Krähen über Niflungenland. Gunnar Kunz
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Читать онлайн книгу Krähen über Niflungenland - Gunnar Kunz страница 6
»Ich wusste nicht, dass die Franken einen Schatz haben, gegen den der Hort des Stillen Volkes verblasst«, erwiderte Sigfrid höflich.
Grimhild verfluchte die Wirkung der Tollkirsche. Sie erkannte kaum mehr als einen konturlosen, von einem blonden Haarkranz umgebenen Fleck, dabei hätte sie gar zu gern gewusst, wie der Sachse aussah! Jede Regel des Anstands vergessend, beugte sie sich vor, um ihn besser betrachten zu können. Aus dem verschwommenen Fleck tauchte ein herzliches Lachen auf.
»Ihr seht mich an wie eine Walküre, die sich ihr Opfer erwählt.«
Über dem Lachen entdeckte Grimhild jetzt zwei verträumte blaue Augen, in die sie sich unwillkürlich hineingesogen fühlte.
Plötzlich wurde ihr bewusst, wie unhöflich sie war. Mit einem raschen Blick schätzte sie die Entfernung zu den Trinkhörnern, die die Sachsen ihr hinhielten, lenkte die Männer mit ihrem süßesten Lächeln von ihren Händen ab und hoffte, dass sie beim Einschenken nichts verschüttete.
Pflichtschuldig goss Eckewart etwas Wein auf den Boden als Trankopfer für den Hausgeist, ehe er sich selbst einen Schluck gestattete. Das Schicksal meinte es gut mit ihm! Der Tisch bog sich unter der Last der Gerichte, es herrschte eine ausgelassene Stimmung, wie er sie in den Diensten seines neuen Herrn allzu lange entbehren musste, und darüber hinaus zeigten sich hübsche Mädchen bestrebt, die Trinkhörner nicht leer werden zu lassen. Die Franken besaßen eben Lebensart. Ganz anders als die sauertöpfischen Sachsen, die nur Kampf und Tod kannten. Man brauchte bloß an den Jarl von Bertangenland zu denken, seinen früheren Herrn. Er war großzügig gewesen, gewiss, aber auch besessen davon, sich mit anderen im Kampf zu messen. Kämpfen, immer nur kämpfen!
Und Sigfrid war auch nicht besser. Zu Anfang hatte es Eckewart überhaupt nicht behagt, dass sein Gefolgsherr ihn bei jedem Auftrag dem Sachsen als Begleiter mitgab. Mittlerweile hatte er Sigfrid schätzen gelernt, so sehr, dass er den Jarl von Bertangenland dazu gebracht hatte, ihn von seinem Eid zu entbinden, um in Sigfrids Dienste treten zu können, aber zu Anfang … Sigfrid war für seinen Geschmack viel zu unstet und ruhmesdurstig. Aber wenigstens verstand er zu feiern. Deshalb hatte Eckewart schließlich seinen Frieden mit dem Schicksal gemacht und die Zeit zwischen den Festgelagen als Intermezzo betrachtet, das man eben ertragen musste als Preis für die anschließenden Freuden. Zumal er herausfand, dass man in jeder Küche einen zusätzlichen Bissen bekam, wenn man den Unfreien die Geschichte vom Kampf mit dem Drachen erzählte. Dass er nicht dabei gewesen war und die Größe des Lindwurms mit der Anzahl der in Aussicht gestellten Bierbecher wuchs, bereitete ihm keine Magenschmerzen. Half es doch, den Ruhm seines neuen Herrn zu mehren.
Mit dem genossenen Alkohol nahm der Lärm in der Halle zu. Da die Trinkhörner keine Standflächen besaßen, waren die Krieger gezwungen, sie ununterbrochen kreisen zu lassen oder in einem Zug zu leeren, ein Zwang, der manchem gelegen kam. Ansgar, ein großmäuliger, aber allseits geschätzter Gefolgsmann Gunters, war schon jetzt sturzbetrunken. Er lallte ein Lied und grölte nach Volker, dem Skopen, der ebenso unbekümmert vom anderen Ende der Halle zurückbrüllte, dass er zu singen bereit sei, sobald Ansgar sein Gekrächze aufgebe. Die Umsitzenden amüsierten sich über den Schlagabtausch.
