Krähen über Niflungenland. Gunnar Kunz

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Krähen über Niflungenland - Gunnar Kunz

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wurde rot. Gespräche über Eheverbindungen machten ihn verlegen. »Nein. Und ich bin froh darüber. Ich will überhaupt nicht heiraten.«

      »Ich schon. Wenn Liebe zwischen mir und meinem Mann ist, wie zwischen meinem Vater und meiner Mutter. Ich glaube, dann kann man alles erreichen, was man will. Das megin aus der Verbindung eines Mannes und einer Frau ist viel stärker als die beiden einzelnen megins zusammen.«

      »Ja, jeder kann sehen, dass Eure Eltern großes Heil miteinander haben.« Der Rausch des Trankes stieg Gislher allmählich zu Kopf. Er blinzelte. Die Sterne schienen klarer und näher als zuvor.

      »Wie nah sie sind!«, seufzte Dietlind, als hätte sie seine Gedanken erraten.

      Gislher blickte sie an, und seine durch den Trank geschärften Sinne sahen sie in einem goldenen Licht. Sie schien von innen heraus zu strahlen. Schwerfällig drehte er den Kopf. Er hatte die vielen Menschen, die mit ihnen das Sonnenwendfest feierten, völlig vergessen, aber da waren sie, Männer und Frauen, und jeder von ihnen strahlte dieses goldene Licht aus. Jeder schien eine Sonne zu sein. Gislher rieb sich die Augen und sah ein zweites Mal hin, aber das Leuchten blieb. Plötzlich fühlte er eine starke Verbindung zu ihnen, mehr noch, er fühlte sich eins mit den Vögeln, den Pflanzen, den Würmern, ja, mit der Erde selbst.

      Dietlind nahm ein Amulett von ihrem Hals. »Ich möchte Euch dies hier schenken«, sagte sie. »Es soll Euch schützen, Eure Wünsche in Erfüllung gehen lassen und Euch vor Schaden bewahren.«

      Der birnenförmige Anhänger bestand aus Gold. Außen war sōwelō, die Sonnenrune, eingeritzt, und vermutlich war der Hohlkörper mit magischen Gegenständen gefüllt. Als Dietlind ihm das Amulett umhängte, spürte Gislher, dass zwischen ihr und ihm eine besondere Verbindung bestand.

      Sigfrid saß an einem der vielen Feuer. Er hatte reichlich vom Trank des Priesters zu sich genommen, zudem atmete er den Geruch der Kräuter ein, die in den Flammen verbrannten.

      Flammen. Hitze. Feuer.

       Feuer!

       Der Himmel war rot vom Widerschein der Flammen. Auf unerklärliche Weise davon angezogen, ritt Sigfrid auf das Licht zu. Vor ihm stieg eine Waberlohe in den Himmel und versengte ihn mit heißem Atem. Grane scheute vor der Barriere und wich schnaubend zurück. Sigfrid redete beruhigend auf ihn ein und tätschelte ihm den Hals. Vergeblich versuchte er zu erkennen, was hinter der Flammenwand lag. Er musste hindurch! Irgendetwas wartete dort auf ihn. Kurz entschlossen ließ er das Pferd zurücktraben, bis der Abstand groß genug war. Dann reckte er Gesicht und Hände gen Himmel, um Wodan um Beistand anzuflehen. Er konnte seine eigenen Worte nicht verstehen, das Prasseln des Feuers übertönte jedes Geräusch.

       Mit einem Schenkeldruck trieb er Grane an, ließ einen Schlachtruf ertönen und jagte auf die glühende Mauer zu. Jäh verwandelte sich das treue Tier unter ihm; vier zusätzliche Beine wuchsen aus seinem Körper, zwei Flügel aus seinen Flanken. Wodan hatte ihn erhört! Er gab ihm Sleipnir, sein eigenes Ross! Das edle Pferd raste auf das Flammenmeer zu, tat einen gewaltigen Satz und schlug mit den Flügeln. Dann war Sigfrid von tosendem Feuer umhüllt. Hitze verbrannte ihm das Gesicht, Funken umzüngelten ihn, um ihn am Weiterkommen zu hindern. Seine Brünne begann zu schmelzen. Höher und höher stieg Sleipnir, während die Flammen unter ihm wüteten.

       Und plötzlich sank das Feuer in sich zusammen. Die Stille, die auf das Tosen folgte, war ohrenbetäubend. Wodans Pferd schwebte dem Erdboden entgegen und landete auf einer Wiese, die von keiner Flamme berührt schien. Sigfrid stieg von Sleipnirs Rücken und näherte sich einem Schildwall. Ohne stehen zu bleiben, durchschritt er den Ring aufrecht stehender Schilde.

