Schwarzer Kokon. Matthias Kluger

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Schwarzer Kokon - Matthias Kluger

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Maria Baine, der 1699 als irischer Auswanderer mit dem Anbau von Reis und dem »weißen Gold« – die Baumwolle – in Charleston zu Wohlstand kam. Clextons Mutter, eine zierliche Irin, starb im Kindsbett und so verließ Clextons Vater, wie viele irische Landsleute in jener Zeit, ein Jahr nach Geburt des Sohnes Irland, um im neuen Land sein Glück zu finden.

      Schon als Kind zeigte sich in Clexton ein Gefühl des Ekels vor den vielen Sklaven, die unter Anweisung des Vaters die Wälder am Fluss rodeten und zu fruchtbarem, mit aufwendigen Wasserkanälen durchzogenem Ackerland veredelten.

      Im Laufe der Jahre, in denen er zu einem großen, breitschultrigen Mann heranwuchs, formte sich aus der widerwärtigen Abneigung Clextons eine grausame, kalte Mentalität den Sklaven gegenüber. Jedes Tier auf der Plantage genoss einen höheren Stellenwert als die – seiner Meinung nach – »stinkenden Schwarzen«, welche für ihn einzig billige, jederzeit austauschbare Arbeitskräfte waren. Höllenangst war es dann auch, die sein ständiger Begleiter war. Höllenangst vor dem Hass aller Sklaven. Diese Furcht bestimmte sein Handeln, nicht den kleinsten Anschein von Schwäche zu zeigen, und wurde durch regelmäßige, grausame Bestrafungen der Arbeiter bei noch so geringem Anlass offenbart. Die Angst der Sklaven um ihr Leben musste größer sein als die seine.

      Wie alle Plantagenbesitzer in Charleston verschiffte Clexton die geerntete Baumwolle des vierhundert Hektar umfassenden Guts nach England. Seine wichtigsten Abnehmer hatten ihre Arbeitsstätten in der Grafschaft Lancashire. Billige Arbeitskräfte, die man für Anbau und Ernte laufend benötigte, wurden auf dem Sklavenmarkt im Hafen von Charleston angeboten. Segelschiffe, meist zweimastige Briggs oder Schoner, transportierten die Sklaven auf Handelsrouten aus Westafrika und der Karibik nach Charleston. Freiheit fanden nur die leblosen Körper der wegen sehr schlechter hygienischer Zustände zu Tode gekommenen Frauen, Männer und Kinder. Von ihren Fesseln erlöst warf man sie über die Reling zur letzten Ruhestätte ins offene Meer. Jene Menschen aber, die zu Hunderten den Transport im Schiffsrumpf auf engstem Raum zusammengepfercht und an Massenpritschen angekettet überlebten, wurden zu Leibeigenen. Für sie begann eine neue Zeitrechnung als »Unfreie« im Gelobten Land.

      Clexton Baine war, da er die Sklaven nicht einzeln, sondern stets im Dutzend bezog, bei den Händlern sehr angesehen. So wurde für ihn – von den skrupellosen Schiffseignern – bereits vor dem Kauf eine Auslese im Verhältnis von zehn männlichen zu zwei weiblichen Sklaven getroffen. Neben Alter, Körperbau und gesunden Zähnen achtete man auf erkennbare Krankheiten wie Skorbut, die nicht selten die Sklaven befiel.

      Auf den Plantagen angekommen, wies man den Farbigen Unterkünfte zu. Von zwei bis zu acht Personen hausten sie nach Geschlecht getrennt in kleinen Hütten. Die Schlafstätten bestanden aus Decken am Boden, zu essen bekamen sie Maisbrei und Wasser. Ohne Rechte war der Sklave Eigentum seines Herrn – ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

      Clexton stand auf der großen Veranda des im typischen Kolonialstil erbauten, auf einem Hügel stehenden Herrenhauses und blickte in die Ferne. Über dem Rest der Plantage blendeten die ersten warmen Strahlen der noch tief liegenden Sonne, sodass Clexton seine Augen mit der Hand beschattete. In Richtung Osten sah Clexton die nahe gelegenen, strohbedeckten Hütten der Unterkünfte seiner Sklaven, weiter entfernt die Plantagenfelder bis zum Fluss Ashley River, der die natürliche Begrenzung in Richtung Osten bildete. Reges Treiben hatte die Plantage bereits erfasst. Die Vorarbeiter, wegen der sprachlichen Verständigung auch Sklaven, waren angehalten, bei Sonnenaufgang die Arbeitskräfte auf die Felder zu schicken, bis sie abends im Dunkel wieder zurück in die Hütten kehrten. Er versuchte zu erkennen, ob sich die Sklaven an diesem Morgen anders verhielten, er konnte jedoch nichts Ungewöhnliches ausmachen.

      Trotz alledem – dieser Morgen war anders.

      Clextons Gedanken schwirrten wild durcheinander und verursachten ein beklemmendes Gefühl.