Während Grimhild Wein einschenkte und sich hie und da auf ein paar Scherzworte oder eine Unterhaltung einließ, kehrte allmählich ihre Sehschärfe zurück. Immer wieder suchten ihre Augen den blonden Sachsen. Seine Unbeschwertheit hob ihn unter allen Anwesenden hervor. Die meisten Krieger konnten ihre Wachsamkeit auch bei einem Gelage nie vergessen, nicht so Sigfrid. Er genoss den Frohsinn des Augenblicks wie kein zweiter und strahlte eine Entspanntheit aus, die dafür sorgte, dass sich jedermann in seiner Nähe wohlfühlte. Und dann waren da noch seine Augen …
Grimhild hörte ihn über irgendeinen Scherz lachen, laut und unmelodisch, und doch traf sie dieses Lachen mitten ins Zentrum wie ein Albstich. Sie wünschte, er würde hersehen, aber er unterhielt sich angeregt mit Gunter. Warum ließ er nicht von Zeit zu Zeit seine Blicke zu ihr gleiten wie andere Männer? Ob sein Desinteresse nur vorgetäuscht war? Grimhild beschloss, es herauszufinden. »Darf ich Euch Wein nachschenken, frō Sigfrid?«
»Gern. Habt Dank für Eure Güte, frūa!«
Sein sächsischer Akzent gefiel ihr. »Es bereitet mir Freude, Euch zu dienen«, kokettierte sie und atmete tief ein, als sie sich vorbeugte. Sie wusste, welch reizvolles Bild sie damit bot. »Ist der Wein zu Eurer Zufriedenheit?«
»Er ist das Beste, was ich seit langem zu kosten bekam.« Sigfrid dankte ihr artig und wandte sich wieder dem Gespräch mit ihren Brüdern zu.
Sein Betragen war tadellos, es gab nichts daran auszusetzen. Aber es war offenkundig, dass ihm ihre Reize nichts bedeuteten. Warum wirkte ihr Zauber nicht bei ihm?
Volker hatte derweil seine Hände in einer Wasserschale gesäubert, die fünfsaitige lyra mit den geschwungenen Jocharmen ergriffen und zupfte nun ein paar Töne. Eckewart, der auf dem linken Ohr mehr oder weniger taub war, legte den Kopf schräg, um besser zuhören zu können. Die Gespräche verstummten.
»Einst war die Zeit,
da Ymir lebte.
Nicht war Stein noch Wellen
noch Baum und Strauch.
Nicht Grund unten
noch Sterne oben.
Leblose Leere,
und überall Stille.«
So sang der Skop, und seine Stimme erfüllte die Halle. Volker war ein Meister seiner Zunft. Er besaß Wodans Gabe, die Gabe der Dichtkunst. Seine Stimme war weich und voll wie Honig und rührte die Herzen der Zuhörer. Vor ihren Augen und Ohren erstanden Walhall und Hel, Helden und Dämonen. Volker sang von fernen Zeiten, als die Welt aus dem Körper des Riesen Ymir erschaffen wurde, und dann sang er vom Tod des Gottes Balder und von seinem Vater Wodan, der dem Leichnam seines Sohnes eine Rune ins Ohr flüsterte, das Geheimnis aller Geheimnisse.
Lange war es still, als er schließlich endete. »Es liegt Macht in deinen Worten«, brach Gunter das Schweigen. »Du kannst Bilder der Seele heraufbeschwören und tapfere Männer weinen machen.« Er zog einen kostbaren Ring vom Finger und warf ihn dem Skopen zu, der ihn geschickt auffing. »Nimm dies als Lohn für deine Kunst.«
Volker verneigte sich dankbar und schlug einen neuen Ton an. Den Gästen zu Ehren sang er von der Landung der Nordmänner in Haduloha, vom Kampf um den Hafen und der folgenden Zeit des Handels mit den Einheimischen. Seine Stimme veränderte sich mit der Stimmung, die er beschrieb, sie wurde bitter, wenn er von Enttäuschung sang, und schwermütig angesichts eines harten Schicksals, doch immer behielt sie ihre Klarheit. Dann schlich sich ein listiger Tonfall ein, als er erzählte, wie ein Nordmann Goldschmuck an die Einheimischen verteilte im Austausch für etwas Erde, die er in seinem Rockschoß forttrug. Die Zuhörer wurden Zeuge, wie die Nordmänner die getauschte Erde dünn über die Äcker streuten, um dann Anspruch auf das damit bedeckte Land zu erheben, und nickten einander zu. Tiefe Wahrheit lag in Volkers Worten, denn die Einheimischen hatten das Heil und die Seele der Erde fortgegeben. Ja, das war erdmegin, von solcher Macht war die Kraft der Erde!
Sigfrid war den Tränen nahe. Der Gesang des Skopen wühlte ihn auf. Plötzlich meinte er, das Meer zu riechen. Obwohl die Sachsen seit langem sesshaft waren, floss noch immer das Blut von Nordmännern in seinen Adern. So ergriffen war er von Volkers Worten, dass es eine Weile dauerte, bis er entdeckte, dass der Sänger geendet hatte. Bewegt zog er ein edelsteinbesetztes Amulett aus einem Beutel und warf es ihm zu. »Ich will hinter König Gunters Freigebigkeit nicht zurückstehen«, sagte er. »Euer Gesang