern oder auf Kabeltrassen mit der Erstellung der notwendigen Durchbrüche fehlte das Werkzeug selbst am dritten Tag. Lange

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