       Auf der Erde lag eine Frau, mit dem Rücken zu ihm, und Sigfrid wusste, sie war der Ursprung der Kraft, die ihn angezogen hatte, sie war das Ziel all seinen Begehrens. Sie bewegte sich nicht, nicht einmal, als er sie berührte. Ein Schlafdorn musste sie in diesen Zustand versetzt haben. Er wusste, dass es so war, so sicher, wie er wusste, dass sie für ihn bestimmt war. Eine silberne Brünne schützte sie, in ihrer Hand lag ein stählerner Ger. Sie war eine Walküre, doch würde nicht sie ihn für Wodans Schlachthalle erwählen, sondern er sie als sein Weib. Ein heißes Gefühl verbrannte sein Herz, heißer als das Feuer der Waberlohe. Sobald er sie erweckte, würde ewiges Glück ihn erwarten. Sanft drehte er sie herum.

       Ihr Kopf war glatt wie ein Ei. Sie hatte kein Gesicht.

      Grimhild hatte nur einen Schluck des magischen Tranks zu sich genommen. Sie war nach wie vor auf der Suche nach Sigfrid. In der Ferne entdeckte sie Hagen. Irgendwie schaffte er es immer, auch bei müßigem Umherstreifen zielstrebig zu wirken. Vermutlich hatte er ebenfalls vom Trank des Priesters nur genippt. Er liebte es nicht, die Kontrolle über sich zu verlieren. Die Niflunge ging zu ihm. »Ich habe dir noch gar nicht für die Rettung meines Bruders gedankt«, sagte sie.

      »Es ist meine Aufgabe, deine Sippe zu schützen.«

      »Eine Aufgabe, die du meisterhaft erfüllst.« Grimhild war dankbar für seine Gesellschaft, die sie von ihren Sorgen ablenkte. Um ein Gespräch in Gang zu bringen, fragte sie: »Hast du je Feuerräder gerollt?«

      »Glaubst du, es fließt kein Blut in meinen Adern? Manchmal bin ich mit ihnen um die Wette gelaufen.«

      Es fiel ihr schwer, sich den Waffenmeister vorzustellen, wie er kreischend neben einem brennenden Rad den Hügel hinablief. Der Gedanke war erheiternd.

      »Ich gäbe etwas darum zu wissen, was du gerade hinter deiner Stirn versteckst«, sagte er, und seinem Tonfall nach wusste er genau, was es war.

      »Ist das nicht eine wundervolle Nacht? Die Welt kommt mir heute so verändert vor.«

      »Es ist die Nacht der Erneuerung.«

      Sie dachte an Sigfrid und seufzte. »Ja. Die Nacht der Erneuerung. Was bedeutet sie für dich?«

      »Nichts. Die Menschen bleiben dieselben. Die Götter bleiben dieselben. Sogar die Sterne bleiben, wie sie sind.«

      »Aber die Mittsommernacht ist voller Hoffnung! Spürst du es nicht?«

      »Hoffnungen sind dazu da, von den Göttern zunichte gemacht zu werden. Ich nehme, was kommt, das erspart mir Enttäuschungen.«

      »Ob du glücklich oder unglücklich bist, liegt allein in deiner Hand, Hagen. Das Gewebe der Nornen sagt nichts darüber aus. Das ist es, was uns die Mittsommernacht verspricht: dass du aus einem alten Webmuster etwas völlig Neues machen kannst.«

      »Ebenso könnte ich versuchen, einen Stern vom Himmel zu holen.«

      »Ich könnte es«, sagte sie trotzig und wartete auf Widerspruch oder ein nachsichtiges Lächeln.

      Zu ihrer Überraschung tat er nichts dergleichen, sondern nickte nur. »Bei dir ist das etwas anderes. Was du dir vornimmst, wirst du auch erreichen.«

      Bislang hatte sie immer angenommen, dass ihre Mutter die Einzige war, die sich nicht von ihr hinters Licht führen ließ, aber wie es schien, hatte nicht nur Oda Augen im Kopf und einen Verstand zum Denken.

      »Du siehst mich an wie eine Dryade«, sagte Hagen und fügte nach einer winzigen Pause hinzu: »Schmiedeauge.« Sie war so verblüfft, dass sie im ersten Moment gar nicht begriff, dass er einen Scherz gemacht hatte. Darüber musste er lachen. Es war ein hartes, trockenes Lachen, kurz und präzise wie sein

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