Schwarzer Kokon. Matthias Kluger

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Schwarzer Kokon - Matthias Kluger

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sie ihrer Strafe entgeht«, vollendete Clexton Veronikas Satz. »Zum letzten Mal, Veronika, halt dich raus!«

      »Was ist nur los mit dir? Du schäumst ja vor Wut!«, ereiferte sich Veronika.

      Im selben Moment, als sie ihm die Worte an den Kopf warf, bereute sie sie bereits. Sie würde dadurch das Gegenteil bewirken und den Zorn ihres Mannes steigern. Auf der Hut vor der Reaktion Clextons, presste sie ihre Lippen fest aufeinander. Doch jegliche Antwort blieb aus. Als ob sie wieder einmal Luft für ihn wäre, beachtete Clexton sie nicht weiter und gab den beiden Negern ein Zeichen, ihm zu folgen.

      Er geht den Weg in Richtung der Plantagenfelder zu Zola und deren Mutter, dachte Veronika. Sie wusste nicht mehr ein noch aus. Ihr Mann agierte, wie sie es noch nie erlebt hatte, und alle, an die sie sich hätte wenden können, waren indes verschwunden.

      Der Sonnenaufgang wurde von vielen Sperlingen begrüßt, die überschwänglich für Aba zwitscherten. Doch Aba hörte weder den Gesang der Vögel noch das morgendliche Treiben des Sklavendorfs. Wie in einem nebligen Schleier war sie auf Zola konzentriert, die ohne Regung vor ihr lag.

      »Zola, Zola.«

      Aba benetzte die Lippen ihrer Tochter mit Wasser und rüttelte sanft an ihren Schultern. Das linke Auge Zolas war zugeschwollen und hatte sich blau, violett und grün verfärbt. Jeden Moment, dessen war sich Aba bewusst, würde der Vorarbeiter erscheinen, um sie aufs Feld zu schicken.

      Just in diesem Augenblick blickte dieser in die Hütte. »Aba, kwenda nje katika uwanja«, was so viel hieß wie: »Komm jetzt, raus aufs Feld.«

      Aba sah ihn an, dann deutete sie auf Zola, leblos auf der Schlafdecke liegend.

      »Ni nini kilichotokea (Was ist passiert)?«

      »Zola ni kujeruhiwa vibaya. I hawajui. Mimi kukaa pamoja naye (Zola ist schwer verletzt, ich muss bei ihr bleiben).«

      Eindringlich sah sie ihren Landsmann an, doch der Vorarbeiter konnte keine Rücksicht nehmen. Schon trat er auf sie zu, um sie aus der Hütte zu zerren. Seine Finger umschlossen ihr Handgelenk. Dies war der Augenblick, da eine furchtbare Energie seinen ganzen Körper erfasste. Als hätte er nach einer Stromquelle mit mehreren tausend Volt gegriffen, war er nicht in der Lage, seine Hand von Abas Handgelenk zu lösen.

      Wie am Rande eines Wirbelsturms verloren seine nackten Füße den Kontakt zum Boden und eisiger Wind riss ihn in die Höhe. Unkontrolliert zuckte sein Körper in der Luft – verschweißt an Abas Handgelenk, um nicht davonzufliegen. Seine weit aufgerissenen Augen waren auf die von Aba gerichtet und obwohl er schreien wollte, war er außerstande, auch nur einen Ton von sich zu geben.

      Abas Augen veränderten sich schlagartig. Die runden Pupillen verformten sich zu zwei Ellipsen, während ihr sonst so sanfter Blick sich in eine gleißend grüne Lichtquelle wandelte. Der kleine Raum mutierte, von sichtbaren Wellen durchzogen, zu einer riesigen, hell erleuchteten Halle. Laut dröhnte es in den Ohren des Farbigen, der nach wie vor herumgewirbelt an Abas Handgelenk gefesselt schien. Durch den schmerzhaft hallenden Laut hindurch sowie vom grünen Lichtstrahl Abas Augen gebannt, drang eine Stimme zu ihm, ohne dass Aba ihre Lippen bewegte. Ihre Gedanken umwoben im Bruchteil von Sekunden die seinen. Wie eine Spinne, die ihren klebrigen Faden um den zappelnden Schmetterling im Netz spinnt, umspannen Abas Gedanken seine weiche Gehirnmasse.

      »Uqando gejuna daque, uqando gejuna daque, uqando gejuna daque.«

      Wieder und wieder drangen diese geheimnisvollen Worte, die keiner Sprache zuzuordnen waren, dunkel hallend in seinen Verstand; durchspülten jenen, versickerten in jeder noch so kleinen, weichen Gehirnwindung. Kleine Blutstropfen fanden den Weg durch die Tränendrüsen des Farbigen und füllten seine Augen.