      Jäh unterbrach ihn seine Frau Veronika, als sie mit ihrem gemeinsamen, gerade einjährigen Sohn Joseph Matthias Maria auf die Veranda trat. Der kleine Joseph hatte die beiden Vornamen des Großvaters väterlicherseits erhalten, wurde aber stets »Jos« genannt. Veronika, eine groß gewachsene Frau mit langem blondem Haar, welches offen über die Schultern fiel, wurde vielfach beneidet um die Schönheit und Anmut, die sie mit ihren 28 Jahren ausstrahlte. Ihre Ehe mit Clexton glücklich zu nennen, wäre übertrieben. So verebbte mit der Geburt ihres Sohnes die liebevolle Zuneigung, die sie zu Beginn von Clexton erhielt. Es war keine Seltenheit, dass Clexton nachts nicht neben ihr lag.

      Als Veronika wieder einmal alleine in ihrem Bett aufwachte, schlich sie an der Kinderwiege vorbei aus dem Schlafzimmer im ersten Stock und suchte nach ihrem Mann. Sie fand ihn, betrunken mit einer Flasche Gin und der Bibel auf seinem Schoß, seitlich der Eingangshalle im großen Ledersessel der Bibliothek. Unbemerkt huschte sie über die ausladend geschwungene Treppe im Eingangsfoyer hinauf ins Schlafgemach. Sie vermied es, ihn darauf anzusprechen – zu gut kannte sie seine Zornausbrüche, die kurz nach ihrer Heirat zutage kamen, wenn Unangenehmes in der Luft lag.

      Irgendetwas schien ihren Mann zu beschäftigen, denn er stand angewurzelt mit Blick gen Osten am hölzernen Geländer der Veranda.

      »Guten Morgen, Clexton, warst du die ganze Nacht wach?«

      Clexton fuhr herum und blickte sie ungehalten an.

      Schon bereute sie die spontane Frage.

      Langsam, eindringlich den Blick direkt auf Veronika gerichtet, antwortete er eisig: »Ja, meine Liebe, ich bin wach gewesen. Sicher wird es dich nicht stören zu hören, dass, während du in Ruhe schlafen konntest, ich mir Gedanken um die heutige Verladung gemacht habe. Wir haben zu wenig Ware, um die Zwischendecks voll zu bekommen. Die Nigger arbeiten zu langsam und das bedeutet Einbußen, die weder du noch ich wollen – oder bist du anderer Meinung?«

      »Entschuldige, Clexton. Mir liegt es fern, dich zu verstimmen.« Veronika senkte den Blick, streichelte über den Haarschopf ihres Sohnes in der Hoffnung, dass ein gemeinsames Frühstück ihren Mann wieder besser gelaunt stimmen würde. So griff sie mit der freien Hand nach der mit kleinen Ornamenten verzierten goldenen Glocke, die auf dem schlichten Messingtisch der Veranda stand.

      Tumelo, ein Sklave aus Botswana, der seit sieben Jahren auf der Plantage lebte, erschien. Aufgrund der Fähigkeit, die englische Sprache lediglich durch Zuhören schnell erlernt zu haben, durfte er seit zwei Jahren als Bediensteter im Herrenhaus arbeiten. Zu seiner Aufgabe gehörte, neben dem Reinigen aller silbernen Gegenstände wie Leuchter und des Bestecks, hauptsächlich die Reparatur von Schäden, welche im über dreißig Jahre alten Herrenhaus anfielen. Nicht aber die morgendliche Versorgung der Herrschaften! Insofern verwunderte es Veronika, dass nicht Zola, das Dienstmädchen, vor ihr stand.

      »Sie wünschen, Madam?«, fragte Tumelo in einwandfreiem Englisch.

      »Wir würden gerne das Frühstück auf der Veranda einnehmen. Wo ist Zola?« Veronika blickte Tumelo fragend an.

      Zögernd sah Tumelo erst zu Clexton, danach zu Veronika. Ihm war, als hätte sein Herr, Mr. Baine, drohend die Augen zugekniffen. Bestimmt würde Mr. Baine eine Strafe verhängen, sobald er erfuhr, dass Zola morgens nicht in der Großküche, welche im hinteren Trakt des Herrenhauses lag, erschienen war. Sollte er die Wahrheit sagen oder eine Ausrede zum Schutz von Zola vorbringen? Er entschied sich für Ersteres, zumal Mr. Baine bekannt dafür war, zu strafen, egal ob nötig oder nicht.

      »Zola heute Morgen nicht in Küche, haben bereits nach ihr gesucht. War auch nicht in ihrem Zimmer – werden aber suchen.«

      Ängstlich, eine Züchtigung für die Nachricht zu erhalten, blickte er mit gesenktem Haupt auf die Holzplanken der Veranda, deren weiße Farbe an mehreren Stellen abblätterte. Aus seinem Augenwinkel heraus erkannte Tumelo, wie Mr. Baine abweisend seine rechte Hand erhob.

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