      So schnell, wie die schmerzende Kraft Besitz von seinem wirbelnden Körper ergriffen hatte, war sie auch wieder verschwunden. Er fiel wie ein Stein auf den staubigen Boden direkt vor Abas Füße.

      Plötzliche Ruhe.

      Kein Hauch war zu spüren.

      Benommen, angsterfüllt, blickte er zu Aba.

      »Geh jetzt und sage nichts!«, befahl sie.

      Am ganzen Körper zitternd, noch immer das Schauspiel nicht begreifend, stand er langsam auf und verneigte sich vor ihr wie vor einer Gottheit. Er, die Urgewalt des Übermächtigen soeben erlebt, flüchtete nach draußen.

      Geschwächt sank Aba neben Zola in sich zusammen. Sie ahnte von dieser Kraft, kannte sie aus ihren Träumen, nun wissend, dass sie außerstande war, dies Übernatürliche zu steuern. Ihre Mutter, »die Weise« ihres Stammes im kleinen Dorf in Ghana, hatte Aba, als kleines Mädchen, oft davon erzählt. Es waren liebevolle Erzählungen von engelsgleichen Kräften der Seelen der Ahnen, die gebündelt wie Wellen des Ozeans den Körper der Auserwählten durchspülen. Doch keine der Geschichten hatte ansatzweise das wiedergegeben, was soeben passiert war.

      Zolas Zeigefinger zuckte. Stille, absolute Ruhe; wie in der Unendlichkeit des Alls schwebend. Eine kleine, grün schillernde Fliege krabbelte auf Zolas rechtem Handrücken. Wieder bewegte sich Zolas Finger. Sie öffnete ihr zuckendes rechtes Augenlid. Das linke war zu verschwollen, als dass sie es hätte bewegen können.

      Zolas Hand suchte zitternd die Abas und drückte sie schwach. Tränen liefen Zolas Wangen herab – noch war sie nicht in der Lage, etwas zu sagen. Wie in einem bösen Traum erschien vor ihr das gespenstische Antlitz von Clexton Baine.

      Nun stammelte sie leise flüsternd: »Baine, Baine, Baine.« Immer wieder raunte sie den Namen. Ihre Hände zitterten immer heftiger, je öfter »Baine« über ihre Lippen kam.

      Abas Augen wurden feucht. Die Erleichterung, ihr junges Mädchen zwar schwach, aber bei Bewusstsein zu sehen, rückte von einer Sekunde auf die andere in den Hintergrund, als sie Baines Namen hörte. Augenblicklich wusste sie, was Zola geschehen war. Welche Pein und Angst ihre Tochter ausgestanden hatte!

      Sie streichelte Zola zärtlich die Wange: »Zola, beruhige dich. Du bist in Sicherheit.«

      Unbändiger Zorn stieg in Aba hoch, wissend, dass sie beide in Lebensgefahr schwebten. Mr. Baine würde es nicht zulassen, dass Zola als Opfer und sie als Mitwisserin des Geschehens am Leben blieben.

      »Zola, wir müssen fliehen. Mr. Baine wird uns beide umbringen.«

      Keine weitere Sekunde durfte sie verstreichen lassen. Zu übermächtig war die Gefahr. Aba schob ihren linken Arm unter Zolas Rücken und zog sie zu sich. Zola nahm mit letzter Kraft, in sich gekauert, auf der Decke Platz.

      »Hier, zieh das an.« Sie reichte ihr ein grob gewebtes, braunes Baumwollkleid. Zolas Glieder schmerzten, als sie die Arme anhob, um das Kleid über ihren Kopf zu streifen.

      Unterdessen spähte Aba aus dem Eingang ihrer Hütte, um das noch rege Treiben auf dem Gelände zu beobachten. Die Vorarbeiter überwachten den Trubel und drängten die Sklaven zur Eile. Wenn sie Zola ins Freie schleppen würde, wäre das Risiko erheblich, dass einer der Vorarbeiter Aba von Zola trennen würde. Sie mussten warten, bis alle auf den Feldern ihrer Arbeit nachgingen und Ruhe im Camp einkehrte.

      Sie nutzte die Zeit, gab Zola einen Schluck Wasser, dann setzte sie sich neben ihre Tochter, die Angst im Nacken, dass jeden Moment Mr. Baine auftauchen würde.

      Allmählich

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